Eine Reform für gerechtere Strom-Netzentgelte kommt in Sicht
In Regionen mit vielen Solar- und Windparks sind die Strom-Netzentgelte oft besonders hoch. Um die Akzeptanz der Energiewende zu erhalten, ist eine Reform notwendig.
Die Strompreise für Haushaltskunden haben in den vergangenen Monaten eine Berg- und Talfahrt erlebt. Im Umfeld des Ukraine-Kriegs mussten die Stromlieferanten zeitweise hohe Einkaufspreise im Strom-Großhandel zahlen, die sie dann an ihre Kunden weitergeben wollten. Inzwischen haben sich die Preise im Strom-Großhandel einigermaßen normalisiert, und auch für wechselbereite Haushaltskunden gibt es bei vielen Lieferanten wieder vertretbare Angebote.
Beim Blick auf rasant steigende und dann allmählich sinkende Strompreise geriet etwas aus dem Blick, dass ein wesentlicher Bestandteil der Strompreise schon in den vergangenen Jahren kräftig gestiegen ist: Das sind die Netzentgelte, die Betreiber von Verteilnetzen dafür kassieren, dass Strom durch ihre Leitungen von den Lieferanten zu den Kunden fließt.
Dem Vergleichsportal Verivox zufolge machen die Netzentgelte etwa 22 Prozent des Strompreises für Haushalte aus. Im Bundesdurchschnitt seien sie in den letzten fünf Jahren um 28 Prozent gestiegen, schrieb das Portal. Besonders stark war demnach der Anstieg in Hamburg, Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein.
Wie hoch die Netzentgelte in einem Verteilnetz sind und wie stark sie steigen, hängt von den Kosten ab, die für Betrieb und Ausbau des Verteilnetzes anfallen. Auch die Kosten für vorgelagerte Netze fließen hier mit ein. Das alles wird von den jeweils zuständigen Regulierungsbehörden geprüft und genehmigt.
Erneuerbare Energien treiben Netzentgelte
Ein wesentlicher Kostentreiber bei den Netzentgelten war in den vergangenen Jahren der Ausbau erneuerbarer Energien. Um große Solar- und Windparks ans Netz anschließen und den dort erzeugten Strom transportieren zu können, mussten die Verteilnetz-Betreiber neue Leitungen und Umspannwerke bauen.
Die Kosten dafür legten sie auf ihre Netzentgelte um, die in den Strompreis einfließen und so von den Kundinnen und Kunden im Netzgebiet bezahlt werden. Diese Finanzierungsmethode erwies sich als ungünstig für dünn besiedelte Regionen mit wenig Industrieunternehmen, in denen viele Wind- und Solarparks gebaut wurden.
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Hier müssen relativ hohe Netzkosten auf relativ wenig Stromverbrauch verteilt werden. Das trägt wesentlich zu hohen Netzentgelten in diesen Regionen bei. Davon betroffen sind vor allem die Ökostrom-Ausbauländer Schleswig-Holstein, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Hier sind die Netzentgelte für Haushaltskunden im bundesweiten Vergleich besonders hoch.
Verivox hat diese Unterschiede kürzlich einmal auf einen Drei-Personen-Haushalt umgerechnet, der in einem Jahr 4.000 Kilowattstunden Strom verbraucht. In Schleswig-Holstein würde er dafür durchschnittlich Netzentgelte von 480 Euro netto zahlen. In Brandenburg wären es 477 Euro und in Mecklenburg-Vorpommern 449 Euro.
Die niedrigsten Netzentgelte zahlt ein solcher Modell-Haushalt in Bremen mit 254 Euro, in Baden-Württemberg mit 321 Euro und in Bayern mit 323 Euro.
Bundesnetzagentur wartet auf Reformbefugnis
Angesichts dieser regional unterschiedlichen Kostenbelastung haben sich die nord- und ostdeutschen Länder in den vergangenen Monaten zunehmend für eine Netzentgelt-Reform eingesetzt. Damit sollen die Netzausbau-Kosten, die durch den Ausbau der erneuerbaren Energien verursacht werden, bundesweit fair verteilt werden.
