Todesfallen aus Beton: Deutschlands marode Brücken
Deutsche Brücken in Gefahr: Experten warnen vor maroder Infrastruktur. 43 Autobahnbrücken als "ungenügend" eingestuft. Droht der nächste Einsturz?
Eine aktuelle Datenauswertung von Experten der Bundesgütegemeinschaft Instandsetzung von Betonbauwerken zeigt, dass zahlreiche Autobahnbrücken in Deutschland in einem beklagenswerten Zustand sind.
Die Analyse, über die die Nachrichtenagentur dpa zuerst berichtete, zeigt, dass 43 Brücken mit einer Länge von mehr als 50 Metern als "ungenügend" eingestuft wurden. Das bedeutet, dass bei diesen Bauwerken entweder die Standsicherheit, die Verkehrssicherheit oder beide Aspekte erheblich beeinträchtigt sind oder sogar ganz fehlen.
Aufruf zum politischen Handeln
Angesichts dieser Ergebnisse fordert Marco Götze, Vorsitzender der Bundesgütegemeinschaft, ein sofortiges Handeln der Politik und der Bundesautobahngesellschaft.
Die kritischen Befunde erinnern an den Teileinsturz der Carolabrücke in Dresden und mahnen, sich nicht darauf zu verlassen, dass künftige Unfälle ähnlich glimpflich verlaufen. Die Warnungen sind deutlich: Es besteht dringender Handlungsbedarf, um die Sicherheit auf Deutschlands Straßen zu gewährleisten.
Umfassende Untersuchung deckt Defizite auf
Die Bundesgütegemeinschaft Instandsetzung von Betonbauwerken stützte sich bei ihrer Untersuchung auf die Daten von insgesamt 3786 Autobahnbrücken, die mindestens 50 Meter lang sind und damit eine relevante Größe für die Verkehrsinfrastruktur darstellen.
Diese Brücken wurden hinsichtlich ihres Zustandes bewertet, wobei die schlechtesten Zustandsnoten ermittelt wurden. Grundlage der Untersuchung ist die regelmäßig erscheinende Brückenstatistik der Bundesanstalt für Straßenwesen.
Schwerpunkt Nordrhein-Westfalen
Ein bedenklicher Schwerpunkt der maroden Brücken liegt in Nordrhein-Westfalen. Hier befinden sich die meisten Brücken, die in der Untersuchung als nicht ausreichend eingestuft wurden. Dieser Befund unterstreicht die Notwendigkeit, gerade in dieser Region verstärkt Maßnahmen zur Instandsetzung und Erneuerung der Verkehrsinfrastruktur zu ergreifen.
Deutschland Land der maroden Brücken
Bis vor wenigen Jahren rief die Erwähnung "deutsche Straßen" in südlichen Ländern bewundernde Kommentare hervor. Die deutschen Autobahnen galten bis in die Neunziger für die Autoreisenden, die über die Balkanroute ins frühere Jugoslawien, nach Griechenland oder die Türkei reisten, als paradiesisch.
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Heute ist es anders. Die Politik der "schwarzen Null" hat zu Wartungsstau bei der Infrastruktur und maroden, einstürzenden Brücken, wie eben in Dresden, geführt. Dort war man sichtlich erleichtert, dass keine Menschen zu Schaden gekommen sind. Bei einem Kollaps in vollem Betrieb könnten marode Brücken schnell zur Todesfalle werden.
Brückenprüfungen nur für Fernstraßen verpflichtend?
Heinrich Bökamp, der Präsident der Bundesingenieurkammer, erklärte im Interview mit Tagesschau24, dass die regelmäßigen Kontrollen für Brücken nur bei Landes- und Bundesstraßen verpflichtend sind.
Bei anderen Brücken hängen Kontrollen dagegen vom Etat der Kommunen ab. Bökamp betonte, dass die deutschen Behörden aufgrund der Versäumnisse bei Instandhaltung und Sanierung in den vergangenen Jahren nicht mehr in der Lage sind, die ganzen Probleme mit einer Vielzahl schadhaften Brücken zeitnah abzustellen. Nach Ansicht des Präsidenten des Ingenieursverbandes droht das Problem der mangelhaften Finanzierung für die Instandhaltung immer wieder auf die nächste Legislaturperiode verschoben zu werden.
Massiver Wartungsstau
Die Prüfung von Brücken ist in der DIN-Norm 1076 geregelt. Bereits 2021 warnte Bökamp vor den Folgen vernachlässigter Wartung.
Er kritisierte damals, dass etwa in Rheinland-Pfalz nur 18 Prozent der Kommunen ein Brückenkataster besitzen und rund 70 Prozent der Städte und Gemeinden die jährliche Sichtprüfung vernachlässigen. Bökamp vermutete, dass die Situation in anderen Bundesländern ähnlich ist. Sollte er recht haben, wird der Großteil der rund 140.000 kommunal verwalteten Brücken nicht regelmäßig gewartet.
Auf die Frage nach der Finanzierung der Brückensanierung betonte Bökamp, dass Sicherheit kein verhandelbares Gut sei. Die Bevölkerung könne vom Staat erwarten, dass sie über sichere Brücken fahren und intakte Infrastruktur nutzen könne.
Ein Einsturz, wie er Anfang September in Dresden geschah, könne derzeit niemand ausschließen, warnt Bökamp. Er sieht Brücken als systemrelevante und empfindliche Bauwerke, deren Beschädigung das öffentliche Leben erheblich beeinträchtigen würde.
Das Einstürzen der Carolabrücke in Dresden sorgte in den während der Eurokrise als PIIGS verschrienen südeuropäischen Ländern für ungläubiges Staunen.
Ausgerechnet die Deutschen, die diesen Ländern vorwarfen, "ihre Hausaufgaben nicht erledigt zu haben", scheiterten bei der Brückensicherheit.
Nach dem glücklichen Umstand, dass beim Zusammenbruch der Brücke niemand verletzt wurde, muss Dresden bei Großprojekten den Rotstift ansetzen. Der Abriss der Elbbrücke und der notwendige Neubau reißen ein millionenschweres Loch in die Stadtkasse.
Vernachlässigte Wartungen und Reparaturen sind jedoch kein exklusives Problem der östlichen Bundesländer. In Aachen, tief im Westen Deutschlands, wurde die zentrale Turmstraßenbrücke so lange dem Verfall überlassen, dass am Ende ein kompletter Neubau samt Sperrung einer Hauptverkehrsachse der Stadt unvermeidlich war.
All das zeigt: Über die Jahre hat vor allem der stetig steigende Schwerverkehr den Brücken zugesetzt. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat diese Problematik bereits im März 2022 aufgegriffen und ein umfassendes Maßnahmenpaket verabschiedet, um die Modernisierung von Brücken im Bundesgebiet zu beschleunigen.
400 Brücken jährlich im Fokus
Das Ziel der Bundesregierung ist es, in den nächsten Jahren die Sanierung von 400 Brücken pro Jahr voranzutreiben. Diese Zahl verdeutlicht einerseits die Dringlichkeit der Maßnahmen, andererseits das Ausmaß des Investitionsstaus, der sich über Jahrzehnte aufgebaut hat.
Die intensive Nutzung und vor allem der Schwerverkehr haben vielen Brückenkonstruktionen zugesetzt und sorgen nicht selten für Sperrungen und Verkehrsbehinderungen – von Aachen bis Dresden.