Diplomatie: Alles andere als friedlich
- Diplomatie: Alles andere als friedlich
- Gewaltträchtige Verhandlungen und gewalttätige Handlungen gehören zusammen
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Noch beschränken sich die USA und China auf diplomatisches Säbelrasseln. Anders als im Fall von Russland.: Hier herrscht seit dem Angriff auf die Ukraine die Konkurrenz der Waffen – flankiert von den Waffen der Konkurrenz. (Teil 2 und Schluss)
Die Weltmächte USA und Russland tragen ihre gegensätzlichen Interessen in der Ukraine aus. (siehe auch "Wenn zwei Weltmächte streiten") Neben den Waffenlieferungen an Kiew befeuern die US-Amerikaner und die EU den Konflikt mit mehreren Sanktionspaketen gegen Moskau. Der freie Weltmarkt gilt für Russland nicht mehr, dessen Wirtschaft soll massiv geschädigt werden.
Inwieweit dieses Vorgehen Erfolg hat, ist derzeit unklar. Russland wendet sich verstärkt anderen Handelspartnern zu wie China und Indien, verkauft dorthin Öl und Gas. Von einem wirtschaftlichen Desaster ist Moskau noch recht weit entfernt, wie westliche Beobachter zähneknirschend zur Kenntnis nehmen.
Wäre dann nicht gerade in dieser Situation wieder Zeit für Diplomatie? "Wer redet, der schießt nicht", bemerkte schließlich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zu Gesprächen im sogenannten "Normandie-Format" Ende Januar 2022, kurz vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine.
Rund acht Stunden hätten Berater der Regierungschefs aus Deutschland, Frankreich, Ukraine und Russland verhandelt – nachdem zuletzt 2019 solche Gespräche stattgefunden hatten. Baerbock hatte dies in ihrer Rede vor dem Deutschen Bundestag als gutes Zeichen gewertet.
Zu bieten hatten die westlichen Diplomaten der russischen Gegenseite aber offenbar herzlich wenig. Von der Perspektive der Ukraine in der Europäischen Union und der Nato rückten die Politiker nicht ab. Damit erteilten sie dem russischen Sicherheitsinteresse zum wiederholten Mal eine Absage: nämlich der Forderung nach einer militärisch neutralen Ukraine, die nicht als Aufmarschgebiet westlicher Raketen gegen Moskau dient.
Wenig später griff Russland die Ukraine an. Die Politik habe "versagt'" heißt es in solchen Fällen stets, auch dieses Mal. Nur, an welchem Maßstab gemessen haben hier Politiker ihren Job nicht gemacht?
Wer acht Stunden zusammenhockt, und am Ende geht man ohne ein Ergebnis auseinander – da wird man sich sicher nicht acht Stunden angestarrt und nichts gesagt haben. Sondern die eine Seite hat offenbar darauf beharrt, die Ukraine als Frontstaat gegen Russland aufzurüsten.
Und die andere hat erklärt, dies nicht dulden zu wollen. Gewiss, ob dafür unbedingt acht Stunden nötig waren... Denn zuvor hatte der Westen den russischen Standpunkt immer wieder laut ignoriert. Was sollte also bei einem solchen Treffen herauskommen?
Nun, das weiß man vorher halt nicht. Und es ist für die jeweilige Seite interessant, ob die eigene Drohung doch verfängt, mithin die andere Seite zu Zugeständnissen bereit ist. Im Fall Ukraine nahm die russische Seite aber nach mehreren Monaten der Ablehnung seines Sicherheitsinteresses durch die Gegenseite zur Kenntnis: Einer ernsthaften Erwägung geschweige denn Berücksichtigung ist dieses Anliegen aus Sicht der USA wie auch in deren Schlepptau Deutschlands und Frankreichs nicht würdig.
Krieg ist die Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln
"Versagt" haben die Politiker hier nur in einer Hinsicht: Sie haben ihre jeweilige Position nicht durchsetzen können. Weder haben USA, Deutschland & Co. Russland davon "überzeugt", die Eingemeindung der Ukraine in das westliche Lager hinzunehme, noch hat Russland es geschafft, dass Nato und EU von der Ukraine die Finger lassen.
Das ist schließlich der Maßstab der Diplomatie: Erfolgreich die eigenen Interessen gegen die anderer Nationen zu behaupten. Die Diplomaten haben deshalb im Handgepäck stets ihre verfügbaren Lockungen, Drohungen und Gewaltmittel dabei – auf dass diese beim Gegenüber verfangen.
