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Dieselgate: Bundeskanzlerin abgetaucht

Die Energie- und Klimawochenschau: Von zweifelhaften Rettungsversuchen für die suizidale Automobilindustrie, einer boomender Windbranche und hartnäckigem Widerstand gegen Netzausbau in Franken

Auch in dieser Woche ist das überragende Thema unseres wöchentlichen Überblicks die Zukunft des Autoverkehrs und des Verbrennungsmotors. Eigentlich sollte Sommerpause sein und die Bundeskanzlerin hatte sich schon auf einen möglichst inhaltsleeren Wahlkampf gefreut. Doch vergebens. In den letzten Wochen ist der Abgasskandal wieder so richtig schön hoch gekocht, und am heutigen Mittwoch soll ein "Nationales Diesel-Forum" die Sache richten.

Doch dass sich danach alles wieder beruhigen wird, ist eher unwahrscheinlich. Enttäuschungen seien unvermeidlich, prognostiziert [1] zum Beispiel die Welt. Bestenfalls werde herausgekommen, dass die entsprechenden Autos nachgerüstet, sprich auf Kosten der Hersteller neue Software aufgeladen bekommen. Ob das reichen wird, um die Abgasnormen zu erfüllen und die anhaltend hohen und seit rund sieben Jahren gesetzeswidrigen Emissionen unter die Grenzwerte zu drücken ist fraglich.

An diversen Messstationen deutscher Großstädte werden wie zum Beispiel im Berliner Bezirk Neukölln [2] die seit 2009 bzw. 2010 geltenden Grenzwerte für den Jahresmittelwert des Stickstoffdioxids [3] (NO2) ständig überschritten. In Neukölln bisher noch in jedem Jahr seit der Einführung. Hohe NO2-Konzentrationen sind eine der Voraussetzungen für die Bildung bodennahen Ozons, des sogenannten Sommersmogs [4]. Außerdem kann es Kindern und Menschen mit Atemwegserkrankungen gefährlich werden und bildet Feinstaubpartikel. Etwa die Hälfte des für die Ozonbildung verantwortlichen NO2 kommt aus dem Straßenverkehr.

Gerichtsurteil macht Druck

Wie berichtet [5] hatte am Freitag vergangener Woche ein Verwaltungsgericht in Stuttgart der Deutschen Umwelthilfe recht gegeben, die für die baden-württembergische Landeshauptstadt Fahrverbote für besonders umweltschädliche Autos gefordert hatte.

Nach einem Bericht [6] der Stuttgarter Nachrichten sehen die Richter die grün-schwarze Landesregierung in der Pflicht, sofort für die Einhaltung der Grenzwerte zu sorgen. Sie hätten damit, schreibt die Zeitung, dem "Schutz der Rechtsgüter Leben und Gesundheit für die von den überhöhten Schadstoffkonzentrationen betroffenen Einwohner (...) über den Schutz der Rechtsgüter Eigentum und allgemeine Handlungsfreiheit von betroffenen Autoeigentümern" gestellt. In Stuttgart würden die Stickstoffdioxid-Grenzwerte stellenweise um bis zu 100 Prozent überschrittenen. Aufschub bis 2020 sei nicht hinnehmbar.

Wer entschädigt Autohalter?

Bundesregierung und Hersteller halten indes weiter an ihrem Umrüstungsplan fest. Erst am Donnerstag kam der Rückruf [7] für 22.000 Wagen vom Typ Porsche Cayenne TDI, die nun auf Geheiß des Bundesverkehrsministers nachgerüstet werden müssen. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte ein zeitweises Zulassungsverbot verhängt. Bis die neue Software zur Verfügung steht, darf Porsche dieses Modell nicht mehr verkaufen.

Der Motor mit der Mogel-Software stammt von Audi, wie unter anderem die Deutsche Welle berichtet [8]. Die VW-Tochter muss daher 24.000 Fahrzeuge zurückrufen, die den gleichen Motortyp verwenden. Insgesamt will allein Audi 850.000 Fahrzeuge nachrüsten [9].

Da fragt sich nicht nur, ob damit denn tatsächlich die Emissionen gemindert und die Schadstoffbelastungen in den Ballungsräumen gesenkt werden können. Und es fragt sich, was das alles für die Fahrzeughalter bedeutet. Bekommen sie für die Zeit, die ihr Wagen nicht fahren darf, einen Ersatz gestellt. Und was passiert, wenn durch die Nachrüstung der Kraftstoffverbrauch steigt, wie es nach einem Bericht [10] des Focus Tests des ADAC vermuten lassen. Wer kommt in dem Falle für die Mehrbelastung des Verbrauchers auf. Und was passiert, wenn tatsächlich in vielen Städten nicht mehr mit Diesel gefahren werden kann und die alten Fahrzeuge über Nacht unverkäuflich werden?

