Eine neue Ethik durch Covid-19?
Wie sollen wir die ganz normalen Grippeinfizierten in Zukunft behandeln, wo wir doch versucht haben, jeden einzelnen Covid-19-Patienten zu retten?
Noch nie wurden die Wirtschaft und das Leben der Menschen und ihre Freiheiten seit 1945 so sehr beschränkt wie durch Covid-19. Die täglichen Fernsehmeldungen über Infizierte und Tote haben die Menschen darüber hinaus verunsichert und verängstigt, was niedergelassene Ärzte bestätigen können, da ihre Praxen wochenlang fast gähnend leer waren. Die Furcht, selbst Opfer zu werden, war und ist groß, wie man bei den Ängsten sehen kann, wenn es Lockerungen gibt, zum Beispiel in Schulen. Ob es für bestimmte Gruppen restriktivere Regeln geben sollte, war und ist umstritten, obgleich eine Studie der Universität Wuppertal herausgefunden hat, dass vor allem übergewichtige und ältere Menschen ab etwa 65 Jahren, das Risiko steigt, wenn Feinstaub die Luft belastet.
Was wäre passiert, hätte es keinen Lockdown gegeben, das ist eine Frage, die unbeantwortet bleiben muss, weil ein Experiment mit Menschen nicht verantwortbar ist. In Schweden sehen wir aber, dass nach einem Abfallen der Todesrate der Covid-19-Infizierten, diese nun wieder massiv angestiegen ist, besonders bei älteren Menschen (Schweden verfolgt eine lockere Covid-19-Politik).
Die Gefahr bestünde also, dass bei einem Nicht-Lockdown die zwei- oder dreifache Anzahl von Menschen an dem Virus sterben könnten, in Deutschland vielleicht 20.000, wie in der Vergangenheit auch schon geschehen, in Italien 60.000 wie schon früher in einem Dreijahresrhythmus geschehen, in USA möglicherweise 300.000 oder sogar noch viel mehr. Wir könnten in die Nähe der Hongkong-Grippe kommen oder sogar darüber hinaus (1968 bis 1970), wo es zwischen 750.000 und zwei Millionen Tote weltweit gegeben haben soll, alleine in Deutschland 40.000. Offenbar ist es aber nach wie vor sehr schwierig, eine Projektion abzugeben, wie sich eine Pandemie wirklich entwickelt und auswirkt.
Tatsache ist aber, dass jährlich immer wieder mehrere hundert, ja sogar tausend Menschen an Grippeviren sterben, an Viren, die bekannt sind und an die wir uns gewöhnt haben, auch an die Toten; daher ist das Medieninteresse an diesen Viren und Toten kaum vorhanden. Nicht gewöhnt haben wir uns an die Toten von Covid-19, daher versuchen wir jeden Infizierten zu retten, was in den vergangenen Wochen auch geschehen ist.
Daraus ergibt sich aber ein ethisches Problem, das unser aller Leben, unsere Freiheiten und unsere wirtschaftliche Sicherheit erheblich beeinflussen könnte. Und man weiß nicht, ob sich die Politiker, die Virologen, Journalisten, Ethiker darüber ausreichend Gedanken gemacht haben, allenfalls hinter verschlossenen Türen. Denn wie sollen wir die ganz normalen Grippeinfizierten in Zukunft behandeln, wo wir doch versucht haben, jeden einzelnen Covid-19-Patienten zu retten? Können wir auf einen Lockdown für die normalen Grippeinfizierten verzichten und sagen: Da müssen eben ein paar hundert oder tausend Menschen sterben, weil es ja nicht der neue Virus ist und wahrscheinlich weniger Menschen sterben als bei Covid-19?
Das Robert Koch Institut hat publiziert, dass die "normalen" Grippeinfektionen dieses Jahr aufgrund des Lockdowns reduziert wurden. Der Lockdown hat also offenbar Menschen gerettet, die an bekannten Viren hätten erkranken können und möglicherweise gestorben wären (Auch die Grippe geht abrupt zurück).
Was folgt daraus? Wenn wir uns so sehr um die Covid-19-Infizierten bemühen, sie mit allen Mitteln retten wollen, mit welchen Recht verweigern wir das in Zukunft den normalen Grippeinfizierten? Müssen wir für sie nicht auch den Lockdown befürworten, gegebenenfalls jedes Jahr, wenn die Infiziertenzahlen steigen?
Normalerweise soll es um die 5000 Grippetote pro Saison geben. 1995/96 soll es zirka 25.000 normale Grippetote gegeben haben in Deutschland, 2012/13 etwa 20.000 und 2017/2018 25.000 (niedrige Schätzungen). Wie viele Menschen sterben übrigens in Krankenhäusern an normaler Grippe jedes Jahr und wie, mit oder ohne Beatmung, schlimm oder weniger schlimm? Darüber wissen wir so gut wie nichts, weil sich bisher niemand dafür interessiert hat, auch die Medien nicht.
Covid-19 hat uns in ein ethisches Dilemma manövriert. Denn wir könnten viele Menschen retten (Raucher, Alkoholiker, Übergewichtige, "normale" Grippeinfizierte), wenn wir ihr Verhalten genauso einschränken würden, wie das bei Covid-19 geschehen ist.
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