Energiesparen ist nicht alles
Sparsame Wohnriesen - Teil 2
Die energetische Sanierung von Hochhäusern der 1960er und 1970er Jahre steht für viele Städte auf der Tagesordnung. Wann es sich lohnt, eine in die Jahre gekommene „Wohnmaschine“ aufzumöbeln, hängt nicht nur vom erreichbaren energetischen Standard ab. Auch wohnungswirtschaftliche und städtebauliche Aspekte spielen eine Rolle.
Teil 1: Wie man alte Hochhäuser energetisch fit macht
Im ersten Teil dieses Artikels wurde von Deutschlands größtem Niedrigenergiehaus in Berlin und dem künftigen Passivhochhaus in Freiburg berichtet. Der fortschrittliche Energiestandard der beiden Gebäude ist jedoch nur ein Aspekt der Sanierung – mindestens ebenso wichtig sind die städtebaulichen Verbesserungen. So muss man beim sanierten Doppelhochhaus in Berlin-Lichtenberg schon genauer hinschauen, um die Energie sparende Haustechnik zu entdecken – zum Beispiel auf das Dach mit den imposanten Lüftungsein- und -auslässen der zentralen Lüftungsanlage oder in den Technikraum im Erdgeschoss, in dem die neue Fernwärme-Anschlussstation samt Energie-Zwischenspeicher („HAST-AKKU“-System) und Blockheizkraftwerk stehen. Der Fachmann erkennt den vorbildlichen Energiestandard auch an den dreifach verglasten Fenstern und den Lüftungsöffnungen in den Wohnungen. Der Mieter selbst merkt es in der Regel nur daran, dass er behaglich wohnt, ohne viel heizen oder lüften zu müssen, und natürlich beim jährlichen Blick auf seine erfreulich niedrige Nebenkostenabrechnung.
Auf den ersten Blick auch für Nichtfachleute zu erkennen ist jedoch das, was Stadtplaner gern „Wohnumfeldverbesserungen“ nennen: Im Erdgeschoss empfängt den Mieter oder Besucher jetzt ein(e) Concierge, außerdem wurden Flächen für Läden vorgesehen, die für mehr städtisches Leben in der 21-stöckigen „Wohnmaschine“ sorgen. Ein ähnliches Konzept verfolgt auch die Freiburger Stadtbau (FSB) bei ihrem Passivhochhaus-Projekt: Hier soll im Erdgeschoss ebenfalls eine Concierge Platz finden, außerdem werden Büro- und Gruppenräume für die Arbeiterwohlfahrt, einen Nachbarschaftstreff und die Quartiersarbeit sowie eine Gästewohnung eingerichtet. So genannte „Wohnverwandtschaften“ sollen familiäre Netzwerke vervollständigen oder fehlende familiäre Strukturen ersetzen, um der Vereinsamung insbesondere älterer Bewohner in dem großen Gebäude entgegenzuwirken. Mehr soziale Kontakte und eine stärkere Identifikation der Bürger mit ihrem Stadtteil sind letztlich auch, so die Erfahrung nicht nur in Freiburg, ein probates Mittel zur Verringerung von Vandalismus und Kriminalität.
Bei künftigen Sanierungen, die demnächst zum Beschluss anstehen, will man bei der FSB noch einen Schritt weiter gehen und die – bisher vom Erdgeschoss bis zum Dach identischen – Wohnungsgrundrisse variieren, um das Haus für unterschiedliche Bewohner interessant zu machen. Beim nächsten Hochhaus, das mit dem aktuell sanierten baugleich ist, sollen deshalb in den unteren Etagen große, zum Teil zweistöckige Wohnungen entstehen – sozusagen kleine Häuser im großen, mit separatem Zugang und eigenem Gartenanteil; in den oberen Etagen des Gebäudes würden kleinere Wohnungen untergebracht. Ziel ist eine bessere Durchmischung der Bewohner, die der Technische Leiter der Stadtbau, Manfred Börsig, in Anbetracht der demografischen Entwicklung für wichtig hält: „Auch Weingarten ist im Vergleich zu anderen Stadtteilen schon überaltert. Deshalb können wir uns aber nicht einfach nur auf Ältere einstellen und kleinere Wohnungen bauen. Es kommt auch mal wieder eine Zeit danach, wir wollen jetzt keinen Stadtteil für Senioren schaffen.“ Sicherheitshalber werden dennoch künftig alle neu gebauten FSB-Wohnungen barrierefrei gestaltet.
