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Energiecharta-Vertrag zum Schutz fossiler Konzerne ist tot

Bild: Pixabay

Nach Polen, Spanien und den Niederlanden kündigt nun auch Frankreich den Austritt aus dem "Pakt gegen den Klimaschutz" an, der Gewinne der fossilen Industrie schützt. Macht Deutschland bei der "Revolte" mit?

Der umstrittene Energiecharta-Vertrag [1] (ECT) ist nun praktisch tot. Offenbar hat Spanien, das besonders oft vor ebenfalls umstrittenen Schiedsgerichten von fossilen Konzernen wegen des ECT verklagt wird, eine Lawine ins Rollen gebracht. Das Land hatte kürzlich den Austritt aus dem Vertrag angekündigt.

Man habe den "sicheren" Rückzug eingeleitet, erklärte die spanische Ministerin für den ökologischen Übergang, Teresa Ribera, da es "keine Verbesserungen" [2] gegeben habe, wie sie in Bezug auf die kürzlich verabschiedete Reform und den darin enthaltenen Schutz von fossilen Investitionen ausführte.

Spanien hatte in den vergangenen zwei Jahren, wie andere Länder, immer wieder erklärt, dass die Reform zu tiefgreifenden Veränderungen führen müsse, andernfalls würde das Land den Energiecharta-Vertrag verlassen.

Es sieht nun stark danach aus, dass die losgetretene Lawine den Vertrag mit sich in die Tiefe reißen wird, da der ECT weiter vor allem Investitionsrenditen der fossilen Industrie verteidigt. Investigate Europe hatte im vergangenen Jahr herausgearbeitet, dass in der EU, Großbritannien und der Schweiz fossile Infrastruktur im Umfang von 345 Milliarden Euro geschützt [3]ist.

Unternehmen drohten Regierungen

Drei Viertel davon seien Gas- und Ölfelder sowie Pipelines. Da die Konzerne über den ECT nicht nur den Wert ihrer Infrastruktur einklagen können, sondern auch entgangene Gewinnerwartungen, dürfte die Summe möglicher Entschädigungsansprüche tatsächlich noch viel höher sein, stellte die Recherche heraus.

War der 1998 in Kraft getretene Vertrag einst dazu gedacht, Investitionen in Staaten mit unsicherer Rechtslage in Osteuropa und Zentralasien zu schützen, wie Telepolis gerade aufgezeigt hatte [4], wendeten sich nach der Recherche im vergangenen Jahr in 74 Prozent der Fälle EU-Investoren in Energiecharta-Fällen gegen EU-Mitgliedsstaaten.

Oft brauche es ohnehin gar keine Klage, um Gesetze zum Klimaschutz zu verwässern. Es reiche oft die bloße Tatsache aus, dass die fossile Industrie hohe Entschädigungen einklagen können, um Klimaschutzmaßnahmen zu beeinflussen. "Manchmal drohen die Unternehmen den Regierungen sogar ganz offen", wird festgestellt.

Dass die Pfeiler des ECT ins Wanken geraten sind, zeigte sich dann letzte Woche schon sehr deutlich. Rob Jetten, niederländischer Minister für Klima- und Energiepolitik kündigte im Parlament ebenfalls den Austritt aus dem Vertrag an, da der nicht im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen stehe. Die Bemühungen, ihn neu auszuhandeln, seien gescheitert.

Der Auftrag an die Europäische Kommission lautete, den ECT mit dem Pariser Klimaabkommen in Einklang zu bringen.

Rob Jetten

Doch trotz vieler Veränderungen, die im Verhandlungsergebnis enthalten seien, "sehen wir nicht, wie der ECT ausreichend an das Pariser Abkommen angepasst worden ist". Damit trat er auch der EU-Kommission vor das Schienbein, die einfach nicht einmal die klar geäußerten Interessen der Mitgliedsländer vertreten hat.