Wenn die Diplomatie die gewünschten Ergebnisse zeitigt, bleibt der potenzielle Einsatz von Waffen in der Tasche. Wenn nicht, wird der Colt gezogen. Man kann es auch in Anlehnung an den bekannten Satz von Clausewitz so formulieren: Krieg ist die Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln.
Ihren trotz allem guten Ruf verdient sich die Diplomatie mit der schlichten Tatsache, dass das Verhältnis der miteinander verhandelnden Herrschaften ohne Waffengang geregelt wird. Man begegnet sich betont friedvoll – denn man könnte bekanntlich auch ganz anders.
Ausgiebig wird gegenseitig Respekt vor der anderen Gewalt bekundet, sprich: Sie wird nicht bestritten, was sonst zu einer potenziellen Kriegsfrage würde. Denn fehlender Respekt wäre gleichbedeutend mit Nichtanerkennung des anderen Souveräns und stellt damit dessen Gewaltmonopol über Volk und Land in Frage.
Beispielsweise rührten daher die diplomatischen Verrenkungen im einstigen Verhältnis der BRD zur DDR. Schließlich wollte die Bundesrepublik den Anspruch auf "ihre deutschen Landsleute" drüben nicht aufgeben. Also verdiente dieser Staat nicht den normalen Respekt, seine Hoheit wurde ihm grundsätzlich bestritten. Andererseits wollte man aber mit der DDR ein Verfahren finden, um mit ihr ins Geschäft zu kommen und sie politisch zu beeinflussen.
Die diplomatischen Rituale manifestieren sich unter anderem in Militärparaden, roten Teppichen, Eintragungen in goldene Bücher, vertraulichen Gesprächen in prunkvollen Räumen, freundlichem Händeschütteln für die Kameras, Pressekonferenzen und natürlich dem "Bad in der Menge", wenn noch Zeit bleibt. In welchem Umfang dies geschieht und welche Funktionsträger der politischen Elite zusammenkommen, zeigt den Stand der staatlichen Beziehungen an. Gute Freunde kommen in den Genuss der ganzen Palette.
Weniger gute und wichtige müssen schon einmal mit einem Kurzprogramm vorliebnehmen. Dann empfängt sie keine große Militärparade, der Teppich bleibt im Keller, und der ausländische Repräsentant bekommt keine Audienz beim Kanzler, sondern nur beim Staatssekretär.
"Offene Aussprachen" umschreiben im Diplomatendeutsch weiter bestehende gegensätzliche Auffassungen. "Unverbrüchliche Freundschaften" halten so lange, bis sich ihr Gegenteil als opportun erweist. "Wichtige Partner", wie China, können gleichzeitig "Systemrivalen" sein. Bei alldem äußern Diplomaten ihre Forderungen in der Regel nicht unverblümt, sondern im Namen übergeordneter Werte und gemeinsamer Interessen.
Es geht dann um "wirtschaftliche Zusammenarbeit", wenn der Weg für das Kapital der einen Seite geebnet wird, auf dass es auf der anderen Seite die dortigen Ressourcen und Menschen profitabel nutzen kann. Diplomatische Initiativen, die einem nicht passen, werden nicht schlicht abgelehnt, sondern "zurückhaltend aufgenommen". "Sorgen" bringen Diplomaten zum Ausdruck, wenn ihnen eine Entwicklung in einem Land nicht passt.
Dabei beziehen sie sich oft auf eine "internationale Ordnung", gegen die verstoßen würde. Eine Ordnung, die sie zwar selbst vorgeben und gestalten, aber die sie als etwas Drittes, Übergeordnetes und damit Unwidersprechliches anführen.
Dazu zählen auch die beliebten Klagen über verletzte Menschenrechte. Sie werden stets in Anschlag gebracht, um die Unzufriedenheit mit dem politischen Verhalten eines anderen Staates zum Ausdruck zu bringen und Druck auszuüben.
Im Falle der verblichenen Sowjetunion ein bewährtes Verfahren, und auch aktuell gegenüber China (Uiguren) ein beliebtes Mittel. Wo die "Menschenrechtsfrage" indes nur die guten Beziehungen beeinträchtigen würde, wird sie auch nicht ernsthaft gestellt (Saudi-Arabien u.a.). Zur Hochform läuft neuerdings die deutsche Diplomatie auf: Sie ist nun auch noch "wertebasiert" und "feministisch".
Im Namen dieser Attribute lassen sich alle Handlungen des Auslands aus einer höheren Warte be- und verurteilen. Die Einschätzungen folgen damit nicht einfach Kalkulationen, wie sie deutschen Interessen genügen oder widersprechen. Vielmehr wird ein Kanon "guter Politik" exekutiert in Gestalt deutscher Diplomatie, allen voran durch die Bundesaußenministerin.