Elitenprojekt GovTech: Wie Staat, Kapital und Technologie unsere Demokratie gefährden

Seite 3: Der (virtuelle) GovTech Campus Berlin

Zimmermann wird dieses Jahr auch auf dem "Zukunftskongress" sprechen. Dort ist er jedoch nicht primär als Investor bzw. Mitarbeiter mehrerer Unternehmen angekündigt, die entsprechende Dienstleistungen anbieten, sondern als Mitglied im Vorstand des GovTech Campus e.V.

Dabei handelt es sich, das können wir der Homepage des beteiligten Bundesinnenministeriums entnehmen, um einen gemeinnützigen Verein mit dem Ziel, "im Rahmen der Digitalisierung die Arbeits- und Herangehensweisen der öffentlichen Verwaltung zu modernisieren, um Verwaltungsleistungen gegenüber den Bürgern und Unternehmen zu verbessern".

Einen wesentlichen Mehrwert liefert der Campus über die Vernetzung mit innovativen Akteuren der Techszene, der Zivilgesellschaft, der Open-Source-Community und der angewandten Forschung aus dem Government Technologie (GovTech).

Der Beauftragte des Bundesregierung für Informationstechnik

Beteiligt sind an dem Projekt neben dem BMI und der "Venture Firm" Public die Bundesagentur für Sprunginnovationen (Sprin-D), die Stadt Hamburg und die Staatskanzlei Hessen sowie das Fraunhofer Institut für offene Kommunikationssysteme (Fokus).

Letzteres behauptet zwar aktuell auf seiner Homepage ("über uns"): "Fraunhofer Fokus erforscht die Digitale Vernetzung und ihre Auswirkungen auf Gesellschaft, Wirtschaft und Technologie".

Dieser Satz findet sich jedoch unter der Überschrift, welche zugleich den (gewissermaßen totalitären) Leitsatz des Instituts darstellt: "Wir vernetzen alles". Tatsächlich geht es bei dem wirtschaftsnahen Institut kaum um die "Erforschung" der "Digitalen Vernetzung" und schon gar nicht von deren "Auswirkungen", sondern um das aktive Vorantreiben dieser in enger Kooperation mit Kapital und Industrie.

Im zwölfköpfigen Kuratorium des Fraunhofer Fokus finden sich entsprechend gleich zwei Vertreter von IBM sowie je einer von Microsoft und Siemens.

Außerdem am GovTech Campus beteiligt ist das 2016 gegründete Unternehmen Merantix, "eine KI-Investitionsplattform aus Berlin, die sich der Erforschung, dem Aufbau und der Investition in KI-Unternehmen widmet".

Merantix hat dieses Jahr in (oft gleichlautenden) Beiträgen über ChatGPT und "deutsche" KI-Entwicklungen einige Präsenz erfahren und zuletzt auch mit dem Versuch, in der Schweiz, in Allschwil, einen weiteren KI-Campus aufzubauen. Vorbild soll der Merantix AI Campus Berlin sein, der in seiner Online-Präsenz (unter "Community") mit großen Namen (AWS, Nvidia, SAP, Continental, IAV) aufwartet und (Stand Juni 2023) 43 Start-ups und acht (Risiko-)Kapitalunternehmen auflistet.

Vom online versprochenen Glanz ist jedoch am konkreten Standort des AI Campus Berlin in der Max-Ulrich-Straße, zwischen dem weitgehend durchgentrifizierten Bezirk Mitte und den eher traurigen südlichen Ausläufern des Weddings (mal wieder) wenig zu erkennen.

Kaum zu glauben, dass in diesem kleinen Glaspalast zwischen einfachen Wohngebäuden ohne erkennbare Ausbauflächen zwei- bis dreistellige Millionenbeträge zwischen alten großen Playern, Risikokapital und künftigen Einhörnern ausgetauscht und profitabel gemacht werden sollen. Entsprechende Netzwerke zwischen Politik, Beratungsunternehmen und Risikokapital könnten dies trotzdem möglich machen.

Ähnliches gilt für den GovTech Campus Berlin, dem weitere in Hamburg und Frankfurt folgen sollen. Anders, als der Begriff "Campus" suggeriert, hat er noch gar keinen wirklichen Ort, sondern stellt eine Vermarktungs-Strategie dar, die sich v.a. an die Öffentliche Hand richtet, um Risikokapital profitabel zu machen.

Auch im Impressum des GovTech Campus Berlin jedenfalls ist aktuell jenes unscheinbare Gebäude in der Max-Ulrich-Straße 3 angegeben, in dem sich auch der Merantix Campus befindet (und in dessen Umgebung ich mir schwerlich einen Lars Zimmermann beim Brunch vorstellen kann).

Trotzdem hat der GovTech Campus zumindest schon eine Erfolgsgeschichte vorzuweisen. Es handelt sich dabei um Aleph Alpha, ein Heidelberger Start-up, das als Mitglied der Merantix-"Community" geführt wird:

Am 16. September 2022 ist am GovTech Campus Berlin Europas derzeit wohl leistungsfähigstes kommerzielles KI-Rechenzentrum eröffnet worden. Die Feierlichkeiten fanden nur symbolisch in der Bundeshauptstadt statt, denn physisch steht alpha ONE, wie das Zentrum heißt, im Raum Bayreuth in Bayern. Hinter dem Hochleistungsrechenzentrum steht als privater Betreiber die oberfränkische Alpha Layers GTS, eine hundertprozentige Tochter des Heidelberger KI-Start-ups Aleph Alpha.

