Ukraine gilt für Moody's praktisch als Zahlungsausfall

Kiew; Foto (2019): Maksym Kozlenko/CC BY-SA 4.0

Die Kreditwürdigkeit des Landes wurde weiter herabgestuft, der Ausblick der Ratingagentur auf das von Korruption zerfressene Land ist negativ

Eigentlich schwebt der Pleitegeier schon seit dem Euromaidan über der Ukraine, so berichtete Telepolis bereits 2014 vor dem bevorstehenden Zahlungsausfall des Landes.

Der blieb nur deshalb aus, da schon damals viele Extra-Würste für die Ukraine gebraten wurden. So wurde vom Internationalen Währungsfonds (IWF) damals Druck auf private Gläubiger für einen Schuldenschnitt ausgeübt. Sie haben dann tatsächlich auf etwa 3,8 Milliarden US-Dollar verzichtet. Um die (Pseudo-)Schuldentragfähigkeit des Landes wieder herzustellen, wurden Rückzahlfristen verlängert und Zinssätze gesenkt.

Jetzt ist man praktisch am gleichen Punkt angelangt. Die große US-Ratingagentur Moody's hat die Kreditwürdigkeit der Ukraine angesichts des russischen Angriffskriegs gegen das Land aktuell erneut herabgestuft. Schon Anfang März hatte Moody's die Bonität der Ukraine um zwei Stufen von "B3" auf "Caa2" gesenkt, womit die Anleihen schon als "extrem spekulativ" eingestuft worden waren.

Aktuell hat die Agentur das Land um eine weitere Stufe auf "Caa3" herabgestuft, womit Moody's dem Land schon den Zahlungsverzug bescheinigt.

Da die Ukraine zudem mit einem negativen Ausblick versehen wurde, also weitere Abstufungen drohen, steht praktisch der Zahlungsausfall im Raum.

Es ist eigentlich nur noch ein Wunder oder schlicht eine politische Entscheidung, dass noch kein begrenzter oder vollständiger Zahlungsausfall von der Agentur zertifiziert wird. Dabei ist doch längst allen klar, dass das Land, das seit vielen Jahren am internationalen Tropf hängt, die Schulden nicht zurückzahlen wird.

Als Grund für die erneute Herabstufung gab die Ratingagentur "einen länger währenden militärischen Konflikt" an, als ihn Moody's anfänglich erwartet hätte.

Die Agentur gibt hier unmissverständlich zu, was an den Finanzmärkten Ende Februar auch deutlich abzulesen war: In der Hoffnung, dass der Krieg in einem Blitzkrieg schnell entschieden würde, fielen sogar zunächst die Ölpreise wieder unter die Marke von 100 Dollar und auch die Börsen erholten sich wieder vom ursprünglichen Kriegs-Schock.

Erst als klar wurde, dass sich der Krieg länger hinziehen dürfte, gingen die Ölpreise wieder hinauf. An den Finanzmärkten war auf einen schnellen russischen Sieg gesetzt worden, mit dem sich vermutlich die Lösung herausgeschält hätte, mit der der Krieg wohl vermeidbar gewesen wäre: Neutralität der Ukraine unter Verlust der Krim mit unabhängigen Volksrepubliken im Osten.

Neuer Schuldenschnitt

Dass sich der ausgeweitete Krieg, real tobt er im Osten schon seit acht Jahren, nun von allen Seiten auch mit Waffen genährt wird, wird vermutlich nur dazu führen, dass er sich sehr lange hinziehen wird, mit enormen Opfern vor allem in der Ukraine. Deshalb sieht Moody's auch ein erhöhtes das Risiko einer "Restrukturierung" der ukrainischen Schulden, wie ein neuer Schuldenschnitt euphemistisch genannt wird. Deshalb muss mit erneuten Verlusten für Gläubiger in der Privatwirtschaft gerechnet werden:

Die Ukraine profitiert zwar von umfangreichen internationalen Finanzhilfen, die dazu beitragen, die unmittelbaren Liquiditätsrisiken zu mindern, doch dürfte sich der daraus resultierende erhebliche Anstieg der Staatsverschuldung mittelfristig untragbar erweisen.

Moody's

Die Angaben darüber, wie hoch die Staatsschulden des Landes real sind, gehen weit auseinander. Statista geht von einer Quote im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung von 49 Prozent aus. Das scheint eine reichlich positive Einschätzung zu sein, wonach sich die Schuldenquote von fast 80 Prozent in wenigen Jahren fast halbiert haben soll.

Andere Quellen gehen von einer Verschuldung der Ukraine von 129 Milliarden US-Dollar aus. Das entspräche nach Daten aus dem Jahr 2020 weiterhin einer Schuldenquote von fast 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Klaas Anders, Historiker mit Schwerpunkt Osteuropa, spricht zudem an, dass davon eigentlich im laufenden Jahr zwischen 6 und 14 Milliarden US-Dollar zurückgezahlt werden müssten. Er resümiert:

Durch den Krieg im Osten, die einhergehende ökonomische Krise und die folgende Pandemie konnte sich die Wirtschaft der Ukraine bis heute nicht erholen. Beim Aufbau der (sozialen) Infrastruktur nach 2014 waren die internationalen Geldgeber*innen kaum eine Hilfe, da etwa die Kredite des IWF an strikte Einsparungen im Wohlfahrtssektor gekoppelt waren. Um die enormen Schulden zu bewältigen, musste die Ukraine bereits vor Kriegsbeginn etwa 10 bis 15 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes nur für die Rückzahlung der Staatsschulden aufwenden.

