Electronic Data Systems übernimmt Datennetze des US-Militärs
Navy-Marine Corps Intranet soll auch Vorbild für Army und Air Force werden
Ungefähr 30.000 Computerarbeitsplätze in Navy und Marine Corps der USA werden bis Ende Januar privatisiert werden. Dies ist der erste Schritt in dem fünfjährigen Vorhaben "Navy-Marine Corps Intranet", im Zuge dessen die texanische Firma Electronic Data Systems (EDS) die mehr als 350.000 auf dem Festland vorhandenen Arbeitsplätze der beiden Teilstreitkräfte übernehmen wird. Zunächst werden die Computer und Datennetze der Marineflieger an EDS übergeben, weil hier einige Verträge mit anderen Dienstleistern gerade ausliefen. Ab März werden die Techniker von EDS Geräte austauschen, neue Software installieren und die Integration alter Teilnetze in das neue Intranet beginnen. Nach einer mehrmonatigen Testphase folgen dann die landgestützten maritimen Einheiten. Die ersten 12.000 Arbeitsplätze werden bereits seit dem 12. Januar im Truppenstützpunkt Patuxent River in Maryland in der Verantwortung von EDS betrieben, die Stützpunkte China Lake, Lemoore und Point Mugu in Kalifornien sowie St. Inagoes in Maryland werden in diesen Tagen folgen.
Das US-Verteidigungsministerium hatte in einer Ausschreibung, auf die sich vier Anbieter beworben hatten, die Informationsinfrastruktur als Dienstleistung zur Privatisierung angeboten. Der mit EDS im vergangenen Oktober abgeschlossene Vertrag beinhaltet einen festen monatlicher Preis pro Arbeitsplatz für die gesamte Laufzeit des Vertrages. Wie im zivilen Bereich ähnlich werden damit Wartung, Betrieb, Upgrade und Schulungen verbunden sein. Das neue Netzwerk soll die 200 landgestützten Informationssysteme von Navy und Marine Corps mit einer einheitlichen Technologie integrieren. Damit ist es das Gegenstück zu den mobilen Systemen, dem Projekt Information Technology for the 21st Century (IT-21) der Navy und dem Tactical Network (TDN) des Marine Corps. In den Marinehäfen liegende Schiffe können ebenfalls an das NMCI angeschlossen werden und so grössere Bandbreiten als mit den mobilen satellitengestützten Systemen nutzen.
Neben der Interoperabilität der einzelnen Teilnetze, die bisher oft nicht gewährleistet war, soll auch eine einheitliche Benutzeroberfläche erstellt werden. Die Soldaten sollen damit bei Versetzungen in andere Einheiten den etwa von kommerzieller Software bekannten "Standard Look & Feel"-Effekt haben. Multimediale Elemente sind - für anspruchslose Soldatenaugen sicherlich ungewohnt - umfassend eingeplant. Ob das hier formulierte Motto "Je mehr, desto besser" aber wirklich trifft und die webbasierte Integration von Video-, Text- und Audiodaten sowie virtuelle Treffen, Briefings und Beratungsgruppen nicht doch wieder zu einer Informationsüberflutung führen, bleibt abzuwarten.
Eine Hauptüberlegung neben der Inkompatibilität und zunehmenden Upgrade-Unfähigkeit der bestehenden Netze bestand darin, dass die Kommandeure sich wieder auf ihre eigentliche Aufgabe - Krieg zu führen - konzentrieren sollten. Im Zuge der informationstechnischen Hypes in militärnahen Denkfabriken wie RAND, die seit Anfang der 1990er Jahre von körper- und blutlosen "Cyberkriegen" geschwärmt und den Soldaten der Zukunft nur noch als Element im Informationssystem gesehen hatten, gab es zunehmende Kritik von Seiten hoher Offiziere. Diese Entwicklungen könnten zu einer Entprofessionalisierung der Truppe führen, und mit Informationsverarbeitern lasse sich nun mal kein Krieg gewinnen, wenn nicht vor allem die organisierte Gewaltanwendung geprobt wird, so die verbreitete Klage.