Parteien am Tropf der Autoindustrie

Fragen über Fragen, denen sich die Verantwortlichen immer noch nicht stellen wollen. Auf dem Diesel-Gipfel bleiben Industrie, Regierung und Gewerkschaften unter sich. Umwelt- und Verbraucherschützer wurden nicht eingeladen.

Kurz vor den Wahlen versucht man ziemlich verkrampft, den Deckel auf dem Skandal zu halten. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel wird dem ganzen fern bleiben [11], damit auch ja kein Wähler auf die Idee kommt, die Frau mit Richtlinienkompetenz könnte vielleicht den Bundesverkehrsminister anweisen, endlich die Reißleine zu ziehen, für Aufklärung zu sorgen, die Unternehmen an ihre Verantwortung gegenüber dem Gesetz und den Käufern zu erinnern und den Weg frei zu machen für einen zügigen Umbau der Produktion.

Doch weit gefehlt. Und wenn man sich die Liste der Großspender der Regierungsparteien anschaut, ist das alles auch nicht so besonders rätselhaft. In den letzten 15 Jahren erhielt die CDU nach Angaben [12] des Spiegels von Daimler bzw. DaimlerChrysler 2,1 Millionen Euro und von BMW 0,83 Millionen Euro. In die Kassen der CSU flossen von BMW 1,44 Millionen Euro. Bei der SPD waren es zwei Millionen Euro von der Daimler bzw. DaimlerChrysler AG und 1,05 Millionen Euro von BMW.

Am Rande sei erwähnt, dass alle drei Parteien weitere Großspenden von diversen namhaften Banken, der Metall- und Elektroindustrie sowie den einschlägigen Energiekonzernen bekamen. Die CDU - mit Abstand die erfolgreichste Spendeneinsammlerin - erhielt in diesem Zeitraum außerdem im erheblichen Umfang Zuwendungen von bekannten Großaktionären wie Stefan Quandt (0,93 Millionen Euro), Susanne Klatten (0,92 Millionen Euro) und Johanna Quandt (0,83 Millionen Euro), die 2015 verstorbene Mutter der beiden. Die beiden Erstgenannten [13] gelten als die reichsten Deutschen und sind unter anderem Großaktionäre bei BMW.

Man darf gespannt sein, wie der Diesel-Krimi in den nächsten Monaten weiter geht. Mit einiger Sicherheit wird das große Erwachen erst nach der Bundestagswahl kommen, aber in den USA ziehen sich bereits neue Wolken über den deutschen Autoherstellern zusammen. Dort könnten die hiesigen Kartellvorwürfe [14] zu Verbraucherklagen und eventuell auch staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen führen, wie die Berliner Morgenpost schreibt [15].

Die Konkurrenz vom Berliner Tagesspiegel attestiert derweil [16] dem Autoland Deutschland einen "Totalschaden". Die "deutsche Schlüsselindustrie" demontiere sich selbst.

Schwimmende Windräder

Und was gibt es sonst noch so aus dem Bereich Energie und Klima in dieser Woche zu berichten? Der US-amerikanisch Branchenverband der Windindustrie, die AWEA, [17] teilt mit [18], dass jenseits des Atlantiks die Windkonjunktur kräftig brummt. Derzeit befänden sich Anlagen mit einer Gesamtleistung von knapp 26 Gigawatt (GW) im Bau oder in einem fortgeschrittenen Planungsstadium. Das seien 41 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. Die USA hätten derzeit 84 GW an Windleistung installiert, womit 25 Millionen Haushalte versorgt werden könnten.

Derweil scheint in europäischen Gewässern der Einsatz von schwimmenden Windturbinen endlich voran zu kommen. Vor der Nordostküste Schottlands werden derzeit fünf Anlagen verankert, die zusammen eine Leistung von 30 Megwatt [19] haben werden. Die Anlagen werden vor der norwegischen Küste zusammengesetzt und über die Nordsee nach Schottland geschleppt. Zum Jahresende sollen sie Strom ins Netz einspeisen. An der Stelle des neuen Windparks ist das Wasser bis zu 120 Meter tief und damit für herkömmliche Offshore-Anlagen ungeeignet.

Am Standort 25 Kilometer vor der Küste [20] gibt es allerdings Kritik von Vogelschützern, wie Energy Voice berichtet [21]. Man habe überhaupt nichts gegen die Anlagen, weil sie weit draußen im Meer schwimmen könnten. In diesem Falle seien sie aber den Brutplätzen an der Küste viel zu nah. (Hier [22] gibt es eine Karte mit der Lage des Windparks.)

