Ersatzfreiheitsstrafen: Bald wieder volle Knäste

Wieder Knast für Fahren ohne Fahrschein? Auch das gehört zu den "Lockerungen" der Corona-Maßnahmen. Symbolbild: ElasticComputeFarm auf Pixabay (Public Domain)

Im Koalitionsvertrag der "Ampel" wurde eine Reform des Strafrechts versprochen, die noch auf sich warten lässt. Die pandemiebedingte Aussetzung der Ersatzfreiheitsstrafen endet aber bereits

Geldstrafen werden in Deutschland oft für klassische Armutsdelikte wie die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne Fahrschein verhängt. Wer dann – eigentlich erwartungsgemäß – nicht zahlen kann, dessen Freiheitsentzug lässt sich der Staat etwas kosten: Je nach Bundesland waren dies im Jahr 2020 zwischen 126 und knapp 219 Euro pro Tag und Person. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke im April dieses Jahres hervor.

In Brandenburg war der Anteil der Inhaftierten, die wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe einsaßen, mit 10,90 Prozent am letzten erfassten Stichtag im Jahr 2019 besonders hoch, im Saarland war er mit 4,33 Prozent am niedrigsten. 2020 wurde der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafen wegen der Corona-Infektionswelle in verschiedenen Bundesländern nach und nach ausgesetzt.

Doch die Schonzeit für mittellos zu Geldstrafen Verurteilte ist vorbei. In der deutschen Hauptstadt lief die Regelung am gestrigen Dienstag aus – und angesichts der hohen Inflation steht erneut zur Diskussion, wie in Zukunft derart sinnlose Inhaftierungen vermieden werden könnten.

Was das Fahren ohne Ticket angeht – Strafbar ist dies als "Erschleichen von Leistungen" gemäß Paragraph 265a StGB – verspricht das bundesweit geltende Neun-Euro-Ticket für den öffentlichen Nah- und Regionalverkehr für die nächsten drei Monate Entlastung, aber danach sollen die regulären Fahrpreise steigen. Auch kleinere armutsbedingte Ladendiebstähle könnten angesichts der Teuerungsrate zunehmen.

"Für Berlin ist jetzt zu erwarten, dass die Zahl derer, die trotz einer verhängten Geldstrafe eine Freiheitsstrafe verbüßen müssen, in den kommenden Wochen wieder ansteigen wird", sagte eine Sprecherin der Justizverwaltung laut einem Bericht des Tagesspiegels vom Dienstag.

Vages Reformversprechen

Im Koalitionsvertrag für die 20. Legislaturperiode haben die Ampel-Parteien SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP vereinbart, das Strafrecht systematisch zu überprüfen und dabei einen Fokus auf überholte Straftatbestände, die Modernisierung des Strafrechts und die Entlastung der Justiz zu legen.

"Das Sanktionensystem einschließlich Ersatzfreiheitsstrafen, Maßregelvollzug und Bewährungsauflagen überarbeiten wir mit dem Ziel von Prävention und Resozialisierung", heißt es auf Seite 84. Laut Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Linken ist auch der Straftatbestand der "Beförderungserschleichung" Teil dieser Überprüfung – die Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung sei aber noch nicht abgeschlossen, hieß es zuletzt.

Der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion im hessischen Landtag, Ulrich Wilken, ist überzeugt, dass der Strafzweck der Resozialisierung mit den kurzen Ersatzfreiheitsstrafen gar nicht erreicht werden kann. Freiheitsstrafen unter sechs Monaten seien daher im Gesetz in der Regel nicht vorgesehen.

"Die Ersatzfreiheitsstrafe führt zu einer Diskriminierung von einkommens- und vermögenschwachen Menschen, die häufig am oder unter dem Existenzminimum leben", erklärte Wilken an diesem Mittwoch und forderte seine Landesregierung auf, sich im Bundesrat "für eine Abschaffung des Systems der Ersatzfreiheitsstrafe einzusetzen".

Die Berliner Justizsenatorin Lena Kreck (Die Linke) will auf der am heutigen Mittwoch beginnenden Justizministerkonferenz im bayerischen Hohenschwangau erneut einen Beschlussvorschlag einbringen, mit dem die Länder von der Bundesregierung eine Anpassung des Strafrechts fordern, damit niemand mehr wegen einer Geldstrafe aufgrund dieses Straftatbestands ins Gefängnis muss.

Sinnlos finden das zum Teil auch diejenigen, die nach bisheriger Rechtslage die Betroffenen einsperren müssen: Die Initiative "Freiheitsfonds", die mit Spendengeldern solche Gefangenen freikauft und eine Petition gestartet hat, um die Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrschein zu fordern, wird laut einem Bericht der taz teilweise sogar von stellvertretenden Gefängnisdirektoren denjenigen empfohlen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe wegen "Beförderungserschleichung" antreten sollen. Ihnen "legen wir schon bei der Ankunft das Anmeldeformular für den Freiheitsfonds vor", wird der stellvertretende Anstaltsleiter der JVA Plötzensee, Detlef Wolf, in dem Artikel zitiert.

Auf seiner Internetseite rühmt sich der Freiheitsfonds nicht nur, bisher 417 Personen freigekauft und ihnen insgesamt 84 Haftjahre erspart zu haben – so sei es auch gelungen, mit 424.583 Euro an Spendengeldern dem Staat 4,6 Millionen Euro Haftkosten zu ersparen. Zumindest theoretisch – denn die Kapazitäten dafür werden ja zurzeit noch bereitgehalten.

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