E-Commerce-Mythen und Verbraucher-Disparitäten

Nach dem "New Economy"-Crash wird es auch für die mitteleuropäischen Haushalte künftig kommunikationstechnologisch wohl enger werden

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Verbraucher-Disparitäten sind aber nur eines der Themen auf der Tagung "Projekt Internet Ombudsman" in Wien am 19. und 20. April 2001. E-Commerce, nichts anderes eigentlich als "elektronischer Versandhandel", hat schon seine gewissen Vorteile, aber da gibt es für Verbraucherschützer noch viel zu tun. Und eines kommt hinzu: so beruhigend und bereinigend der Einbruch im Hype der "New Economy" auch war, es hat damit wohl auch das Aufräumen bei den vielen Mythen rund um die Neuen Kommunikationstechnologien begonnen.

Die Entwicklungen im Bereich der Neuen Kommunikationstechnologien (bzw. der Vermarktung neuer Kommunikationstechniken) sind einerseits schnell, andererseits nun auch für Mehrheiten im Alltag spürbar geworden. Das geliebte "Handy" ist für viele nicht mehr wegzudenken, der PC ist eine Realität in der Wohnung - knapp die Hälfte der deutschen Haushalte hatten 2000 zumindest einen PC herumstehen, 30 Prozent ein Handy, 16 Prozent einen privaten Internetanschluß (so das Statistische Bundesamt mit der LWR 2000). Natürlich gibt es hiervon auch schönere Zahlen, etwa bei der deutschen GfK, danach sind 46 Prozent schon online, aber diese "Unschärfen" sollen hier vorderhand keine Rolle spielen.

Geschwindigkeit und Mobilität

Politik und Wirtschaft promoten E-Commerce und E-Government - und meinen doch immer nur ihren eigenen, persönlichen Profit damit. Ein aufmerksamkeitsökonomisches Mitschwimmen.

Für die be-promoteten Verbraucher sieht es anders aus: Die neuen - in die Haushalte hineinvermarkteten und mithilfe der Medien auch hineingepreßten - Konsumtechnologien erzeugen Geschwindigkeit. Sie schaffen Mobilitätsdruck und forcieren jene unsagbar schöne "Modernität", die besseren (schnelleren) Individualverkehr, eine hübsche "Telepräsenz", für diejenigen, die dies unter Machtgesichtspunkten zu nützen verstehen, oder sichs leisten können, verspricht. Eine schöne, erstrebenswerte Automatisierung des Alltags, massenhaft Kommunikation, und vieles andere noch dazu.

Die Technologien kommen...

...aber nicht für Alle

Zeitvorteile und mehr Distinktion (also Aufmerksamkeitsgenerierung), für die, die dies nutzen können und wollen, gibt es mit Handy, mit Computer und Email zuhause, die nächsten derartigen Vermittler sind die allgegenwärtigen PDAs, die Verkehrstelematik ist schon in den teuren Autos drin, das vollelektronisierte Smart Home (oder in der Microsoft-Variante) und bald schon mit Hondas Asimo-Robot , der anders als Sonys Spielzeughündchen, mit einem auch beim samstäglichen Einkauf nebenher trabt. Die technologische Entwicklung - früher konnte man dazu "Nachrichtentechnik" sagen, aber das ist schon lange her - geht weiter. Aber wohl wesentlich gebrochener als bisher. Der Grund ist einfach: die Mehrheiten kommen schön langsam finanziell ins Schleudern und können nicht mehr mithalten. Wenn man so will: das bisherige Wertkarten-Handy war die letzte demokratische - weil vergleichsweise preiswerte - Form der neuen Kommunikationstechnologien für alle.

Rationalisierung beinhart durchgezogen...

Rainer Bernnat von Booz, Allen & Hamilton, ein multinationales Consultingunternehmen, das mittlerweile auch deutsche Gewerkschaften und die Deutsche Bundesregierung berät, erklärte kürzlich auf der Tagung der deutschen Haushaltswissenschafter in Bonn recht unverblümt: E-Government ergibt Sinn nur dann, wenn alles nur mehr elektronisch läuft, - wer da persönlich noch was will, hat dann halt Pech gehabt.