Klaas Anders

Die Korruption: Ein zentrales Problem

Anders spricht auch das Problem an, dass durch "die korrupten Strukturen der ukrainischen Oligarchie" dem Land "enorme Summen an Steuereinnahmen" fehlen. Dass die grassierende Korruption in dem Land ein enormes Problem ist - auch dem Präsidenten wird von einigen Beobachtern ein Milliarden-Vermögen zugeschrieben -, taucht aber in der öffentlichen Debatte inzwischen kaum noch auf.

Dass das Wirtschaftsmagazin Forbes das Vermögen Wolodymyr Selenskyjs auf "nur" 30 Millionen US-Dollar schätzt, sagt ohnehin nicht viel aus. Dass Selenskyj auch in den Pandora Papers prominent erschien, weil auch er sein Geld in Steuerparadiesen versteckt, bleibt dabei nämlich unbeachtet. Welche Summen er dort geparkt hat, ist unklar.

Auch der IWF hatte einst eine effiziente Korruptionsbekämpfung gefordert, als das Land – wieder einmal – im Jahr 2016 mit viel Geld bedacht wurde. In den vergangenen Jahren hatte auch die EU wiederholt die Korruption und den Missbrauch öffentlicher Gelder in der Ukraine beanstandet. Doch all diese Kritik und Forderungen führten real zu rein gar nichts. Im Kriegsgetöse sind sie nun fast vollständig verstummt.

Dass aber die Ukraine "vielen Jahren unter Großkorruption und Vereinnahmung des Staates" leidet, die weiterhin "weit verbreitet" ist, wurde sogar noch in einem Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofs im September des vergangenen Jahres festgestellt.

"EU-Hilfe für Reformen ist unwirksam gegen Korruption auf höchster Ebene", titelte der Rechnungshof unzweideutig über die Zustände in einem Land, in das weiter Milliarden um Milliarden gepumpt werden.

So stellte der Rechnungshof fest, dass Großkorruption nach wie vor ein "zentrales Problem" in der Ukraine ist, obwohl die EU mehrere Initiativen zur Reduzierung von Korruptionsgelegenheiten auf den Weg gebracht hatte. Die für die Unterstützung geforderten Maßnahmen hätten aber nicht zu den erhofften Ergebnissen geführt, stellten die Prüfer des Rechnungshofs fest.

Er empfahl unter anderem die Umsetzung konkreter Maßnahmen, nicht nur um Großkorruption zu bekämpfen (einschließlich der oligarchischen Struktur), sondern auch um die Verringerung von Hindernissen für den freien und fairen Wettbewerb zu unterstützen.

Dass davon etwas umgesetzt wird, braucht man unter Kriegsbedingungen natürlich noch weniger als schon zuvor hoffen. Für den negativen Ausblick verweist auch Moody's auf ein "sehr negatives Governance-Profil, das Schwächen in der Rechtsstaatlichkeit und Korruption widerspiegelt, die das Geschäftsumfeld beeinträchtigen".

Das kommt zu der Tatsache hinzu, dass die Ratingagentur davon ausgeht, dass der länger andauernde militärische Konflikt die finanziellen Ressourcen der Regierung belasten wird: "Moody's schätzt den Finanzierungsbedarf für 2022 auf rund 50 Mrd. USD (35 Prozent des BIP 2022) und prognostiziert einen Anstieg der Staatsverschuldung auf rund 90 Prozent des BIP".

Die Schwere der wirtschaftlichen Schäden werden sich langfristig negativ auf die Staatsfinanzen auswirken und die Risiken für die Schuldentragfähigkeit erhöhen. Nach Angaben des ukrainischen Staatschefs benötigt seine Regierung sieben Milliarden Dollar monatlich, um die ukrainische Wirtschaft am Laufen zu halten.

Damit setzt Selenskyj den Jahresbedarf sogar auf 54 Milliarden hoch. Sind die vier Milliarden Dollar, etwa acht Prozent Zuschlag, in etwa die Summe, die in Korruptionssäckeln landet?

Angesichts des negativen Umfelds erwartet Moody's im Falle eines Zahlungsausfalls im positiven Szenario nur noch eine Rückzahlung in der Größenordnung von 65 bis 80 Prozent. Man lehnt sich also an den Schuldenschnitt von 2015 an, als die privaten Gläubiger schon um 20 Prozent "rasiert" wurden. Allerdings kann es nach Ansicht der Ratingagentur auch noch viel dramatischer kommen:

Der negative Ausblick spiegelt wider, dass die Entwicklung der Invasion und ihre Auswirkungen auf die Kreditwürdigkeit immer noch mit großer Unsicherheit behaftet sind. Ein längerer militärischer Konflikt im Anschluss an die Invasion durch Russland würde den Finanzierungsbedarf über einen längeren Zeitraum sehr hoch halten und zu einem weiteren Anstieg der Schuldenlast führen.

Moody's

Deshalb, so meint Moody's, könnten die Gläubiger in diesem Szenario auch noch deutlich kräftiger rasiert werden.