Entkopplung zwischen Nato und Russland: Die Diplomaten gehen – kommt nun der Krieg?

Russische Botschaft in Berlin. Bild: Peggy_Marco, Pixabay

Hunderte Botschaftsmitarbeiter aus Nato-Raum ausgewiesen. Zunächst herrschte Genugtuung, nun droht sicherheitspolitisch ein Fiasko. Ein Telepolis-Leitartikel. (Teil 2 und Schluss)

Decoupling - Entkopplung: Nicht erst seit der russischen Invasion in der Ukraine ist dieser Begriff in aller Munde. Die westlichen Industriestaaten müssten sich von Russland und möglichst auch von China abkoppeln, heißt es.

Was ökonomisch im Sinne einer Diversifizierung des Außenhandels und der Importwirtschaft durchaus Sinn macht, ist zugleich Teil eines tiefer liegenden Trends. Denn die Loslösung von Russland und China wird politisch zunehmend mit einer Konkurrenzsituation begründet. So etwa in der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung. Dort heißt es mit Blick auf Beijing

Sie Wir leben in einem Zeitalter wachsender Multipolarität. Einige Staaten versuchen, die bestehende internationale Ordnung entsprechend ihrer Auffassung von systemischer Rivalität umzugestalten. In dieser internationalen Lage ist China Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale.

Der sich abzeichnende Konflikt zwischen den geopolitischen Blöcken - dem amerikanisch-europäischen Bündnis in Gestalt der Nato, Eurasien um Russland und China in Asien - hat sich längst auch politisch und diplomatisch manifestiert.

Besonders deutlich wird dies in den Beziehungen zwischen den westlichen Staaten und Russland. Zwischen beiden haben sich die Kontakte seit dem Anschluss der Krim an Russland 2014 und verstärkt seit der Invasion der Ukraine Ende Februar 2022 in einem Ausmaß und Tempo reduziert, wie man es sonst nur aus Kriegszeiten kennt.

Lesen Sie auch:: Globale Entkopplung zwischen West und Ost: Zum ewigen Krieg

Das ist beunruhigend. Denn während mit der wirtschaftlichen Entkoppelung die Hemmschwelle für direkte kriegerische Auseinandersetzungen sinkt - weil der zu erwartende Schaden für die eigene Wirtschaft ja überschaubarer wird -, verfügen potenzielle künftige Konfliktparteien über immer weniger Kanäle des Austauschs und immer weniger Ressourcen, um das Verhalten der Gegenseite adäquat einzuschätzen.

Im jüngsten Kapitel gegenseitiger Massenabschiebungen spielte eine russische Regierungsmaschine des Typs Iljuschin Il 96-300 eine zentrale Rolle. Das Flugzeug flog Ende April mit Sondergenehmigung von Moskau nach Berlin - und kehrte wenig später in die russische Hauptstadt zurück.

Seitdem dürfte es einsam geworden sein um den Botschafter der Russischen Föderation in der Bundesrepublik Deutschland, Sergej Netschajew: Der historische Botschaftskomplex am Berliner Boulevard Unter den Linden steht fast leer.

Ausweisungen nicht erst seit Kriegsbeginn

Wie viele russische Diplomaten und Konsulatsmitarbeiter unter der amtierenden deutschen Außenamtschefin Annalena Baerbock (Grüne) des Landes verwiesen wurden, ist unklar. Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 wurden nach Moskauer Zählung innerhalb von zwei Monaten weltweit rund 400 russische Diplomaten aus westlichen Staaten ausgewiesen, hieß es bei tagesschau.de. Russland reagierte jeweils mit dem Entzug der Akkreditierung westlicher Vertreter.

Diese Entwicklung setzte allerdings schon früher ein, was als Indiz dafür gewertet werden kann, dass der Krieg in der Ukraine nur der vorläufige Höhepunkt einer generellen Krise zwischen den Nato-Staaten einerseits und Russland andererseits ist:

Jedenfalls listet das Portal statista.com Hunderte von Ausweisungen in den Jahren 2002 bis 2012 auf, die meisten aus den USA (223), gefolgt von Bulgarien (90), Polen (53), Deutschland (51) und Frankreich (46). Die Liste deckt sich weitgehend mit der Gruppe der Staaten, die für eine bedingungslose militärische Unterstützung der Ukraine eintreten.

Die US-Nachrichtenseite Axios sieht in einer parallelen Umfrage Polen, Deutschland und die Slowakei an der Spitze, wenn es um die Ausweisung russischen Personals geht. Dort heißt es: "Die Länder an der Ostflanke der Nato starteten Ende März (20220) die nächste große Welle, wobei Polen nach den Ausweisungen aus Bulgarien (10), Estland (3), Lettland (3) und Litauen (4) einen Rekord (45) aufstellte."

Deutsche Leitmedien berichteten weitgehend gleichgültig oder in einer Weise, die auch im Pressestab von Baerbocks Auswärtigem Amt Anklang finden könnte (und vielleicht auch sollte). "Putins Spione unter Druck" schrieben zwei gebührenfinanzierte Autoren Anfang April 2022.

Die Bewertung des Vorgangs wirkt seltsam unentschieden; vielleicht, weil der Text aus zwei Federn stammt. Einmal heißt es, "400 Diplomaten" seien "aus Europa ausgewiesen" worden. Wenig später ist von "400 russischen Spionen" die Rede. Das müsste man natürlich beweisen. In Kriegszeiten offenbar nicht.

Klarheit herrschte im ZDF, als Moskau wenig später mit Gegenmaßnahmen reagierte: "Hunderte deutsche Staatsbedienstete müssen Russland verlassen". Keine weiteren Fragen.

Eine "antirussische Kampagne in Europa" sah Russlands Außenamtssprecherin vor gut einem Jahr im Gange. Es sei bedauerlich, "dass sie die Jagd auf Diplomaten als einen weiteren Hebel gewählt haben, um Druck auf Russland auszuüben", so Maria Sacharowa. So würden "Probleme geschaffen, mit denen sie selbst konfrontiert werden, und es wird niemand da sein, der sie lösen kann".

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.