EU-Staaten einigen sich auf Teilembargo gegen russisches Erdöl (Update)
Russisches Erdöl darf nicht mehr auf dem Seeweg in EU-Länder eingeführt werden. Ausnahmen gibt es auf unbestimmte Zeit für Lieferungen per Pipeline.
Wochenlang haben die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder über ein Verbot russischer Öleinfuhren gestritten, nun haben sie sich auf einen Kompromiss geeinigt: Bis Ende des Jahres sollen Importe auf dem Seeweg beendet werden.
„Dies deckt sofort mehr als zwei Drittel der Öleinfuhren aus Russland ab und schneidet eine wichtige Finanzierungsquelle für die russische Kriegsmaschinerie ab“, sagte der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel. Mit dem Embargo werde man „maximalen Druck auf Russland ausüben, damit es den Krieg beendet“.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, geht ihrerseits davon aus, dass bis Ende des Jahres rund 90 Prozent der Ölimporte aus Russland in die EU unterbunden werden. Das wäre möglich, wenn die Regierungen Deutschlands und Polens zu ihrem Wort stehen und kein russisches Öl mehr über die „Druschba“-Pipeline beziehen.
Die Ausnahme für Ölimporte über die Pipeline wurde auf Druck mehrerer EU-Länder vorgenommen. Besonders Ungarn hatte mit seinem Beharren auf eine großzügige Ausnahmeregelung den Unmut anderer EU-Länder auf sich gezogen. Am Ende hat man sich zwar auf die Ausnahme verständigt, aber nicht darauf, wie lang sie gelten soll.
Bei seiner Ankunft auf dem Gipfeltreffen hatte der ungarische Ministerpräsident, Victor Orbán, mit einer weiteren Forderung für Aufsehen gesorgt. Gegenüber Journalisten erklärte er, er werde sich um Garantien bemühen, dass sein Land Öl über das Meer beziehen könne, wenn die russischen Öllieferungen über die Pipeline ausfallen sollten.
Ob er sich damit durchsetzen konnte, wurde bislang nicht eindeutig kommuniziert – aber es wurde von den Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten angedeutet. Sie erklärten: „Für den Fall einer plötzlichen Unterbrechung der Lieferungen werden Notmaßnahmen ergriffen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten“.
Das Gipfeltreffen in Brüssel war mit Spannung erwartet worden. Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder kamen am Montag und Dienstag zu einem Sondergipfel zusammen, und sie berieten unter anderem über weitere Finanzhilfen für die Ukraine und über eine europäische Verteidigungspolitik.
Die mediale Aufmerksamkeit lag allerdings darauf, ob sich die Länder der Europäischen Union auf das sechste Sanktionspaket gegen Russland einigen können. Dieses soll auch ein Importembargo auf russisches Erdöl enthalten, das aber bisher nicht alle Länder mittragen wollen.
Der ursprüngliche Entwurf der EU-Kommission sah vor, dass die EU-Länder innerhalb von sechs Monaten auf den Import von russischem Erdöl verzichten sollen und bis zum Jahresende auf den Import von Ölprodukten. Lediglich Ungarn und die Slowakei sollen 20 Monate Zeit bekommen. Zudem sollte es Reedereien aus der EU untersagt sein, russisches Öl zu transportieren.
Gegen diesen Plan regte sich schnell Widerstand. Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Bulgarien drängten zum Beispiel auf langfristige Ausnahmen beim Embargo, da sie stark auf russische Energielieferungen angewiesen sind. Und auf Druck von Griechenland und Zypern hatten die EU- Beamten schon das Zugeständnis gemacht, auf das Verbot des Transports von russischem Öl auf EU- Schiffen zu verzichten.
Ölembargo und Kompromissvorschlag mit wenig Gegenliebe
Zuletzt hatte die EU-Kommission einen Kompromissvorschlag vorgelegt, der aber immer noch nicht von allen EU-Ländern mitgetragen wird. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) machte die ungarische Regierung ihre Zustimmung von finanziellen Zusagen der EU abhängig. Aber auch die Niederlande hätten Vorbehalte erkennen lassen.
