"Ein Land geht Offline..."
Internet Streik in Österreich
Am Dienstag, dem 25. Maerz 1997, zwischen 16:00 und 18:00 Uhr, war beinahe die gesamte Domain *.at nicht erreichbar. Die Provider hatten mit dem Befehl "shut down" ihre Server heruntergefahren, als Protest gegen die Vorgehensweise der Polizei gegen einen Provider, aber auch als Protest gegen das in Vorbereitung befindliche Telekommunikationsgesetz. Mit einer hohen Beteiligungsrate der Provider (98 % aller Anschlüsse waren lahmgelegt), großer Akzeptanz unter den Nutzern und einem "Nachspiel" auf den Ebenen der medialen Öffentlichkeit und des Parlaments scheint die Aktion zumindest kurzfristig erfolgreich gewesen zu sein.
Wenige Tage vor dem 25.März ging folgende Pressemeldung durch die Mailinglisten:
"Sehr geehrter Internet-Benutzer in Österreich!
Aus Anlass eines ungeheuerlichen Vorfalls, den wir Ihnen weiter unten kurz schildern wollen, hat sich die Gemeinschaft aller Internet-Service-Provider Oesterreichs dazu entschlossen, eine umfassende Protestaktion gegen derzeit gehandhabte unhaltbare und teils willkuerliche Zustaende im Umgang mit dem neuen Medium Internet sowie gegen geplante und bereits in Kraft getretene Gesetze, die den Nutzen des Internet fuer den Benutzer massiv beeintraechtigen wuerden, durchzufuehren."
Auslösendes Ereignis für diesen "Netzstreik" war eine Polizeiaktion am Donnerstag, dem 20.3.1997 um 10:45, bei der sämtliche Computer des Internet-Service-Providers ViP durch sieben Zivilbeamte der Wirtschaftspolizei in Begleitung zweier Sachverständiger im Rahmen einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt worden waren. Der Firma ViP wurde damit die wirtschaftliche Existenzgrundlage entzogen. Anlass war eine Anzeige gegen "unbekannt" bei der Münchner Staatsanwaltschaft vom März 1996 (!), weil einer der Kunden des Providers gegen Paragraph 207a StGB (Kinderpornographie) verstossendes Material ins Internet eingespeist hatte.
Die Provider wehrten sich gegen die "erschreckend inkompetente Vorgangsweise der ermittelnden Behörden", da diese erst nach über einem Jahr tätig wurden, obwohl elektronische Nachrichten üblicherweise nach wenigen Tagen automatisch gelöscht werden. Der vermutliche Übeltäter war der Staatsanwaltschaft zum Zeitpunkt der Polizeiaktion bereits bekannt. Es handelt sich um keinen Mitarbeiter der Firma ViP. Trotzdem wurden alle deren Computer und Festplatten beschlagnahmt - selbst solche, die keinen Netzwerkanschluß besaßen.
Der Fall "ViP" ist jedoch nur auslösendes Moment für diesen Streik. Die Provider fürchten, daß mit dieser Vorgehensweise ein Präzedenzfall dafür gesetzt werden, daß Provider verantwortlich gemacht werden, wenn ein Kunde, ohne ihr Wissen, eine strafbare Handlung über einen von ihnen bereitgestellten Internet-Dienst begeht.
Im Moment ist die Rechtslage in Österreich diesbezüglich noch völlig offen. Zugleich ist jedoch ein neues Telekommunikationsgesetz in Vorbereitung und die Provider fürchten, wohl nicht ganz zu unrecht, daß in diesem Gesetz eine Verantwortlichkeit der Provider für Inhalte festgeschrieben werden könnte. Die ÖVP und die rechtslastige F-Partei Haiders plädieren offen für eine restriktive Internetgesetzgebung, während die SPÖ noch unentschlossen ist und nur die Grünen und die Liberaldemokraten ein klares Ja! zu einer möglichst offenen Internetnutzung abgegeben.
Der Polizeieinsatz gegen den Provider ViP war durch einen Hausdurchsuchungsbefehl der Untersuchungsrichterin Helene Partik Pablé möglich gemacht worden. Sie ist zugleich Justizsprecherin der F-Partei, und als Abgeordnete und Richterin eines von deren politischen Aushängeschildern. Sie gilt als Hardlinerin der Jurisdiktion ("Lebenslang muss lebenslang bleiben."). Als Verteidiger der Firma ViP tritt der Anwalt und Grün-Politiker Peter Pilz auf. Das Internet wird somit auch zum Medium eines politischen Streits.
Eine weitere Ebene, die im Hintergrund mitspielt, ist die restriktive und innovationsfeindliche Geschäftspolitik der Österreichischen Post- und Telekom. Sie möchte nun rückwirkend die Verwendung einer neuen Modem-Technologie unterbinden, die extrem schnelle (bis zu 1MBit) Verbindungen über normale (analoge) Standleitungen mit Kupferdoppellitze ermöglicht. Derartige Modeme werden von verschiedenen, auch großen Providern bereits seit längerer Zeit verwendet. Die Post hat dies wohl wissentlich geduldet, möchte aber nun nur mehr ihre teuren 128-kbit Standleitungen an Geschäftskunden vermieten. Das Argument, mit dem die Post die Verwendung der schnellen Modems unterbinden möchte ist, daß diese nocht postgenehmigt seien. Die Provider können sich dieser Argumentation nicht anschließen, da sie bereits seit längerem versucht hätten, die Postzulassung für die Geräte zu erhalten. Diese sei von der Post verweigert worden, "weil die Technologie in Österreich nicht bekannt" sei.
Der Streit um die schnellen Modems hatte erst kürzlich zur Gründung eines österreichischen Providerverbandes geführt. Der selbe Verband war es, der nun den österreichweiten Netzstreik so schnell und effizient organisieren hatte können.
Weitere Informationen über die Aktionen und Hintergründe erhalten Sie im WWW unter www.internet.at/