Endlich: Ars Electronica schafft die Kunst ab!

Wissenschaft, Technologie und New Economy besetzen die leeren Geisterstädte der Kultur

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Nach monatelanger Verunsicherung über das Motto der nächsten Ars Electronica ist nun die Katze aus dem Sack, zumindest wenn man der Website der Ars trauen darf (eine offizielle Presseerklärung erfolgte noch nicht). Dort findet sich ein Text mit dem Titel "TAKEOVER - wer macht die Kunst von morgen". In einem längst überfälligen Schritt wird - die ja schon oft für tot erklärte - Kunst endgültig abgeschafft - allerdings nur beinahe.

Die intellektuelle Konsequenz und Entscheidungsfreudigkeit der Ars-Electronica ist nur zu begrüßen, denn Kunst trat bei der Ars Electronica in den letzten Jahren ohnehin nur sehr sporadisch in Erscheinung. In dem programmatischem Statement heißt es:

"In Folge der digitalen Revolution ist ein in Umfang und Vielfalt einmaliger Creativity Burst zu beobachten, der allerdings vom herkömmlichen Kunstbetrieb kaum bemerkt und beachtet wird. Die Trägheit traditioneller Kunstinstitutionen und die zunehmende Privatisierung der Kunstförderung, aber auch die Verschiebung der Aufmerksamkeitsfelder, verstärken den Trend einer jungen Künstlergeneration, sich eigene Plattformen, Kooperationen und Business Modelle aufzubauen."

Es lag sozusagen schon in der Luft und die Ars Electronica war bereits in der Vergangenheit an vorderster Front der Entwicklung, als sie die Preise für Netzkunst an einen Schriftsteller und einen Software-Entwickler verlieh, aber nun wird aus einem zarten Trend eine harte Gewissheit:

"Der anhaltende Brain-Drain in die Medien- und Werbewirtschaft könnte den Kunstbetrieb bald wie eine Geisterstadt zurücklassen."

Doch wir brauchen nicht zu verzweifeln, denn das avantgardistische Prinzip geht nicht verloren. In einer schneidigen Wortwahl, die zweifellos von Futurismus und Konstruktivismus inspiriert wurde, heißt es weiter:

"Das avantgardistische Prinzip der Kunst, treibende Kraft und Impulsgeber für eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung zu sein, hat sich verlagert: Wissenschaft, sub- und popkulturelle Nischen, Business & Entertainment, Software Engineering etc. sind die Epizentren der spannenden aktuellen Entwicklungen."

Es ist allerdings ein recht großer Topf, in dem hier diverse Zutaten verrührt werden. Doch wer große Ziele hat, braucht nicht pedantisch auf Kleinigkeiten achten. Schließlich geht es um die New Frontier:

"Ars Electronica 2001 widmet sich den ProtagonistInnen dieser Entwicklung, die unvoreingenommen und mit hohem Einsatz und Risiko in neue Territorien vorstoßen, in denen ihre Rolle und ihre Handlungsspielräume noch nicht definiert sind."

Dann aber folgt ein bedauerlicher Lapsus:

"Sei es an wissenschaftlichen Fronten wie der Gen- und Biotechnologie, in brisanten gesellschaftspolitischen Settings oder in neuen ökonomischen Allianzen, der modus operandi ihres Agierens, ihre Motivationen, Strategien und Zielsetzungen definieren sie als KünstlerInnen und die progressive Wirkung ihrer Arbeit macht diese zu Kunst."

Wie? Gerade erst waren wir befreit worden von der historischen Altlast Kunst. Nun soll sie durch die Hintertür wieder eingeführt werden? Biotechnologen und Genforscher müssen also plötzlich auch Künstler sein? Vielleicht auch der Herr Daimler-Schrempp für seine mutige Allianz mit Chrysler? Oder die zweifellos avantgardistischen Bomberpiloten über Bagdad? Genügt es nicht, dass sie risikobereit "in neue Territorien vorstoßen", muss das dann erst recht doch wieder von irgendwem (von wem eigentlich?) als Kunst definiert werden? Schade, es wäre so schön gewesen, ein für allemal auf die Kunst pfeifen zu können.

Da möchte man der Ars Electronica zurufen, "habt doch bitte keine Angst vor der eigenen Courage!". Wer A sagt, muss auch B sagen, insofern wäre der nächste logische Schritt das REBRANDING der eigenen Veranstaltung. Was soll eigentlich dieser seltsame lateinische Name "Ars Electronica". Etwas in der Richtung "Science-Tech-Roadshow" würde sicherlich Hemmschwellen abbauen und neue Publikumskreise erschließen. Auch sollten gar keine Künstler mehr auf der neu ge-brandeten (wie hieß sie noch) Veranstaltung zugelassen werden. Die Aussteller sollen Cisco, Red Hat, SmithGlaxoWellcome, Accenture heißen, ausgestellt werden Dolly das Schaf, die Internationale Raumstation und die neuen Laserwaffen des Pentagon, für die Abendunterhaltung sorgen Robbie Williams und Eminem. Die Preis-Juries werden von Intelligent Agents ersetzt und die programmatischen Zielsetzungen für das Linzer Festival von einem Think Tank in Silicon Valley erarbeitet, bestehend aus einem Team von Entwicklern, Anwälten, Risikokapitalisten und anderen echt treibenden Kräften und Impulsgebern. Schluss mit der ewiggestrigen Kunst!

Ars Electronica 2001 1. - 6. September