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EU-Quellen: Massiver Dissens zwischen Mitgliedsstaaten über Ölpreisdeckel

Themen des Tages: Lebenserwartung in der EU. Pressefreiheit und Nahostkonflikt. Und Details der internen Debatte in Brüssel zum Ölpreisdeckel.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Wie die Pandemie der Volksgesundheit in der EU geschadet hat.

2. Wie Menschen und Medien im Nahostkonflikt leiden.

3. Wie umstritten der Ölpreisdeckel unter EU-Mitgliedsstaaten ist.

Doch der Reihe nach.

Ukraine-Krieg: Bachmut in Trümmern

Die Vormärsche der Kriegsparteien am Boden in der Ostukraine machen mehr und mehr den Eindruck, eher der jeweils eigenen Kampfmoral als einem größeren strategischen Schritt nach vorn zu dienen, schreibt heute Telepolis-Autor Roland Bathon [1]. So würden russische Truppen nun schon seit Wochen gegen die ukrainische Stadt Bachmut anrennen. Der Ort liege inzwischen laut Videoaufnahmen weitgehend in Trümmern.

Wegen der vorherigen Rückzüge rechnen Experten nicht damit, dass die Stadt im Fall einer Eroberung als Ausgangspunkt für einen entscheidenden Vorstoß ins tiefe ukrainische Hinterland genutzt werden kann.

Roland Bathon

Pandemie als Grund: Lebenserwartung in EU rückläufig

Die Lebenserwartung in den Ländern der Europäischen Union ist gesunken [2], heißt es heute in einem Beitrag von Telepolis-Autor Bernd Müller. Das gehe aus der Studie "Health at a Glance: Europe 2022" hervor, die am Montag von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vorgestellt wurde. Als Ursache werden die Coronapandemie angegeben.

Im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie sterben die EU-Bürger ein Jahr früher. Für die meisten Länder ist das der höchste Rückgang seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Pandemie hatte aber darüber hinaus Einfluss auf das Leben und die Gesundheit der Menschen sowie auf das Funktionieren der Gesundheitssysteme.

Bernd Müller

Nahost: Aufnahmen zeigen Tötung von Journalistin Abu Akleh

Telepolis-Redakteur David Goeßmann berichtet heute über Videoaufnahmen, die den Tod der US-palästinensischen Journalisten Shireen Abu Akleh zeigen. Ihre Tötung während der Ausübung ihrer journalistischen Tätigkeit vor einem halben Jahr sei keineswegs außergewöhnlich. "Denn Gewalt findet alltäglich in den von Israel kontrollierten und okkupierten Palästinensergebieten Westjordanland und Gazastreifen statt", so Goeßmann. In der letzten Woche seien allein neun Palästinenser in Auseinandersetzungen mit der israelischen Armee getötet worden.

Seit 2018 sind insgesamt mindestens 144 palästinensische Journalisten von israelischen Sicherheitskräften in den besetzten Gebieten verwundet und zwei getötet worden, berichtet Reporter ohne Grenzen. Abu Akleh wäre, wenn man der Indizienlage folgt, das dritte Opfer.

David Goeßmann

Ölpreisdeckel wirkt: EU-Tankerflotte schrumpft

Die Preisbegrenzung für russisches Erdöl, das über den Seeweg ausgeliefert wird, könnte vor allem die maritimen EU-Nationen wirtschaftlich erheblich belasten. Nach Informationen diplomatischer Quellen in Brüssel haben allein seit August 60 Tanker, die bislang in Malta gemeldet waren, ausgeflaggt.

Bei den Beratungen über die offenbar äußerst kurzfristig präsentierte Vorlage der EU-Kommission zum Ölpreisdeckel hatten angesichts dieser Entwicklung vor allem die Vertreter von. Griechenland, Malta und Zypern Bedenken angemeldet.

Weil die vom Seehandel wirtschaftlich stark abhängigen südeuropäischen Länder gegenüber den Binnenstaaten weitreichende Nachteile befürchteten, hatten sie bei den Abstimmungen in Brüssel in den vergangenen zwei Wochen auf eine Preisbegrenzung von 75 US-Dollar pro Barrel (159 Liter) für russisches Tankeröl gedrängt. Vor allem die polnische Delegation sei daraufhin mit dem "erkennbar provozierenden" Preisvorschlag von 30 US-Dollar pro Barrel vorgeprescht, merkt nun ein beteiligter Diplomat an.