Dezentralisierung versus Netzausbau

Und zu guter Letzt nutzt der Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft (BDEW) eine Halbjahresbilanz [23], die für die Erneuerbaren Energieträger mal wieder besonders erfreulich ausfällt, um Druck für den Netzausbau zu machen. Der steigende Beitrag der Erneuerbaren sei erfreulich, doch halte leider "der notwendige Netzausbau nicht annähernd Schritt mit dem Zuwachs an regenerativen Anlagen, weil durch politische Diskussionen viel Zeit verloren ging."

Das sehen allerdings einige deutlich anders. Der Donaukurier berichtete [24] letzte Woche von einer Diskussionsveranstaltung in Nürnberg, auf der sich Bürgerinitiativen und der örtliche Versorger N-Ergie Luft machten. Das Wort von der "Trassenlüge" geht um. Alle in Bayern geplanten neuen Stromtrassen dienten lediglich dazu, ostdeutschen Kohlestrom in den Süden zu leiten. Der Landrat des Kreises Nürnberg hat in der Diskussion von "Monstertrassen" gesprochen und sich für eine dezentrale Versorgung stark gemacht.

Kritisiert wurden zum einen, dass konventionelle Kraftwerke auch bei Überangebot weiter einspeisen dürfen. Zum anderen wurde darauf hingewiesen, dass die Übertragungskapazität bestehender Leitungen durch besseres Management erhöht werden könne. Aus den Küstenländern gibt es bereits Erfahrungen damit, dass bei stärkeren Winden die Leitungen besser gekühlt und daher aufnahmefähiger seien. Das wird dort bereits seit Jahren mit entsprechenden Temperaturfühlern kontrolliert.

Rainer Kleedörfer von N-Ergie forderte auf der Veranstaltung mehr dezentrale Speicher und Gaskraftwerke, um Lastspitzen abzudecken. Außerdem müsse das Übertragungsnetz zurück in die Hand des Steuerzahlers. Sein Unternehmen hatte im vergangenen Jahr eine Studie [25] erstellen lassen, die vorrechnet, wie eine optimierte dezentrale Lösung den Netzausbau überflüssig machen könnte.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3790351

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.welt.de/wirtschaft/article167243445/Dieser-Dieselgipfel-kann-nur-eine-Enttaeuschung-werden.html
[2] http://www.stadtentwicklung.berlin.de/umwelt/umweltatlas/extra/3_12/d312_MC220.htm
[3] http://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/luftqualitaet-2016-stickstoffdioxid-weiter
[4] http://www.umweltbundesamt.de/themen/luft/luftschadstoffe/ozon
[5] https://www.heise.de/tp/features/Verwaltungsgericht-Stuttgart-Fuer-Fahrverbot-bestimmter-Diesel-Fahrzeuge-3785809.html
[6] http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.das-stuttgarter-diesel-urteil-richter-zuegige-fahrverbote-notwendig.c6f26e7c-48f0-44a7-82d4-f85190b576c0.html
[7] http://www.heute.de/dobrindt-zieht-porsche-cayenne-tdi-aus-dem-verkehr-47653188.html
[8] http://www.dw.com/de/dobrindt-verbannt-porsche-modelle/a-39864879
[9] http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.freiwillige-rueckrufaktion-audi-ruestet-850000-diesel-autos-nach.32a405c2-d945-4b1c-b1cb-55c12c0b6f2f.html
[10] http://www.focus.de/auto/news/abgas-skandal/vw-skandal-adac-messung-so-steigt-der-verbrauch-nach-dem-diesel-update_id_5675613.html
[11] http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/diesel-spitzentreffen-krisen-gipfel-ohne-merkel/20121054.html
[12] http://www.spiegel.de/flash/flash-25268.html
[13] http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/susanne-klatten-und-stefan-quandt-die-beiden-reichsten-deutschen/14640690.html
[14] https://www.heise.de/tp/news/Dieselgate-Anzeigen-gegen-Konzern-Vorstaende-eingereicht-3786074.html
[15] https://www.morgenpost.de/wirtschaft/article211379719/VW-Halbjahreszahlen-im-Schatten-der-Kartellvorwuerfe.html
[16] http://www.tagesspiegel.de/politik/diesel-manipulationen-und-fahrverbote-totalschaden-fuers-autoland/20122676.html
[17] http://www.awea.org/
[18] http://www.aweablog.org/second-quarter-2017/
[19] https://www.statoil.com/en/news/hywindscotland.html
[20] http://www.bbc.com/news/business-40699979
[21] https://www.energyvoice.com/otherenergy/145841/145841/
[22] http://www.straitstimes.com/world/europe/worlds-first-floating-wind-farm-taking-shape-off-scotland
[23] http://www.bdew.de/internet.nsf/id/2350EC33074214A2C125816B00298C10?open&WT.mc_id=Pressemeldung-20170728
[24] http://www.donaukurier.de/art596,3473627
[25] https://www.n-ergie.de/header/die-n-ergie/aktiv-fuer-die-umwelt/dezentrale-energiewende.html