Die ungarische Regierung unter dem Ministerpräsidenten Viktor Orban hatte gefordert, mindestens vier Jahre vom Embargo ausgenommen zu werden. So lange brauche man mindestens, um eine Raffinerie umzurüsten. Außerdem fordert seine Regierung 800 Millionen Euro an EU-Mitteln, um das Umrüsten zu finanzieren und die Kapazität einer Pipeline nach Kroatien zu erhöhen. Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto hatte aber auch davon gesprochen, dass für den Verzicht auf russische Öllieferungen Investitionen in Höhe von 15 bis 18 Milliarden Euro nötig seien.
Die EU-Kommission wollte diesen Forderungen entgegenkommen, indem sie Lieferungen über die Druschba-Pipeline bis auf weiteres von den Sanktionen ausnimmt. Rund 30 Prozent des russischen Erdöls gelangen über diese Pipeline in die Länder der Europäischen Union.
Doch mit dieser Ausnahme haben die Niederlande ein "inhaltliches Problem", wie dpa aus Diplomatenkreisen erfahren haben will. Sie befürchten demnach, dass es innerhalb der EU zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen kommen könnte, wenn einige Staaten weiterhin relativ günstiges Erdöl via Pipeline aus Russland bezögen. Auf den Hafen in Rotterdam, der ein wichtiger Umschlagsplatz für russisches Öl ist, könnte sich das negativ auswirken.
Politiker: Embargo außerhalb der EU-Strukturen umsetzen
Vor diesem Hintergrund lassen sich die Risse in der Europäischen Union nicht mehr wegdiskutieren. Die Länder verfolgen zunehmend ihre eigenen Interessen und von einer politischen Einheit gegenüber Russland kann kaum noch die Rede sein.
Verschärft wird dieser Trend durch Vorschläge von führenden Europa-Politikern. So sprach sich der Vorsitzende der christdemokratischen EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU), gegen weitreichende Kompromisse mit Ungarn aus und plädierte für zwischenstaatliche Lösungen – ohne Ungarn.
Er sei es leid, sagte Weber, "dass sich die gesamte EU bei den Sanktionsbeschlüssen immer nach dem Zögerlichsten richten muss". Wenn es nicht anders gehe, solle das Öl-Embargo beschlossen werden, ohne Ungarn einzubeziehen. Orban müsse gezeigt werden, dass er nicht den Rest der EU in Geiselhaft nehmen könne.
Neun Milliarden Euro gegen Staatspleite
Das Importembargo auf russisches Erdöl ist allerdings nicht das einzige Thema, mit denen sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder beschäftigen. Auf der Tagesordnung stünde auch, wie der Ukraine am besten geholfen werden könnte. Kein einfaches Unterfangen, denn schon vor dem Krieg war das Land auf Finanzhilfen angewiesen. Und je länger der Krieg dauert und je mehr Kredite die Länder des "Westens" an die Ukraine vergeben, desto unwahrscheinlicher wird es, dass die Ukraine künftig finanziell auf eigenen Beinen stehen kann.
Erwartet wird nun, dass die EU-Länder Hilfsgelder in Höhe von rund neun Milliarden Euro an die Ukraine zahlen werden, als Darlehen mit einem kleinen Anteil an Zuschüssen. Damit soll die Ukraine nicht nur in die Lage versetzt werden, einen Teil der Zinsen an internationale Gläubiger zu zahlen; für zwei Monate soll sie damit auch die Löhne im öffentlichen Dienst und den Sold der Armeeangehörigen bezahlen können. Noch ist allerdings nicht geklärt, wie die EU-Länder diese Mittel beschaffen können.
Erwartet wird auch, dass die EU-Länder einen Fonds für den Wiederaufbau der Ukraine einrichten. Doch Details dazu waren vor Beginn des Sondergipfels nicht verfügbar.