Drohnen-Krieg eskaliert: Vorwürfe gegen EU- und Nato-Staaten Estland und Lettland
Massive Angriffe auf Kiew und Gegenattacken auf zahlreiche Ziele im Westen Russlands. Nähe zu baltischen Staaten wirft Fragen auf. Wie Moskau nun reagiert.
Im Zuge der ukrainischen Offensive gegen die russischen Truppen in der Ukraine haben sich die Kämpfe in den letzten Tagen deutlich intensiviert. Es kam vermehrt zu Gefechten zwischen Bodentruppen auf ukrainischem Territorium, gleichzeitig griffen Drohnen verstärkt Ziele in Russland an.
Auch die ukrainische Hauptstadt Kiew wurde in der Nacht zum Donnerstag von schweren russischen Luftangriffen erschüttert. Bürgermeister Vitali Klitschko sagte, mindestens zwei Menschen seien dabei getötet worden.
Moskau verschärft angesichts der Entwicklung den Ton und wirft westlichen Regierungen vor, sich angesichts der stockenden ukrainischen Gegenoffensive verstärkt in den Krieg einzumischen. Kremlnahe Akteure beschuldigen die EU- und Nato-Staaten Estland und Lettland, direkt in kriegerische Handlungen verwickelt zu sein.
Die russische Regierung hat am heutigen Mittwoch umfangreiche ukrainische Drohnenangriffe auf Ziele im Westen des Landes gemeldet. Die Angriffe seien aus mindestens sechs Regionen gemeldet worden, teilten die Behörden mit.
Die russische Nachrichtenagentur Tass meldete unter Berufung auf Rettungskräfte, auf dem Flughafen der Stadt Pskow seien vier Transportflugzeuge vom Typ Il-76 beschädigt worden. Zwei der Maschinen hätten nach einem mutmaßlichen Drohnenangriff Feuer gefangen.
Pskow ist die Hauptstadt des gleichnamigen Gebiets. Der angegriffene Flughafen liegt fast 700 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, aber in unmittelbarer Nähe zu Lettland und Estland. Diese beiden Anrainerstaaten gehören sowohl zur Europäischen Union als auch zur Nato.
Der Flughafen blieb am Mittwoch für den zivilen Flugverkehr geschlossen. Ein von Gouverneur Michail Wedernikow veröffentlichtes Video zeigte ein Großfeuer und große schwarze Rauchwolken über dem Flughafen, außerdem waren Explosionen und Sirenen zu hören.
Nach Einschätzung westlicher und russischer Medien war die Bombardierung von Pskow Teil der bislang größten ukrainischen Angriffswelle auf russisches Territorium seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar vergangenen Jahres.
Nach Angaben der russischen Behörden wurden ukrainische Drohnen auch über den Gebieten Moskau, Brjansk, Orlow, Rjasan und Kaluga abgeschossen. In Brjansk habe die Ukraine versucht, mit den Fluggeräten einen Fernsehturm anzugreifen.
Russland sieht den Westen in Angriffe verstrickt
Die massiven Drohnenangriffe sind offensichtlich Teil der ukrainischen Offensive; der Präsident des Landes, Wolodymyr Selenskyj, hatte jüngst eine Intensivierung der Kampfhandlungen angekündigt. Entsprechend scharf ist die Reaktion auf russischer Seite.
Die Drohnenangriffe auf russisches Territorium würden nicht ungestraft bleiben, hieß es aus dem Außenministerium in Moskau. Die Tatsache, dass die Drohnen von Luftwaffenstützpunkten hunderte Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt hätten angreifen können, zeige, dass diese Militäraktionen nur mit Informationen aus dem Westen möglich gewesen seien, sagte Ministeriumssprecherin Maria Sacharowa.
Der regierungskritische ukrainische Politiker und Journalist Dimitri Vasilets, der bereits vor dem russischen Angriff ins Visier des ukrainischen Geheimdienstes SBU geraten war, machte die Nachbarstaaten direkt verantwortlich, ohne jedoch Beweise vorzulegen:
Nach unseren Informationen wurde der Kamikaze-Drohnenangriff auf den Militärflugplatz in Pskow vom Territorium der Nato-Staaten Estland und Lettland aus unter voller Kontrolle der britischen und amerikanischen Geheimdienste durchgeführt.
Das russische Militär rechnete nicht mit einem Drohnenangriff vom Territorium der Nato-Länder aus. Es wurden militärische Drohnen eingesetzt, die gegen Störsender, die den Flugplatz schützen, gewappnet sind.
Das ist im Grunde ein kriegerischer Akt, denn der Nato-Block geht offen auf Konfrontationskurs und provoziert einen direkten militärischen Angriff der Luftwaffe der Russischen Föderation auf Estland und Lettland.
Die russische Armee könne nun leicht Kamikaze-Drohnen ohne Hoheitsabzeichen gegen militärische Einrichtungen in Lettland und Estland einsetzen, warnte Vasilets. Krems-nahe Blogger rufen auf der Plattform Telegram bereits offen zu entsprechenden Angriffen auf.
Ukrainische Bodenoffensive vor erheblichen Herausforderungen
Das russische Militär teilte indes mit, im Schwarzen Meer seien vier ukrainische Schnellboote mit bis zu 50 Fallschirmjägern an Bord angegriffen und zerstört worden. Angeblich soll damit ein ukrainischer Angriff auf die russisch kontrollierte Halbinsel Krim von See aus vereitelt worden.
Die Ukraine hatte im Juni eine neue Gegenoffensive gegen die russischen Invasionstruppen gestartet, die aber nur langsam vorankommt. Allerdings hat sie in den vergangenen Wochen verstärkt Nachschubwege hinter der Front und auch russisches Territorium wie die Hauptstadt Moskau mit Drohnen angegriffen.
Am Montag hatten Militärsprecher der Ukraine erklärt, man habe das Dorf Robotyne im Süden des Landes zurückerobert. Die US-Tageszeitung New York Times (NYT) bezeichnete dies als einen "taktischen Sieg, der die enorme Herausforderung unterstreicht, vor der die Gegenoffensive Kiews steht, wenn sie durch die tiefe und dichte russische Verteidigung dringen will". Dazu die NYT:
Die ukrainische Gegenoffensive, die Anfang Juni begann, ist jedoch nur wenige Meilen nach Süden vorgerückt, um Robotyne zu erreichen, und zwar unter heftigen Kämpfen mit schweren Verlusten an Menschen und Material und über eine ähnliche Distanz auf einer anderen Achse im Osten. Das Endziel des Vorstoßes nach Robotyne ist die Stadt Melitopol, etwa 45 Meilen weiter südlich, und auf dem Weg dorthin befinden sich weitere russische Verteidigungsanlagen.(…)
Aber selbst mit dem westlichen Arsenal war der Vormarsch langsam und kostspielig und wirft die Frage auf, wie weit die Ukrainer gehen können. Etwa 15 Meilen südlich von Robotyne liegt die russisch kontrollierte Stadt Tokmak, ein Straßen- und Eisenbahnknotenpunkt, dessen Rückeroberung von strategischer Bedeutung wäre. Satellitenbilder zeigen jedoch, dass die ukrainischen Streitkräfte, um Tokmak zu erreichen, zwei weitere russische Verteidigungslinien durchbrechen müssten, die aus Schützengräben, dichten Minenfeldern, Erdwällen und Panzersperren bestehen.
New York Times
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