Erst die Whistleblower, dann der Journalismus
Bei einer Anhörung im Bundestag warnten Medienvertreter vor den Folgen des Feldzugs gegen WikiLeaks für die freie Presse
Journalisten und Presseorganisationen haben sich bei einer Anhörung im Bundestag mit dem inhaftierten Kollegen und Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, Julian Assange, solidarisiert. Zugleich warnten sie vor den Auswirkungen der strafrechtlichen Verfolgung gegen Assange auf den freien und investigativen Journalismus. Zu der Anhörung "Medien unter Beschuss", an der rund 240 Gäste teilnahmen, hatte die Linksfraktion im Bundestag eingeladen. Im Beisein von John Shipton, dem Vater von Assange, ging es vor allem um die drohende Auslieferung des australischen Journalisten aus Großbritannien an die USA. Dort drohen dem 48-Jährigen lebenslange Haft oder womöglich sogar die Todesstrafe.
Die Bundesgeschäftsführerin der Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union, Cornelia Berger, erklärte sich bei der Anhörung im Bundestag "an der Seite der Kolleginnen und Kollegen, um diese Auslieferung zu verhindern und Julian Assange vor weiteren Bedrohungen und Repressalien zu schützen". Die Gewerkschaftsvertreterin wies auf die Notwendigkeit hin, die Whistleblower-Richtlinie der EU rasch in der bundesdeutschen Gesetzgebung zu überführen, denn "es gibt zunehmende Versuche, Journalistinnen und Journalisten zu kriminalisieren".
Auch der Geschäftsführer der Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen (RoG), Christian Miehr, betonte die Bedeutung des Falls Assange für den Journalismus. In diesem Zusammenhang wies er darauf hin, dass Whistleblower noch nie so stark verfolgt wurden wie unter der Präsidentschaft des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama. "Das muss man bei aller Verklärung der Regierung Obama auch einmal klar sagen", so Miehr.
Der RoG-Geschäftsführer kritisierte zugleich die US-Staatsanwaltschaft für ihre Anklage gegen Assange, die "Verschwörung zum Eindringen in Computer" und die "Veröffentlichung geheimer Regierungsdokumente" beinhaltet. Beide Anklagepunkte zielten auf Grundlagen journalistischer Arbeit ab, so Miehr. Er sprach sich entschieden gegen eine Auslieferung Assanges an die USA aus. "Eine Anklage aufgrund des (US-amerikanischen) Anti-Spionage-Gesetzes wäre eine klare Missachtung der Pressefreiheit."
Der NDR-Journalist John Goetz beschrieb die anfängliche Zusammenarbeit zwischen dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel, der New York Times und WikiLeaks um 2010. "Wir haben damals gemeinsam Stories erarbeitet und es gab nicht diese Trennung, die wir später betont haben", so Goetz durchaus selbstkritisch. Er stelle sich heute auch die Frage, was er eigentlich anders gemacht habe als Julian Assange. "Wir haben mitunter aus technischen Gründen die Infos sogar zuerst veröffentlicht", so Goetz. "Es gibt also juristisch gesehen gar keinen Grund, warum jetzt WikiLeaks angegriffen wird" und nicht der "Spiegel" oder die New York Times. Dieser Vergleich, den auch WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson aufgriffe, mache die Gefahr der zunehmenden Kriminalisierung von Whistleblowern für den Journalismus generell deutlich.
Mit deutlichen Worten verwies der Hinweisgeber Edward Snowden in einem Grußwort aus dem russischen Exil auf die möglichen Folgen des Feldzugs gegen WikiLeaks: "Dies ist der Startschuss zu einem neuen Krieg gegen den Journalismus, und wenn wir ihm nicht vor dem nächsten Schuss Einhalt gebieten, wird dieser Krieg nicht länger nur im Ausland geführt werden. Wenn ein Mann, der noch nie in den Vereinigten Staaten gelebt hat, gewaltsam in ein US-amerikanisches Gefängnis überstellt werden kann, weil er die Wahrheit veröffentlicht hat, werden ihm bald weitere Journalistinnen und Journalisten folgen. Und das wird die weniger liberalen Staaten dieser Welt ermuntern, noch härter gegen die schmale Linie vorzugehen, die Wahrheit und Lüge trennt. Die Linie, die Diktatur von Demokratie trennt."
Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen griff eine wiederkehrende Feststellung auf: "Nicht diejenigen, die Kriegsverbrechen aufdecken, gehören ins Gefängnis, sondern diejenigen, die sie befehlen, begehen oder vertuschen." Ihre Fraktionskollegin und Mitorganisatorin Heike Hänsel verwies auf Analysen der New York Times, nach denen die Terroranklage gegen Assange "auf das Herz des ersten Verfassungszusatzes zielt".
Eindrücklich schilderte Assanges Vater John Shipton die Lage seines Sohnes, dem es "nicht gut" gehe. Julian Assange sei 22 Stunden in seiner Zelle gefangen und habe kaum Kontakte nach außen. "Das alles verstößt gegen alle geltenden internationalen Abkommen, etwa gegen willkürliche Inhaftierung", so Shipton, der auch die Schlussworte an den vollen Anhörungssaal im Bundestagsgebäude an der Spree richtete. "Unsere große Aufgabe ist es, Julian zu befreien und Europa gegen ein Imperium zu einen, dass alles tut, um sich selbst auf Kosten anderer zu retten". Seine letzten Worte wurden persönlich. Er wünsche sich Freiheit für seinen Sohn, um dessen Leben er fürchte: "Ich möchte, dass Julian wieder mit seinem Kindern und seiner Familie zusammenkommt, um mit ihnen zu scherzen, so wie er es noch vor ein paar Jahren getan hat."
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