Heise online

Aleph Alpha gilt als Kandidat für ein deutsches Einhorn im KI-Bereich, also ein Start-up, das einen Marktwert über eine Milliarde Euro erreichen könnte. Laut – auf eigener Darstellung basierender – Berichterstattung habe es ein Sprachmodell entwickelt, welches "[d]as deutsche Gegenstück zu ChatGPT" (Süddeutsche Zeitung, 7.3.2023) darstellen soll.

Sein Rechenzentrum soll es ermöglichen, "auf in Europa stehender Infrastruktur moderne KI-Entwicklung betreiben, ohne den Abfluss von Daten nach Übersee zu befürchten. Mit der Inbetriebnahme von alpha ONE leistet Aleph Alpha einen essenziellen Beitrag zur Sicherung der digitalen Souveränität von Kunden und Partnern der öffentlichen Verwaltung, Wissenschaft und Privatwirtschaft, die nicht über die notwendige Recheninfrastruktur für modernste KI-Anwendungen verfügen" (Aleph Alpha).

Aleph Alpha bietet u.a. der Bundeswehr (bzw. dem bundeseigenen IT-Dienstleister der Bundeswehr, der BWI GmbH) einen Sprachassistenten an und hat auch darüber hinaus keine Berührungsängste mit Militär- und Sicherheitsbehörden.

Im Gegenteil: Es wirkt aktiv mit an Dienstleistungen, die auch den Umgang mit Daten ermöglichen, die höchster Geheimhaltung unterliegen. U.a. hierzu ist das Unternehmen im März 2023 eine strategische Allianz mit dem französischen Dienstleister Sopra Steria eingegangen, das bereits länger auch im Bereich der "Verteidigung" aktiv ist und u.a. die Anwendungen Künstlicher Intelligenz in den Datenbanken der EU-Grenzschutzbehörden optimieren soll.

Überhaupt ist auffällig, dass in der deutschen GovTech-Echokammer, u.a. auf den o.g. Kongressen, die Themen "digitale Souveränität" und "strategische Autonomie" mit großem Nachdruck vorangetrieben werden – und zwar in trauter Einigkeit zwischen internationalen Kapital- und Beratungsgesellschaften (PwC, KMPG, Deloitte, EY, McKinsey), den großen Playern aus den USA (IBM, Microsoft, Nvidia), internationalen und deutschen Risiko-Kapitalfonds, die oft – wie beim spektakulären Fall von Augustus Intelligence – eine große Nähe zu rechtskonservativen Kreisen der CDU aufweisen.

Dasselbe ließ sich noch vor wenigen Jahren unter dem allgemeineren Schlagwort der "KI-Ökosysteme" beobachten, wo es ebenfalls international tätige Beratungsunternehmen und Risiko-Kapitalfonds waren, welche den Aufbau und die Förderung entsprechender "Ökosysteme" in verschiedenen Teilen der Welt – insbesondere Deutschland und Europa – propagierten, um zu verhindern, "den Anschluss zu verlieren".

Das dahinterliegende Kalkül der aktuellen GovTech-Echokammer brachte Lilith Wittman in einem starken Kommentar bei heise.de zur Gründung des GovTech Campus Berlin auf den Punkt:

Der GovTech Campus ist eine weitere Gründung aus der Berliner Politik-Szene, wie wir sie gerade fast wöchentlich erleben (...) Die Gründung macht einen problematischen Trend in der Bundesverwaltung sehr gut sichtbar: die Institutionalisierung der Externalisierung (...)

Gründet jetzt also das Innenministerium eine Institution wie den GovTech Campus, dann baut es damit einen weiteren Ort, der es der Verwaltung ermöglicht, sich mit (potenziellen) Dienstleistern auszutauschen – und zeigt damit, dass es völlig selbstverständlich ist, dass Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen in die Verwaltung kommen, um dort Aufgaben der Kernverwaltung im digitalen Raum zu übernehmen.

Damit begibt man sich immer weiter in die Abhängigkeits- und Wissensverlustspirale (…) Ein besonders fatales Signal sendet das Innenministerium, indem es den Campus primär mit Startup-Investoren zusammen gründet. Wenn Investoren Geld in Start-ups stecken, dann erwarten sie exponentielles Wachstum.

Das können die Tech-Startups aber nur liefern, wenn sie Jahr für Jahr mehr Geld für ihre Apps und Software verlangen. Natürlich sind die Behörden die einzigen Abnehmer für Behördensoftware – für uns als Gesellschaft wird es also immer teurer. Das BMI fördert durch externe Dienstleister also Kostenexplosionen statt nachhaltigem Wissensaufbau in seinen eigenen Strukturen.

Lilith Wittmann, heise.de

Wie diese Anwendungen in der Praxis ausgestaltet sind, wenn sie aus relativ überschaubaren Netzwerken rechts-konservativer Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen und damit verbundenen "zivilgesellschaftlichen" Initativen und Investoren hervorgehen, das will man sich gar nicht ausmalen.

PS: Neben dem Deutschlandfunk war auch die Bild-Zeitung am Kongress "Wehrhafte Demokratie" zumindest mittelbar beteiligt. Nicht ohne Ironie moderierte im November 2021 Nena Schink von Bild TV das Podium unter dem Titel "Hate Speech und Gewalt gegen Träger öffentlicher Aufgaben".

Der Autor Christoph Marischka ist Mitglied im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung, forscht hier zu KI-Anwendungen in Militär und Grenzschutz und hat aus seiner persönlichen Beteiligung im "Bündnis gegen das Cyber Valley" heraus ein Buch über "Künstliche Intelligenz und ihre Produktionsbedingungen am Beispiel Tübingen" veröffentlicht.