"You can't take out an enemy tank with just information. We need to strike a balance between 'shooters' and 'information systems' if we're going to be successful in the future", hatte etwa General Estes, Kommandeur des Weltraumkommandos schon 1998 gewarnt. Mit der Privatisierung der Datennetze, so die Hoffnung, könne man die damit verbundenen Probleme dem Subunternehmer überlassen und sich auf seine eigentlichen Aufgaben konzentrieren. "Wir bauen nichts - wir kaufen eine Dienstleistung", so hatte es in einer Präsentation des National High Performance Computing and Communications Council im März 2000 geheißen. Eine weitere Hoffnung besteht in der Kostensenkung. Marinestaatssekretär Richard Danzig hatte allerdings bei der Bekanntgabe des Auftrages im Oktober gestanden, dass sein Ministerium nicht einmal genau weiß, wieviel Geld es jährlich für Informationstechnologie ausgibt - lediglich eine Schätzung von 1,6 Mrd. Dollar konnte er angeben.
Lange Vorlaufzeit, komplizierte Prozeduren
Ein erstes Memorandum zum Aufbau eines übergreifenden Netzwerkes hatte der Staatssekretär für die Navy bereits im Februar 1995 vorgelegt, im November 1998 war dann das erste Navy-weite Intranet (NWI) eingerichtet worden. Die Marines sind offiziell erst seit 1999 dabei, seitdem wird das Projekt unter dem Namen Navy-Marine Corps Intranet (NMCI) geführt. Die endgültige Beschaffungsentscheidung fiel im Dezember 1999, also ganze vier Jahre nach den ersten Planungen. In einem Briefing beim C4-Board des Marine Corps im September 2000 wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dieser Zugang einen "kulturellen, organisatorischen und finanziellen Wandel" beinhaltet. Die endgültige Entscheidung für EDS, die im Oktober 2000 gefallen ist, war von Branchenkennern nicht erwartet worden.
Grundlegende Dienste für die Navy sollen bis Ende 2001, eine volle Operationsfähigkeit Ende 2002 erreicht sein. Die grundlegenden Dienste für das Marine Corps sollen Anfang 2002 zur Verfügung stehen. Der Ausbau geht auch deshalb nicht schneller voran, weil sowohl der Kongress als auch das Verteidigungsministerium genaue Vorgaben gemacht haben, um böse Überraschungen zu vermeiden. So dürfen in der ersten Ausbauphase nicht mehr als 15 Prozent der endgültigen NMCI-Arbeitsplätze eingerichtet werden, dazwischen werden verschiedene Evaluationen durchgeführt - unter anderem auf Einhaltung des Information Technology Management Reform Act und des Federal Acquisition Reform Act (bekannt als Clinger-Cohen-Gesetz) - sowie ein operationaler Test unternommen.
Andere Teile des US-Militärs drängen darauf, es Navy und Marine nachzumachen. Die Air Force hat bereits großes Interesse bekundet, in einem möglichen Folgeauftrag an das NMCI angeschlossen zu werden. Sie hatte schon im September in einem etwas kleineren Auftrag (76,6 Mio. Dollar für fünf Jahre) die Computersysteme der Luftüberwachungszentrale NORAD in Colorado Springs an den privaten Dienstleister OAO Corp. übergeben. Bereits vor einem Jahr hatte der Abhörgeheimdienst des Pentagon, die National Security Agency (NSA), ihr Projekt "Groundbreaker" bekannt gegeben, mit dem ein großer Teil ihrer Computersysteme ebenfalls privatisiert werden soll (NSA privatisiert Teil ihrer Aufgaben). Die Entscheidung über einen Auftrag steht aber hier noch aus und soll im April getroffen werden.