Jubel nach der Erklärung der Niederlande: "Vor einer ausgewachsenen Revolte"

Gegenüber Politico bestätigte ein Ministeriumssprecher schließlich, dass es sich um eine "endgültige" Entscheidung handele [5]. Die Niederlande hoffen, "vorzugsweise zusammen mit der gesamten EU, den ECT kündigen" zu können", fügte der Sprecher im Wissen an, dass weitere Länder folgen würden.

"Eine Reihe von Ländern hat jetzt konkrete Schritte unternommen, um ihre Mitgliedschaft zu beenden, und ich werde prüfen, wie die Niederlande sich dem am besten anschließen können", hatte Jetten schon zuvor im Unterhaus unter anderem mit Blick auf Spanien und Polen erklärt.

Aktivisten, die seit langem Front gegen den Energiecharta-Vertrag machen, brachte die Ankündigung der Niederlande zum Jubilieren. "Der ECT steht endlich vor einer ausgewachsenen Revolte", erklärte Anna Cavazzini, grüne Europaabgeordnete und Berichterstatterin des Europäischen Parlaments für den Energiecharta-Vertrag. Der laufende Reformprozess reiche nicht aus. Die Entscheidung der Niederlande, aus dem Energiecharta-Vertrag auszusteigen, sei folgerichtig.

"Andere Mitgliedstaaten müssen diesem Beispiel folgen, auch die Bundesrepublik", fordert die Aktivistin "Dieser Vertrag gefährdet Energiewende und kostet die öffentliche Hand jetzt schon Milliarden", fügte sie in einer Presseerklärung an. Die Ankündigung der Niederlande sei von besonders großer Bedeutung: "Denn das Land war früher einer der entschiedensten Verfechter der Investitionsschiedsgerichte."

Sie hatte dem Vertrag stets als einen "Pakt gegen den Klimaschutz" angegriffen von einem "mächtigen Instrument in den Händen großer Öl-, Gas- und Kohleunternehmen gesprochen, um Regierungen vom Übergang zu sauberer Energie abzubringen.

In einem Kommentar für die Frankfurter Rundschau schrieb sie 2020 mit Hoffnungen auf die Reform weiter:

Der Vertrag gesteht Energieunternehmen große Befugnisse zu, nämlich Staaten vor privaten Schiedsgerichten über Milliarden von Dollar zu verklagen. Kein anderes internationales Handels- oder Investitionsabkommen der Welt hat mehr Investorenklagen ausgelöst als der Energiecharta-Vertrag.

Anna Cavazzini [6], FR

Inzwischen ist aber längst klar, dass der Vertrag völlig zerbröselt, aus dem im vergangenen Dezember schon Australien ausgetreten war. Die Austrittsbestrebungen in Europa hatten vor gut einem Jahr über den Europäischer Gerichtshof (EuGH) neuen Aufwind bekommen.

Das Urteil

Denn der hatte am 2. September 2021 geurteilt, dass die Energiecharta für Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern der Europäischen Union unwirksam ist [7]. Damit entzog er formal vielen der 55 anhängigen ECT-Verfahren die Grundlage. Diese Verfahren werden aber weitergeführt, da die Mehrzahl der Schiedsgerichte sich der EuGH-Rechtsprechung nicht beugen wollen.

In Polen ist der Austrittsvorgang sogar schon ziemlich weit fortgeschritten und das zeigt, wie heterogen die Bewegung längst ist. Ein Gesetzentwurf über die "Kündigung des Energiecharta‑Vertrags" und seiner Protokolle wurde von der Regierung schon im August verabschiedet und von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki an das polnische Parlament weitergeleitet.

Die in dem Abkommen enthaltene Klausel zur Beilegung von Investor‑Staat‑Streitigkeiten (ISDS) stelle "eine Bedrohung für die Autonomie des EU‑Rechts und den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten" dar und sollte "zur Gewährleistung der Rechtssicherheit in der EU‑Rechtsordnung" abgeschafft werden, heißt es darin.