Wegen der massiven Kontroversen hatten die Abstimmungen bis kurz vor Bekanntgabe des Ölpreisdeckels am Freitag angedauert. Die maritimen südeuropäischen Staaten lenkten am Ende unter anderem ein, weil der Preisdeckel alle zwei Monate überprüft wird und so sie Möglichkeit zur stetigen Korrektur besteht.

Während Ungarn weiterhin auf Ausnahmegenehmigungen pochte, versuchte der Kabinettschef von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Björn Seibert, die Kritiker zu beschwichtigen, heißt es aus Brüssel. Es gehe bei dem Ölpreisdeckel auch darum, russisches Erdöl trotz des andauernden Krieges in der Ukraine auf dem Markt zu halten, so Seibert bei der Präsentation des Vorhabens vor zwei Wochen vor EU-Botschaftern.

Offiziell argumentiert die Kommission vorrangig mit der Sanktionierung Russlands und der Schmälerung der Gewinne aus dem Erdölgeschäft.

Am Freitag hatten sich nach vorherigen Absprachen auch die Mitgliedsstaaten der Gruppe der Sieben (G7) und Australien dem Ölpreisdeckel der EU angeschlossen. Bezüglich der Wirksamkeit der gemeinsamen Marktmacht bestehen es in der EU aber Zweifel: Die dem Ölpreisdeckel gegenüber kritisch eingestellten Seehandelsstaaten befürchten, dass nun zahlreiche Tanker auf Länder wie Panama, Libyen oder die Marshallinseln umflaggen. Selbst der Einfluss der USA auf diese Staaten sei begrenzt, hieß es nach Angaben eines beteiligten Diplomaten aus Zypern.

Die russische Regierung gab indes bekannt, man werde nach der Einführung des Ölpreisdeckels durch EU und G7 neue Versicherungssysteme schaffen, um die eigene Tankerflotte am Laufen zu halten.

Der Überseehandel mit russischem Erdöl sehe "schwierigere Bedingungen" entgegen, gestand der stellvertretende Premierminister Alexander Nowak nach Angaben der Nachrichtenagentur Ria Nowosti ein: "Dennoch verkaufen wir weiterhin Öl und werden dies auch in Zukunft tun."

Derzeit würden neue Instrumente und Versicherungsmechanismen geschaffen, gleiches gelte für die Zusammenarbeit zwischen Förder- und Transportstrukturen, so Nowak weiter, der auf eine Veränderung des Marktes verwies: "Die großen Händler sind, wie Sie wissen, verschwunden, heute sind mehr Händler als früher aktiv, auch im Verkauf von russischem Öl."

Der Ölpreisdeckels zielt politisch darauf ab, die zuletzt stark gestiegenen Einnahmen Russlands aus dem Erdölgeschäft zu schmälern. So solle verhindert werden, dass Moskau von dem Krieg gegen die Ukraine sogar noch profitiere. Der Ölpreisdeckel ist am gestrigen Montag zeitgleich zu einem EU-Embargo für russisches Rohöl in Kraft getreten.

Artikel zum Thema:

Harald Neuber: Ölpreisdeckel: Alle schauen auf den kommenden Montag [3]
Lars Lange: Ölpreisdeckel: Vor allem USA werden profitieren [4]
Bernd Müller: Experten sicher: Russland kann Ölpreisdeckel der G7-Staaten leicht umgehen [5]


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https://www.heise.de/-7367967

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[1] https://www.heise.de/tp/features/Ukraine-Krieg-Russische-Armee-bombardiert-grossflaechig-im-Hinterland-7367573.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/OECD-Studie-zur-Pandemie-Lebenserwartung-in-der-EU-um-ein-Jahr-gesunken-7367052.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Oelpreisdeckel-Alle-schauen-auf-den-kommenden-Montag-7365571.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Oelpreisdeckel-Vor-allem-USA-werden-profitieren-7365674.html
[5] https://www.heise.de/tp/features/Experten-sicher-Russland-kann-Oelpreisdeckel-der-G7-Staaten-leicht-umgehen-7316471.html