EDS - der unheimliche Dienstleister
Der Zuschlag für EDS ist der teuerste Technologie-Auftrag, den die US-Regierung jemals vergeben hat. Während seiner Laufzeit von fünf Jahren wird EDS mehr als 4,1 Milliarden Dollar verdienen, falls die anschließende Verlängerungsoption um drei Jahre wahrgenommen wird, sogar mehr als 6,9 Milliarden. Für EDS ist es allerdings nicht der größte, sondern nur "einer der größten" Aufträge. Das Unternehmen betreibt nach eigenen Angaben bereits mehr als 2,2 Millionen Desktop-Computer für insgesamt 9000 Kunden in Regierungen und Unternehmen in 55 Ländern auf der ganzen Welt. Im Jahr 1999 betrug der Umsatz 18,5 Milliarden Dollar.
In der Information Strike Force, die den Umbau organisiert und durchführt sind neben EDS als Zulieferer die Firmen Raytheon, MCI WorldCom sowie mit kleineren Anteilen WAM!NET, Dell, Microsoft und Cisco vertreten. Insgesamt werden 40 Prozent der Arbeiten wiederum weitervergeben an kleine Unternehmen sowie solche, die von Angehörigen der amerikanischen Minderheiten oder von Frauen geführt werden. Mittlerweile hat schon eine Tochterfirma von EDS von der neuen Freundschaft mit der Navy profitiert: Am 11. Dezember gab eBreviate, ein Anbieter von B2B-Plattformen, seinen bisher größten Auftrag bekannt: Das US Naval Supply Systems Command kauft für 13,8 Millionen Dollar Software, Hardware, Webhosting und andere Dienstleistungen zur Durchführung von monatlich mehr als einem Dutzend Auktionen und Reverse-Auktionen.
IBM, General Dynamics und Computer Sciences hatten sich ebenfalls um den Großauftrag beworben, den dann zur Überraschung von Beobachtern EDS erhielt. Der Elektronik-Dienstleister, der kaum Werbung macht und den meisten Amerikanern nicht bekannt ist, war 1962 von Ross Perot gegründet worden,. Dieser verkaufte das Unternehmen 1986 an General Motors und finanzierte damit 1990 seinen Wahlkampf als unabhängiger Präsidentschaftskandidat der von ihm gegründeten Reformpartei. 1996 wurde EDS von General Motors an verschiedene Investoren abgestoßen. Das Unternehmen hat in den letzten Jahren systematisch das Datenmanagement verschiedener Grossunternehmen und Behörden übernommen, darunter American Express, Opel, Lufthansa, und anderer. In Großbritannien betreibt EDS die Datenbanken der Steuerbehörden, in Südaustralien die komplette Datenverarbeitung der Regierung mit ihren 140 Unterorganisationen, in den USA u.a. das Computersystem der Einwanderungsbehörde, das Datennetz zur Grenzüberwachung und sämtliche Greencard-Daten. Für das Pentagon führt man unter anderem die Datenbank der Militärangehörigen. Diese Konzentration von persönlichen Daten in einer Hand ist bereits seit einiger Zeit scharf kritisiert worden.
Um die Zukunft braucht sich die Firma dennoch wohl keine Sorgen zu machen: Ihr Hauptsitz ist in Plano/Texas, und als einer der größten Arbeitgeber des Staates ist man mit dem jetzigen Präsidenten George W. Bush gut vertraut. Vizepräsident Dick Cheney war sogar im Vorstand von EDS vertreten, genauso wie auch der Unterstützer von Bush Senior und Junior, James Baker III, ehemaliger Stabschef des Weißen Hauses, Außenminister und Spin-Doktor der Republikaner bei der Stimmenauszählung in Florida. Die Washingtoner Federal Computer Week bemerkte dazu sarkastisch "Nette Gesellschaft, in der sich EDS da befindet."
Ralf Bendrath ist Mitbegründer der Forschungsgruppe Informationsgesellschaft und Sicherheitspolitik (FoG:IS) und betreibt die Mailingliste Infowar.de.