Zur „Frischzellenkur“ für die ehemals reine Sozialwohnsiedlung Weingarten gehört aber nicht nur die Sanierung bestehender Gebäude, sondern auch die Nachverdichtung mit Reihenhäusern, wodurch der Anteil von Wohneigentümern erhöht wird: „Das macht den Stadtteil lebendiger und interessanter“, ist Börsigs Ansicht. Günstige Eigentumswohnungen würden zudem stark nachgefragt: „Diesen Markt müssen wir bedienen, da gibt es in Freiburg noch gar nichts.“
Warum nicht einfach abreißen?
Bleibt die Frage, ob sich die neuen Wohnkonzepte statt mit einer aufwändigen Sanierung nicht einfacher und billiger durch Abriss und Neubau realisieren ließen? „Unter den jetzigen Wohnungsbauförderungskriterien wäre ein Abriss und Neubau definitiv teurer“, hat ISE-Projektleiter Sebastian Herkel ausgerechnet. Das Verhältnis zur Sanierung des Altbaus sei im Fall des Freiburger Projekts 2.200 zu 1.600 Euro pro Quadratmeter, was nicht zuletzt an den hohen Abrisskosten liege. „In einem innerstädtischen Bereich können Sie nicht sprengen.“ Auch für Manfred Börsig war der Abriss keine Option, sondern eine „Vernichtung preisgünstigen Wohnraums.“ Eine niedrigere, vier- bis fünfgeschossige Neubebauung anstelle des Hochhauses hätte selbst bei Versiegelung des gesamten zur Verfügung stehenden Grundes eine geringere Wohnfläche ergeben – bei der hohen Nachfrage nach Wohnungen in Freiburg sei dies nicht akzeptabel gewesen.
In anderen Regionen kann die Bilanz durchaus anders aussehen: Insbesondere in ostdeutschen Städten, deren Bevölkerungszahlen seit der deutschen Wiedervereinigung zumeist stark geschrumpft sind, wurden in den letzten Jahren zahlreiche große Plattenbauten abgerissen oder „zurückgebaut“, das heißt verkleinert oder in mehrere Gebäude aufgespalten. Bei der Entscheidung über Abriss oder Sanierung eines Gebäudes spielen deshalb, wie Nicole Pillen, Projektleiterin des Modellvorhabens Niedrigenergiehaus im Bestand der Deutschen Energie-Agentur (dena), erklärt, eine ganze Reihe von Faktoren eine Rolle: insbesondere die Lage und der Zustand eines Gebäudes, die demografische Entwicklung, die Mieterstruktur oder die Modernität der Grundrisse. Das Thema Energieeffizienz komme erst an zweiter Stelle: „Wenn klar ist, dass saniert werden soll, sollte die wirtschaftlichste Variante gewählt werden – und das ist nach unseren Erfahrungen bei kompakten Gebäuden wie großen Wohnanlagen eine energetische Sanierung, die die Neubauwerte der Energieeinsparverordnung deutlich unterschreitet. Je kompakter ein Gebäude ist, umso wirtschaftlicher ist eine hocheffiziente Sanierung.“
Großsiedlungen warten auf ihre Modernisierung
So gesehen könnten das Berliner Niedrigenergie- und das Freiburger Passivhochhaus wegweisend für den künftigen Umgang mit den Großsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre sein, die heute viele Städte als energetische und städtebauliche Altlasten vor sich herschieben. „Früher, in der DDR, dachten wir in unserer Naivität, Plattenbauten gäbe es nur im Osten, aber die gibt es ja überall auf der Welt“, lacht Angela Reute von der Howoge, welche zu DDR-Zeiten „VEB Kommunale Wohnungsverwaltung Berlin-Hohenschönhausen“ hieß. „Und mit unserem Projekt haben wir gezeiget, wie man so ein Haus mit relativ günstigen Mitteln energetisch flott machen kann.“ Deshalb kämen noch heute, über zwei Jahre nach der Fertigstellung, interessierte Besucher aus aller Herren Länder, um sich das Berliner Musterhochhaus anzuschauen. Wie bei der Freiburger Stadtbau sieht man sich deshalb auch bei der Howoge als Vorreiter in einer „eher konservativen Branche“, wie es Manfred Börsig diplomatisch ausdrückt.