Eine entsprechende Protokollerklärung hatten die Länder Brandenburg, Berlin, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen im Juni nach der Ministerpräsidenten-Konferenz in Berlin veröffentlicht.
Auf Verständnis stoßen sie damit bei der Bundesnetzagentur. Präsident Klaus Müller hat bereits eine Reform der Strom-Netzentgelte angekündigt, sobald seiner Behörde die Befugnisse übertragen werden, die dafür nötig sind. Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt dem Bundestag bereits vor und könnte demnächst verabschiedet werden.
Auch der Bundesrat hat sich deutlich dafür ausgesprochen:
Faire Netzentgelte sind die Grundlage für die Akzeptanz der Energiewende, für das Funktionieren der Sektorenkopplung in EE-Erzeugungsregionen und für Chancengerechtigkeit unter den Wirtschaftsregionen. Da insbesondere im Verteilnetzbereich die Netzentgelte zwischen den unterschiedlichen Netzbetreibern signifikant auseinanderfallen, ist es dringend notwendig, bereits für das Jahr 2024 Abhilfe zu schaffen.
Siehe hier die Stellungnahme des Bundesrates vom 7. Juli 2023.
Die Netzentgelt-Reform gilt als eine gut umsetzbare Möglichkeit, um die unterschiedlichen regionalen Kostenbelastungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien auszugleichen.
Mögliche Entlastungen im Norden
Den Berechnungen von Verivox lässt sich ungefähr entnehmen, wie sich ein solcher Ausgleich auf den Modell-Haushalt mit 4.000 Kilowattstunden Jahresverbrauch auswirken würde: Demnach zahlt ein solcher Haushalt derzeit im bundesweiten Durchschnitt jährlich 350 Euro für Strom-Netzentgelte. Weiter heißt es bei dem Vergleichsportal:
Würde dieser Durchschnitt in allen Bundesländern gelten, lägen die Kosten für einen Drei-Personen-Haushalt in Schleswig-Holstein und Brandenburg um 27 Prozent niedriger, was einer Entlastung von 130 bzw. 127 Euro entspricht. In Mecklenburg-Vorpommern würden sich die Netzgebühren um 22 Prozent (99 Euro) reduzieren. Stark steigende Stromnetzgebühren gäbe es in Bremen mit einem Plus von 38 Prozent (96 Euro). In Baden-Württemberg würden die Netzentgelte um 9 Prozent (29 Euro) ansteigen, in Bayern wären es 8 Prozent (27 Euro).
Siehe hier die Verivox-Pressemitteilung vom 17.08.2023.
Widerstände gegen regionale Strompreiszonen
Ein noch weitergehendes Modell für die Bewältigung der zunehmenden regionalen Ungleichgewichte im deutschen Stromsystem wird schon lange in Fachkreisen diskutiert. Die Länder Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern hatten es in den vergangenen Monaten auch noch einmal ins Gespräch gebracht.
Danach könnte die bisher einheitliche deutsch-luxemburgische Preiszone für den Strombörsen-Großhandel in zwei oder mehr Preiszonen aufgeteilt werden. Im Norden und Osten würde eine solche Preiszone wohl dazu führen, dass sich durch ein Überangebot von Solar- und Windstrom niedrigere Großhandelspreise als bisher ergeben.
In Süddeutschland gibt es dagegen immer wieder zeitweise Strommangel-Situationen, die in einer eigenen Preiszone vermutlich zu zeitweise höheren Preisen führen würden. Dann könnte es in den Südländern beispielsweise interessanter werden, mehr Windparks als bisher zu bauen.
Das Modell der regionalen Preiszonen wird auch von der Europäischen Kommission und der Europäischen Energie-Regulierungsagentur ACER befürwortet. Es stößt aber auf starke Widerstände in Bayern und inzwischen auch in anderen süd- und westdeutschen Bundesländern.