Die Meldung, dass Unternehmensberater mittlerweile alle beraten, führte übrigens auf der einen Seite zu Bewunderung, auf der anderen Seite aber zur berechtigten Frage, ob eine Unternehmensberatung für den Staat oder Gewerkschaften, die ja definitorisch bislang noch keine Unternehmen sind, wirklich die geeignete Beratungsinstanz wären.

Klar muß allen sein, dass - das bestätigt auch Booz, Allen und Hamilton - E-Commerce und E-Government nichts anderes sind als eine, von manchen als praktisch empfundene, Verlagerung von Kosten von Unternehmen und Staat auf die Haushalte. Das alte Konzept des Self service: Du hast zwar mehr Arbeit, - dafür is es ein klein bisschen billiger.

Druck auf individuelle Konsumniveaus

Zurück zu unserem Thema. Klar, mit dieser politisch und medial mitgesteuerten Informatisierung des Alltagslebens, der Nutzung neuer Kommunikationsformen und mit individualisierten Arbeitsformen, etwa Telearbeit, nehmen die Anforderungen an die individuellen Konsumniveaus zu. Man muss auch zuhause dauernd technisch aufrüsten, nachinvestieren, ergänzen; dass dabei die Planbarkeit der Erwerbslebensformen für die meisten Menschen abnimmt und ebenso die individuelle Zeitverfügbarkeit drastisch reduziert wird, stört im Zeitalter des "lebenslangen Lernens" allerdings kaum jemanden mehr.

Vernetzungskosten

Eine Grundinformatisierung eines Haushalts kostet heute, rechnet man solide und ehrlich - also auch die zwei- oder dreijährlichen Neuinvestitionen und Erweiterungen und Ergänzungen mit (wie sichs gehört) - so an die 450 DM im Monat, plus 8 Stunden Transaktionskosten monatlich. Dafür hat man dann auch einen halbwegs modernen PC komplett, ein Mobiltelephon, eine kleine Telephonanlage zuhause und einen PDA. Noch keine exzessive Nutzung, sondern alles moderat.

Die wirtschaftlich schwächeren Haushalte kommen da nicht mit, selbst die wirtschaftliche Mittelschicht muss sich in ihren Budgets umorganisieren, um hier mithalten zu können.

Angebote werden kostenpflichtig

Dazu kommt, dass die gegenwärtigen kostenlosen Internet-Angebote (Medien, Unterhaltung etc.) sich über kurz oder lang in kommerzielle kostenpflichtige Angebote und in kommerzielle werbefinanzierte Angebote aufteilen werden. Der Eiertanz rund um Napster war hier erst ein Anfang. Und der Absturz der "New Economy", das Platzen der Seifenblase, dem die konventionellen Ökonomieprognostiker noch verwundert zusehen, verstärkt den Kostendruck. Micropayment-Formen gibt es ohnedies schon genug (vgl. Joachim Henkel), es braucht nur den breiten Hebel.

Qualitätvolle öffentliche Angebote bleiben dann da - außer im administrativen Bereich (wo es um Rechtsmaterien, um das Service von Gebietskörperschaften für ein rationelles E-Government, etc. geht) - wohl eher eine seltene Ausnahme.

Soziale Disparitäten steigen

Die in der letzten Zeit in den Markt gestellten Techniken generieren durch ihre hohen Entwicklungsgeschwindigkeiten fortwährend neue Konsumerfordernisse. Das ist absehbar, auch wenn die New-Economy-Blasen platzen. Für die wirtschaftlich starke Schicht wird dies kein großes Problem darstellen, sondern eher eine Chance, um die Distinktionen, den Abstand, die Unterscheidungen zu verschärfen. Im gewissen Sinn wählerisch, aber insgesamt schon freundlich, werden die wirtschaftlich starken Haushalte die neue Konsumtechnik übernehmen und - wie bislang gehabt - von den jungen Medienleuten als die wahrhaften Schrittmacher von Fortschritt gefeiert werden.