Börsig findet zudem, dass die energetische Sanierung die oft ungeliebten Hochhäuser geradezu interessant machen kann: „Das stärkt das Interesse und wertet das Image sehr auf.“ Bei der Freiburger Stadtbau sieht man es auch gern, dass der viel geschmähte Stadtteil Weingarten damit in den Fokus des Interesses rückt. Voraussetzung für künftige Projekte dieser Art sei jedoch die weitere Bereitstellung von Fördermitteln: „Für die Sanierung von Großsiedlungen ist das Programm Soziale Stadt wesentlich.“ Nachdem sich die Politik nach dem „Aufbau Ost“ nun auch den „Aufbau West“ auf die Fahnen geschrieben hat, besteht die Hoffnung, dass es mit der Förderung auch in Zukunft weitergehen wird. So hat die FSB erst kürzlich eine Förderzusage für ein Forschungsprojekt im Rahmen des Programms „Energieeffiziente Stadt“ erhalten: Neben dem beschriebenen Hochhaus sollen ein Acht- und ein Viergeschosser mustergültig saniert werden, knapp eine Million Euro wurden vom Bund für die wissenschaftliche Begleitung zur Verfügung gestellt. „Auch dieses Projekt wird Wirkung über Freiburg hinaus zeigen,“ ist sich der Technische Leiter der Stadtbau sicher. „Denn das ist der Vorteil solcher Großsiedlungen unter energetischem Aspekt: Sie sind meist auf wenige Gebäudetypen beschränkt.“
Was die Größenordnung (und auch den Bedarf) von Sanierungsprojekten angeht, liegt allerdings wieder ein Projekt in der deutschen Hauptstadt vorn: Hier steht zur Zeit die Sanierung der in den 1960er- und 1970er-Jahren entstandenen Großsiedlung „Märkisches Viertel“ mit 16.000 Wohnungen und 36.000 Bewohnern an – dabei ist auch wieder ein echter „Riese“: Ein 650 Meter langer Wohnblock mit 977 Wohnungen und 68.000 Quadratmetern Wohnfläche soll im Rahmen des dena-Modellvorhabens auf den Energiestandard „Effizienzhaus 70“ gebracht werden und wird nach geplanter Fertigstellung 2012 Deutschlands größtes Niedrigenergiehaus sein. Auch in puncto Energieeffizienz können die Freiburger ihren Vorsprung dann nur noch knapp behaupten. Aber wer weiß, vielleicht baut man in der Schwarzwaldmetropole bis dahin schon am ersten „Nullenergiehochhaus“ ...
Exkurs: Von Niedrigenergie-, Effizienz- und Passivhäusern
Um die Energieeffizienz eines Wohngebäudes zu bewerten, gibt es heute eine auch von Fachleuten nur noch schwer zu durchschauende Vielfalt von Standards und Bewertungsverfahren. Grundsätzlich gilt: Als „Niedrigenergiehaus“ (NEH) bezeichnet man Neu- und Altbauten, welche den nach der aktuell gültigen Energie-Einsparverordnung (EnEV) gesetzlich geforderten Wärmeenergiebedarf von Neubauten unterschreiten.
Die bekanntesten NEH-Standards in Deutschland wurden von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) geprägt. Das „KfW 60“- und das „KfW 40“-Haus wurden mit Bezug zur EnEV 2007 definiert. Während ein Standardneubau nach EnEV 2007 einen Wärmeenergiebedarf von maximal 100 kWh/m2a (Kilowattstunden pro Quadratmeter Wohnfläche pro Jahr – dies entspricht einem Jahresverbrauch von 10 l Heizöl bzw. 1 m3 Erdgas pro Quadratmeter) aufweisen durfte, begnügte sich das KfW 60-Haus mit 60 kWh/m2a und das KfW 40-Haus mit 40 kWh/m2a. Diese günstigen Werte ließen sich durch eine luftdichte, gut gedämmte Gebäudehülle, den Einbau doppelt oder dreifach verglaster Fenster und durch eine kontrollierte Belüftung erreichen.
