Erdrutsch für Obama
Mit Siegen in Pennsylvania, Ohio, Virginia und Florida erreicht der Kandidat deutlich mehr Wahlmänner als McCain
In gut 30 der 50 Bundesstaaten galt bereits als abgemacht, wer das Rennen macht: Kalifornien und New York waren beispielsweise sicheres demokratisches Terrain, viele Staaten im Zentrum und im Süden dagegen republikanisches. Die ersten Prognosen brachten vor allem Ergebnisse aus solchen sicheren Staaten und wirkten deshalb wie ein Pingpongspiel ohne große Aussagekraft: Kentucky ging an McCain, Vermont an Obama, Südcarolina an McCain, New Hampshire an Obama, Tennessee an McCain …
Ein Trend begann sich erst abzuzeichnen, als Obama mit Pennsylvania den ersten großen Battleground State holen konnte. Wenig später wurde auch sein Sieg im ebenfalls umstrittenen und mit vielen Wahlmännern bestückten Ohio prognostiziert. Der Sieg in New Mexico brachte Obama zwar nur 5 Wahlmänner, ließ aber vermuten, dass seine Rechnung auch in anderen westlichen Staaten mit ähnlicher demographischer Struktur aufgehen könnte. Als gegen 5 Uhr Morgens schließlich gemeldet wurde, dass Obama auch Virginia gewinnen konnte, hatte der Kandidat bereits die 270 Wahlmänner zusammen, die er für die Wahl zum Präsidenten benötigt.
Sicherheit war auch im Präsidentschaftswahlkampf 2008 ein großes Thema: Aber diesmal schlug das Interesse an wirtschaftlicher Sicherheit bei weitem die Angst vor Terroranschlägen: 9/15, das Datum der Lehman-Pleite, war vielen Wählern weit deutlicher in Erinnerung als das nun schon lange vergangene 9/11. 1992 hatte Bill Clinton die amerikanischen Präsidentschaftswahlen unter anderem durch seinen Slogan "It's the economy, stupid!" gewonnen. Auch Obama siegte, weil den Wählern wirtschaftliche Probleme wieder dringlicher erschienen als Waffenrecht oder Abtreibung. Im Battleground State Ohio nannten beispielsweise über 90 Prozent die Ökonomie als das für sie wichtigste Thema. Die in vielen Staaten angebotenen Volksabstimmungen für ein schärferes Abtreibungsrecht hatten die Chancen für den Demokraten zusätzlich erhöht, weil sie religiösen Wählern den Eindruck vermittelten, die Frage getrennt von der Wahl einer Partei oder eines Kandidaten entscheiden zu können.
McCains Rezepte für die Bewältigung der bestehenden Finanz- und der drohenden Wirtschaftskrise wirkte wie ein Mantra aus einer längst vergangenen Zeit: Steuersenkungen, Steuersenkungen und noch mal Steuersenkungen. Bush hatte zudem vorgemacht, dass es weniger auf die Schlagworte einer angebots- und einer nachfrageorientierten Politik ankommt, sondern wer davon profitiert. Sein Programm zur Abwendung einer Wirtschaftskrise ist, wenn man so will, klassischer Keynesianismus – allerdings kommt es fast ausschließlich Besserverdienern zugute. Die Rhetorik vom republikanischen Heraushalten aus der Wirtschaft war unter anderem deshalb für viele Wähler nur mehr sehr bedingt glaubhaft.
Demokratische Zugewinne im Repräsentantenhaus und im Senat
Im Repräsentantenhaus und bei den Gouverneuren konnten die Demokraten ihre bereits bestehenden Mehrheiten ausbauen. Im Senat gewannen sie nicht nur wie erwartet West Virginia, Massachusetts, Michigan, Iowa, New Jersey, Delaware und Louisiana, sondern auch zusätzliche Sitze für Nordcarolina (wo Jesse Helms einmal Senator war), New Hampshire, New Mexico, Colorado und Virginia. Dort halfen auch demographische Veränderungen: Wohlhabende, gebildete Regierungsangestellte aus dem nahe gelegenen Washington nutzten den Bundesstaat zunehmend als Schlafstadt und wählten weniger evangelikal als die seit ihrer Geburt dort ansässige Bevölkerung.
Republikanische Senatskandidaten gewannen Tennessee, Südcarolina, Oklahoma, Wyoming, Kansas, Mississippi, Texas und Alabama. In Kentucky konnte sich der republikanische Bewerber knapp gegen seinen demokratischen Rivalen durchsetzen. Damit war es am frühen Morgen ausgesprochen unwahrscheinlich, dass die Demokraten im Senat eine Mehrheit von 60 Sitze erreichen, was den Republikanern die durch den Frank-Capra-Film Mr. Smith Goes To Washington bekannte Möglichkeit genommen hätte, Gesetze durch Filibuster-Endlosreden zu blockieren.
Die Wahlbeteiligung war 2008 angeblich deutlich höher als 2004 und 2000, wo sie bei 55 beziehungsweise 50 Prozent lag. Gründe für diese geringe Teilnahme waren allerdings nicht nur politisches Desinteresse oder Resignation: Dem US Census Bureau zufolge stimmten 2004 zwanzig Prozent der registrierten Wähler allein deshalb nicht ab, weil es ihre Schichtpläne oder das Arbeitsaufkommen nicht erlaubten. Auch unter jenen US-Bürgern, die sich gar nicht erst für die Wahl registrierten, dürfte der Anteil derer, die schlicht keine Zeit haben, sich teilweise stundenlang in Schlangen anzustehen, durchaus beträchtlich sein. Ein Phänomen, dessen Ausmaß mit dem der "Working Poor", die zwei oder mehr Jobs zum Überleben brauchen, Hand in Hand geht.
Dabei sollte der auf einen Dienstag im November gelegte Wahltermin, der mit für das Ausmaß dieses Phänomens verantwortlich ist, ursprünglich möglichst vielen Bürgern erlauben, an der Abstimmung teilzunehmen. In den ländlich geprägten USA des 18. Jahrhunderts war es nicht nur von Bedeutung, dass zum Wahltermin die Ernte eingefahren und die Witterung noch verhältnismäßig mild war: Weil die Anreise zu den Wahllokalen häufig eine oder zwei Übernachtungen erforderte und der "Tag des Herrn" in der Heimatkirche gefeiert und mit möglichst wenig Profanem belastet werden sollte, wurde nicht Sonntags, sondern Dienstags gewählt.
Lindern könnte dieses Phänomen die bislang noch weitgehend tabuisierte Idee einer "Wahlkampfsteuer" - ein prozentualer Anteil der von Parteien und Kandidaten für den Wahlkampf ausgegebenen Gelder, welcher dafür eingesetzt werden könnte, jenen Bürgern einen finanziellen Ausgleich zu bieten, die alleine aufgrund des drohenden Verdienstausfalls nicht wählen können. Die Summen, die dabei zustande kommen könnten, dürften anhand der stetig steigenden Wahlkampfaufwendungen durchaus beträchtlich sein.