"Die polnische Regierung hat aus dem gescheiterten Versuch, den klimaschädlichen Energiecharta‑Vertrag zu reformieren, die richtige Konsequenz gezogen" [8], hatte Cornelia Maarfield, eine Aktivistin des Climate Action Network (CAN) Europe, zu der Entscheidung Polens erklärt.

CAN hatte andere Länder aufgefordert, sich dem Vorstoß anzuschließen und das tun nun immer mehr Länder. Vergessen werden sollte aber nicht, dass der Erosionsprozess in der EU schon vor sechs Jahren begonnen hat, als Italien als erstes EU-Land und zudem als erstes große EU-Mitgliedsland den ECT aufgekündigt hatte.

Unvereinbar mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens

Inzwischen waren auch längst klare Absetzbewegungen in Frankreich erkennbar. "Die Niederlande haben Recht. Lassen Sie uns auf einen koordinierten Ausstieg [9] aus dem Vertrag über die Energiecharta hinarbeiten", forderte die französische Parlamentarierin des Europäischen Parlaments, Marie‑Pierre Vedrenne.

Dabei handelt es sich um die Vizepräsidentin des Handelsausschusses, die zudem Parteigängerin des französischen Präsidenten Emmanuel Macron ist.

Auch im zweitgrößten EU-Land war längst eine klare Strömung erkennbar, die auf den Austritt aus dem ECT gedrängt hatte. So hatte Frankreichs Hoher Rat für das Klima (HCC) – ein unabhängiges Beratungsgremium von Experten, gerade seine Stellungnahme zu dem vierjährigen Modernisierungsprozess des ECT abgegeben.

Die Empfehlung des HCC, welcher der Premierministerin unterstellt ist, fiel sehr klar aus:

Ein koordinierter Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag seitens Frankreichs und der EU, verbunden mit einer Neutralisierung seiner "Überlebensklausel", erscheint als die am wenigsten riskante Option, um nationale, europäische und internationale Klimaverpflichtungen einzuhalten.

Frankreichs Hoher Rat für das Klima (HCC) [10]

Da der HCC gefordert hatte, sich den oben aufgeführten Beispielen zu folgen, war eigentlich in Paris alles entschieden. So war es kein Wunder mehr, dass zum vergangenen Wochenende schließlich auch Macron den Ausstieg aus dem Vertrag angekündigt hat.

"Frankeich hat entschieden, aus dem ECT auszusteigen" [11], erklärte Macron im Anschluss an den EU-Gipfel in Brüssel. Das sei längst von vielen gefordert worden, verwies der Staatschef unter anderem auch auf das Expertengremium.

Da darüber fossile Brennstoffe geschützt würden, sei der Vertrag unvereinbar mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens und den "Zeitplänen für die Dekarbonisierung", die im Pariser Abkommen vorgesehen sind.

Man kann angesichts der angekündigten Austrittswelle nun davon ausgehen, dass der ECT am Ende ist, auch wenn die angeblichen Klimaretter in Berlin offenbar auch diese Entwicklung verschlafen haben.

Dabei hatte auch Deutschland einst zu den Kritikern gehört und auch aus Berlin war die Europäische Kommission aufgefordert worden, zu prüfen, wie ein koordinierter Austritt eingeleitet werden könnte. Im Mai hatte Deutschland, im Bunde mit den Niederlanden, Polen und Spanien erhebliche Zweifel daran geäußert, ob die EU dazu fähig wäre, den Energiecharta-Vertrag mit den Abkommen zum Klimaschutz in Einklang zu bringen.

Was ist mit dem Rechtsschutz für Unternehmen?

Angesichts eines sich abzeichnenden Scheitern der Reform wurde die Kommission aufgefordert, sich rechtzeitig auf "mögliche Ausstiegsszenarien" vorzubereiten. Tatsächlich wurde die Reform zwar im Sommer abgeschlossen [12], doch wie erwartet kam nicht viel dabei heraus.