Mit der zum 1. Oktober 2009 in Kraft getretenen EnEV 2009 wurde der Neubau-Mindeststandard um 30 Prozent abgesenkt, der Referenzverbrauch liegt nun in etwa bei 70 kWh/m2a („7-Liter-Haus“). Auf diesen Wert bezogen werden jetzt auch die förderfähigen NEH, die nun als „KfW-Effizienzhäuser“ bezeichnet werden („KfW Effizienhaus 85“ bzw. „KfW Effizienzhaus 70“) und nur noch 85 bzw. 70% des Wärmebedarfs eines Standard-Neubaus nach EnEV 2009 benötigen. Geplant ist die Einführung einer weiteren Förderstufe „KfW Effizienzhaus 55“ mit einem Wärmebedarf von nur noch 55% des EnEV-Referenzwertes. Das Konzept des Effizienzhauses wurde von der Deutschen Energie-Agentur (dena) in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) entwickelt und lässt sich – im Unterschied zu den früheren KfW-Definitionen – sowohl auf Neu- als auch auf sanierte Altbauten anwenden. Bei Neubauten lassen sich die Effizienzhäuser 85 und 55 in etwa mit den früheren Förderstandards KfW 60 bzw. KfW 40 vergleichen.
Noch anspruchsvoller ist der vom Darmstädter Passivhaus-Institut bereits Anfang der 1990er-Jahre definierte Passivhausstandard („Passivhaus-Projektierungs-Paket“, PHPP): Mit einem Heizwärmebedarf von weniger als 15 kWh/m2a kommt ein Passivhaus im Prinzip ohne aktive Beheizung oder Klimatisierung aus. Da bei der Passivhausdefinition im Unterschied zu den KfW-Definitionen nur der reine Heizwärmebedarf ohne Warmwasserbereitung und Energieverluste im Wärmesystem berücksichtigt wurde, liegen Passivhaus und das neue KfW-Effizienzhaus 55 in Wirklichkeit nicht so weit auseinander, wie es die Zahlen suggerieren. So liegt der Energiebedarf des Freiburger Passivhochhauses nach EnEV-Berechnung bei 124 kWh/m2a vor bzw. 35 kWh/m2a nach der Sanierung, die Freiburger Stadtbau gibt das Verhältnis nach PHPP-Berechnung mit 68 zu 15 kWh/m2a an. Übrigens ist auch der Passivhausstandard noch nicht der Weisheit letzter Schluss: Inzwischen gibt es bereits „Nullenergiehäuser“ und sogar „Plusenergiehäuser“, die mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen.
Primärenergie und Endenergie
Noch komplexer werden die Energiebedarfsrechungen, wenn man die Herkunft der Energie mit einbezieht: Die so genannte Endenergie, die ein Gebäude zur Beheizung und Warmwasserbereitung benötigt, ergibt sich dann aus der eingesetzten Primärenergie – also z.B. Erdgas, Kohle, Sonnenenergie, Kernenergie, Windkraft – multipliziert mit einem Faktor, der den Aufwand bei der Energiebereitstellung berücksichtigt. Für Holz als nachwachsendem, nahezu CO2-neutralen Energieträger liegt der Primärenergiefaktor bei 0,2, für fossile Energieträger wie Erdgas, Erdöl und Kohle bei 1,1, bei Strom hingegen aufgrund der großen Verluste bei der Energieumwandlung aus anderen Energieträgern bei 2,7. Bei Versorgung mit Fernwärme aus einem Blockheizkraftwerk, das mit fossilen Energien betrieben wird, sinkt den Faktor aufgrund der deutlich effizienteren Energieumwandlung der Kraft-Wärme-Kopplung von 1,1 auf 0,7.
Auch über die Art der Primärenergie lässt sich somit die Energieeffizienz eines Gebäudes beeinflussen – wenn diese „grün“ ist, genügt unter Umständen weniger Dämmaufwand am Gebäude, beispielsweise um eine denkmalgeschützte Altbaufassade zu erhalten. In jedem Fall sollten energieeffiziente Gebäude aber so geplant werden, dass die Gebäudehülle möglichst wenig Wärme entweichen lässt und der minimierte Energiebedarf dann mit Hilfe von erneuerbaren Energien gedeckt wird.