"Du sollst nicht funktionieren"

Bitte geben Sie mir mein Geld zurück, Frau von Schirach!

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Mein folgenschwerer Fehltritt in die Welt der Überarbeitung ereignete sich im Jahr 2007: Damals war ich mitten in der Promotionszeit. In der bildgebenden Hirnforschung herrschte Goldgräberstimmung. Und auch das öffentliche Interesse war groß. So erhielt selbst ein Anfänger wie ich viele Vortragseinladungen: Über Hirnforschung. Über Philosophie. Über Hirnforschung und Philosophie. Über Neuroethik. Über das Menschenbild. Oder schlicht über das Leben, das Universum und den ganzen Rest.

Natürlich schmeichelte mir dieses Interesse. Aus heutiger Sicht war das Arbeitspensum Wahnsinn. Ich dachte immer öfter, dass ich das nicht länger ohne Laptop schaffen würde. Die Reisezeit zu den Tagungsorten musste ich produktiv nutzen. So passierte schließlich auch, was ich partout vermeiden wollte, wurde gar zu Regel: Ich erstellte Vorträge erst nach Abfahrt des Zuges. Kann man mit 27 Jahren einen Herzinfarkt bekommen? Wahrscheinlich wäre so etwas passiert, wenn mein Laptop gecrasht und ich ohne Vortrag beim Gastgeber angekommen wäre.

Anstatt immer mehr Vortragseinladungen anzunehmen und mir einen Laptop zu kaufen - den ich mir dank des knappen Doktorandengehalts übrigens durch Nebenjobs verdienen musste, wie den einen oder anderen Artikel, den Sie damals vielleicht von mir gelesen haben -, hätte ich schlicht konsequent "nein" sagen müssen. Doch so reflektiert und weise war ich damals nicht. Und mich hat auch niemand gewarnt.

Zum Neinsagen gezwungen

Eine Anekdote aus dem Jahr 2013, also sechs Jahre später: Damals passierte es zum ersten Mal, dass ich einen Vortrag nicht halten konnte; oder sagen wir: beinahe nicht halten konnte. Ich sollte am Universitätsklinikum Aachen über Enhancement/Gehirndoping sprechen. Einen Tag vorher hatte ich mich noch mit einer alten Kommilitonin getroffen. War das vielleicht in Düsseldorf gewesen? Oder in Duisburg? Ich erinnere mich nur noch an einen immensen Herbststurm, es war Ende Oktober, der mir die Blätter nur so um die Ohren wirbelte.

Die frühere Kommilitonin hatte ich seit Jahren nicht mehr gesehen. Es gab also viel zu erzählen. Am Ende des Tages war ich ganz heiser, trotz Tee mit Honig. Und am Tag des Vortrags hatte ich nur noch eine krächzende Stimme. In einer Apotheke in Aachen sagte man mir, ich hätte wohl eine Kehlkopfentzündung. Da könne man nichts machen. Man verkaufte mir dann doch eine Art Dauerlutschbonbon, das sich bei Theaterschauspielern und Sängern bewährt hätte.

Am Abend stand ich dann in dem großen, vielleicht zur Hälfte gefüllten Vorlesungssaal; stand ich ohne Stimme. Oder so gut wie. Nach der obligatorischen Vorstellung krächzte ich eine Viertelstunde meine wichtigsten Schlussfolgerungen ins Mikrofon und zeigte dann einen Film. Ein paar Leute gingen. Ein paar Mediziner luden mich danach noch zum Essen ein. Da musste ich noch weiter reden. Oder es zumindest versuchen. Ich war froh, als ich schließlich im Bett landete und diesen Tag hinter mich gebracht hatte. Endlich durfte mein Kehlkopf ruhen.

Dieses Ereignis setzte jedenfalls einen Lernprozess in Gange, nicht mehr zu viel zu tun; und Symptome ernster zu nehmen. Vor allem dann, wenn man vor Medizinern spricht. So weit war ich aber 2007 noch nicht. Ich würde mein Lehrgeld noch bezahlen müssen - und damit meine ich nicht die Kosten für den Laptop, sondern Haarausfall, Schwindel, Blasen- und später auch Nierenschmerzen, für die zahlreiche Fachärzte keine Erklärung fanden.