Zwar wurde zunächst behauptet, dass der Rechtsschutz für neue Investitionen in fossile Brennstoffe "nach dem 15. August 2023" mit "begrenzten Ausnahmen" auslaufen werde [13], doch das war wie üblich nur wieder einmal die halbe Wahrheit.

Eine dieser Ausnahmen war nämlich, dass es weiter einen Rechtsschutz für bestehende Investitionen geben soll, der erst "nach 10 Jahren ab Inkrafttreten der entsprechenden Bestimmungen" auslaufen soll, heißt es im Vertragswerk. Dazu kommt, dass alle 51 Mitgliedsstaaten die Reform zuvor erst ratifizieren müssen, was Jahre dauern dürfte.

Somit stellten Beobachter nach der Reform ernüchtert fest, dass die alten Probleme nicht gelöst, sondern sogar zum Teil fortgeschrieben wurden. So wurde festgestellt, dass auch weiterhin die mit horrenden Entschädigungsansprüchen rechnen müssen, die gerne aus Kohle oder aber auch aus Atomkraft aussteigen wollen.

Denn als die Niederlande einen ab 2030 aus der Kohle aussteigen wollte, hat zum Beispiel RWE verklagt das Land auf 1,4 Milliarden Euro verklagt. Deutschland wiederum wurde wegen des geplanten Atomausstiegs nach der Atomkatastrophe von Fukushima vom schwedischen Vattenfall-Konzern vor einem internationalen Schiedsgericht verklagt.

4,7 Milliarden Euro Schadensersatz wurde gefordert. Letztlich hat man sich geeinigt. Vattenfall und anderen Energiekonzernen musste der Steuerzahler mit 2,4 Milliarden Euro entschädigen. Mit mehr als 1,4 Milliarden entfiel mehr als die Hälft auf Vattenfall, die für die Klage bei einem der umstrittenen Schiedsgerichte besonders belohnt wurde.


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[1] https://www.heise.de/tp/features/Julia-gegen-den-Energiecharta-Vertrag-7317343.html
[2] https://www.politico.eu/article/spain-pulls-out-of-energy-treaty-over-climate-concerns/
[3] https://www.investigate-europe.eu/en/2021/ect/
[4] https://www.heise.de/tp/features/Julia-gegen-den-Energiecharta-Vertrag-7317343.html?seite=all
[5] https://www.politico.eu/article/netherlands-leave-embattled-energy-charter-treaty-rob-jetten/
[6] https://www.fr.de/meinung/pakt-gegen-klimaschutz-13421907.html
[7] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/umstrittene-schiedsverfahren-luxemburg-kippt-die-energiecharta-17513936.html
[8] https://www.euractiv.de/section/energie-und-umwelt/news/polen-will-mit-neuem-gesetz-aus-dem-energiecharta-vertrag-ausstiegen/
[9] https://www.euractiv.de/section/energie-und-umwelt/news/klimarat-frankreich-muss-aus-energiecharta-vertrag-austreten/
[10] https://www.aefinfo.fr/depeche/681152-traite-sur-la-charte-de-l-energie-le-hcc-plaide-pour-un-retrait-coordonne-de-la-france-et-de-l-ue
[11] https://www.francetvinfo.fr/meteo/climat/climat-emmanuel-macron-annonce-que-la-france-va-se-retirer-du-traite-sur-la-charte-de-l-energie-juge-incompatible-avec-les-objectifs-de-l-accord-de-paris_5431750.html
[12] https://www.euractiv.com/wp-content/uploads/sites/2/2022/06/Agreement-in-principle-ECT_FS.pdf?_ga=2.175112738.1882049692.1666469434-1125563721.1666286308
[13] https://www.linkedin.com/posts/alejandro-carballo-leyda-12871122_agreement-in-principle-activity-6946014033288286208-hUpR/