Droht nach der Corona-Panik die Fake-News-Paranoia?
Eine ARD-Dokumentation wurde kurz vor Ausstrahlung zurückgezogen, weil sie zu chinafreundlich war
Wenn es um Zensur geht, steht für die öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland China natürlich weit vorn. Doch wie soll man es bezeichnen, wenn die ARD die für Montagabend terminierte Ausstrahlung der Dokumentation "Wuhan - Chronik eines Ausbruchs" wenige Stunden vor dem Sendetermin zurückzieht und sie auch noch aus der Mediathek entfernt, in der sie schon zu finden gewesen ist?
Irreführende Erklärung zur Absetzung der Dokumentation
Bei der intensiven redaktionellen und rechtlichen Prüfung war es dem SWR wichtig, dass der Film allen journalistischen und juristischen Ansprüchen genügt. Wie der SWR erst am gestrigen Sonntag erfahren hat, kann die beauftragte Produktionsfirma dem SWR nicht die erforderlichen Rechte am verwendeten Filmmaterial des China Intercontinental Communication Center einräumen. Damit fehlt eine Grundvoraussetzung für die beim SWR gültigen journalistischen Standards für das Verwenden von fremdem Rohmaterial. Da eine einvernehmliche und für den SWR akzeptable Rechteklärung zwischen dem Produzenten und CICC leider nicht erreichbar erscheint, plant der SWR derzeit keine Ausstrahlung. Der SWR bedauert diese kurzfristige Absage und bittet dafür um Verständnis.
Aus der Erklärung der SWR
Doch diese Erklärung verschleiert mehr, als sie erklärt. Schließlich gab es in den letzten Tagen in verschiedenen Medien in Deutschland eine massive Kampagne gegen die Ausstrahlung des Films mit der Begründung, hier werde Material einer chinesischen Staatsfirma verwendet. Unter der Überschrift "Chinesische Propaganda im SWR" hatte die FAZ die Kampagne befeuert und auch klar ausgedrückt, um was es hier geht.
Peking will, dass sein Kampf gegen Corona auch im Ausland als Erfolgsgeschichte gesehen wird. Ein Film für die ARD strickt mit chinesischem Material an dieser Legende mit… Mit diesem Ziel hat die staatliche Produktionsfirma CICC der Gebrüder Beetz Filmproduktion einen Propagandafilm über den Ausbruch des Virus in Wuhan angeboten.
Friedericke Böge, FAZ
Damit wird noch mal klar, wie irreführend die SWR-Erklärung ist, wenn der Eindruck erweckt wird, es ginge um Rechte des CICC, obwohl die Firma der Produktionsfirma den Film angeboten hat.
Tatsächlich geht es darum, dass sich im Kampf der kapitalistischen Blöcke EU, China und USA die Fronten verhärten. In Zukunft soll die offizielle chinesische Seite in öffentlich-rechtlichen Medien möglichst nicht mehr dargestellt werden.
Zensur als Kampf gegen "Fakenews"
Das ist längst kein Problem mehr, dass nur Deutschland betrifft. Eine Task Force gegen "Fakenews" hat alle die Kräfte im Visier, die nach Ansicht der EU-Apparate Konkurrenten sind. Dazu gehört neben Trump in den USA auch Russland und China.
So wurden von der Vizechefin der EU-Kommission, Věra Jourová, China und Russland beschuldigt, mit Fakenews in der Corona-Krise sogar die Gesundheit der EU-Bürger gefährdet zu haben.
Da fragt auch die gewiss nicht chinafreundliche Taz kritisch nach:
Beweise blieb die Tschechin allerdings schuldig. Auf Nachfrage der taz, welchen Schaden Falschinformationen zu Corona angerichtet haben, erklärte sie, man habe noch keine Folgenabschätzung gemacht und könne daher auch keine Zahlen liefern. Allerdings mache man sich auch um Deutschland Sorgen.
Taz
Dabei zeigt die Taz auch, warum in der letzten Zeit verstärkt auch China ins Visier einer EU-Expertengruppe geraten ist, die sich gegen angebliche Desinformation wendet.
Aufgeschreckt von Berichten über chinesische Coronahilfen in Italien oder Serbien, begann Brüssel, seine Experten auch auf Peking anzusetzen.
Taz
Also geht es nicht darum, dass China die Gesundheit von EU-Bürgern bedroht. Vielmehr hat das Land in einer Zeit, als nach Beginn der Corona-Krise alle EU-Staaten, Deutschland an vorderster Front, ihre Grenzen dicht machten, Medikamente und Atemschutzgeräte geliefert. Dafür haben sich die Politiker aus Italien und verschiedener Balkanstaaten bedankt.
Für den EU-Apparat war das nicht etwa ein Grund, über ein transnationales Gesundheitssystem nachzudenken, das überall in der Welt Menschen eine medizinische Unterstützung auf der Höhe des aktuellen Forschungsstands ermöglicht. Der erste Schritt wäre ja, dass Gesundheit zu einer weltweiten Aufgabe erklärt wird, bei der Ländergrenzen und Wirtschaftsblöcke keine Rolle spielen.
Nur ist ein solches Vorgehen in einer kapitalistisch verfassten Welt nicht möglich und die EU zeigt das mit ihrer Reaktion besonders deutlich. Medizinische Hilfe "vom Feind" wird zum Anlass genommen, China nun besonders zu bestrafen. Da hören sich die Vokabeln schon fast so an, als bliebe es nicht bei einem kalten Krieg.
Desinformation wird sogar als Bedrohung der inneren und äußeren Sicherheit wahrgenommen, wie die aktive Beteiligung des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell zeigt. Europa müsse Propaganda aus Russland oder China abwehren und seine Werte verteidigen, sagte Borrell. Dabei müsse man auch mit der Nato und der G7 zusammenarbeiten.
Taz
Ist es nicht eine Schwäche, die Dokumentation nicht auszustrahlen?
Die Zensur der Dokumentation "Wuhan - Chronik eines Ausbruchs" ist Teil dieses Krieges der Machtblöcke. Nun gibt es für Kritiker der weltweiten Corona-Panik sicher auch genügend Grund, die Maßnahmen autoritärer Staatlichkeit in China zu hinterfragen. Weniger Grund dazu haben die meisten Politiker und Medien in Deutschland, die in den letzten Wochen kaum Kritik an den hiesigen Notstandsmaßnahmen zulassen wollten und die Lockerungen teilweise bekämpften.
Dass es auch in China nicht nur bei Maßnahmen der autoritären Staatlichkeit geblieben ist, sondern dass dort auch in kurzer Zeit die medizinischen Maßnahmen hochgefahren wurden und Kliniken in Rekordzeit errichtet wurden, hätte man vielleicht durch die Dokumentation erfahren. Mediziner in Deutschland haben wiederholt darauf hingewiesen, dass man da durchaus von China und gerade China lernen kann.
Wenn schon eine solche Dokumentation als Bedrohung wahrgenommen wird, und die Propaganda vom mündigen Bürger, der sich selber seine Meinung bilden soll, plötzlich keine Rolle mehr spielt, muss die Angst groß sein. Droht nach der Corona-Panik die Fake-News-Paranoia? (Nicht Fake News, sondern verwirrende Äußerungen der Regierung sind das größere Problem)
Es bleibt zu hoffen, dass es genügend Menschen gibt, die sich selbst ein Urteil über die Dokumentation bilden wollen und den Sender auffordern, die Dokumentation wieder in der Mediathek verfügbar zu machen.