Die wirtschaftlich Schwachen werden da niemals mehr mithalten können, - das ging noch beim Radio, beim Auto, beim Fernsehen, denn diese Techniken penetrierten die soziale Wirklichkeit vergleichsweise langsam. Das ging auch noch beim Internet - mit einem hohen Druck durch Politik und Medien.

Zerreißprobe für die Mittelschichten

Und, die wirtschaftliche Mittelschicht wird da ein großes Problem bekommen. Wenn man mit dem modernen Standard Schritt halten will, heißt das, dass man aber anderswo zu sparen hat. Denn die zur Verfügung stehenden Mittel sind und bleiben knapp. Und weiter, wenn man nicht Schritt halten kann, versinkt man ins Proletaroide; - genau hier sieht man den Druck, der spaltet. Vor dem man Angst hat, den man fürchtet, und wo man im Zweifelsfall sich am Kindswohl arrangiert. Längst haben da die Schulen vorgesorgt - ein Kind ohne PC gilt nicht, Schüler ans Netz, heißt die Devise, auch wenn niemand weiß, zu was das für Volksschulkinder wirklich gut sein soll (vgl. Cliff Stoll). Nun immerhin kann man Experten aus der Administration, Abgeordnete und Professoren sekkieren: "Hi, schicken Sie mir sofort alles zu Verpackungen. Heidi." (Heidi, eine 14 jährige Schülerin aus dem Sauerland, hat von ihrer Lehrerin eine Hausaufgabe gekriegt.)

E-Commerce-Mythen

Gerade mal so 4 bis 5 % des klassischen Versandhandelsumsatzes wurde im Jahr 2000 in Österreich - das bei Internet und Handy doch ein deutliches Stückchen vernetzter ist als Deutschland - mit ECommerce gemacht. So die Ergebnisse von Integral und GfK. Früher einmal gab es dazu Quadrillionen-Prognosen.

Nun, das ist die eine Seite. Die andere ist: mit dem weit besseren CMR (Customer Relationship Management) durch das elektronische Handling ist es bei den Unternehmen offenbar doch nicht so weit her. Sendet man an die Top-400 Unternehmen Österreichs, die sich im Netz der Netze präsentieren, eine Kundenanfrage per Email, dann sieht die Reaktion so aus: - 11 Prozent haben eine Adresse, die aber nicht funktioniert, - 30 Prozent antworten niemals.

Zwischenresumee:

Zum Ersten:
Unternehmen und Konsumenten haben bei der modernen Nachrichtentechnik - um das einmal so altmodisch zu sagen - wohl noch viel zu lernen, der Umgang mit der schönen neuen ECommerce-Welt ist nicht ohne Probleme. Und beiden Parteien muss man wohl unterstützend und kritisch beistehen.

Einerseits mit Mediatoren - wie dem Internetombudsman. Und andererseits mit weiteren Wahrnehmungs-Hilfen: in Österreich wurde dazu das österreichische E-Commerce-Gütezeichen entwickelt.

Und zum Dritten ist vielleicht doch eine Zuschärfung der Wahrnehmung von Risken und von Zielen notwendig. Nur schneller, irgendwie schöner und so weiter, das kanns nicht sein.

Zum Zweiten:
Wer nur mit positiven Schalmeientönen auf "Förderung" der neuen Technologien macht, handelt eigentlich fahrlässig, da die Probleme die dabei unweigerlich anstehen, unter dem Tisch bleiben. Etwa:

  1. Risken für kleine und mittlere Unternehmen,
  2. Risken für Anleger - siehe "New Economy - Crash",
  3. Risken für Verbraucher,
  4. hohe indirekte Kosten für Verbraucher,
  5. gravierende Datenschutzprobleme, und natürlich
  6. Datenschutzprobleme besonders für Kinder/ Jugendliche, wenn man hier an moderne Prinzipien wie "Schulen ans Internet" etc., denkt.