Es bewegt sich etwas in der Linken

Foto: unteilbar.org, Stephan Guerra (IMG 6301) / CC-BY 4.0

Hambi, #unteilbar, Hausbesetzungen - die Linke im Aufwind?

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Die Handlungsfähigkeit einer linken, meist urbanen Schicht tendenziell eher junger Leute hat in der letzten Zeit für Überraschungen gesorgt. Der zähe Widerstand im Hambacher Forst, eine Viertelmillion Demonstranten gegen Rassismus in Berlin, das Ende der Geduld mit den ständigen Mietsteigerungen - ist das schon das Gegengewicht gegen die andauernde rechte Offensive?

Keine Frage, es gibt was zu feiern

Keine Frage, es gibt was zu feiern. Die Machtphantasien der alten, neuen und neuesten Rechten, die sich schon auf dem Durchmarsch nach Germania wähnten, haben in den letzten Wochen empfindliche Dämpfer erlitten. Nicht die sogenannten "Altparteien" (was wäre denn an der AfD mit ihren Gaulands, Meuthens und von Storchs jung?) haben dafür gesorgt, sondern, man wagt es kaum zu sagen, "das Volk".

Ziemlich viel Volk hat in Berlin gegen den Rassismus protestiert, im und am Hambacher Forst gegen ökologische Blindheit, und hier und da meldet sich in den Großstädten die Hausbesetzer-Bewegung zurück, was angesichts der Mietenentwicklung nur verständlich ist. Aber immer, wo es was zu feiern gibt, wird auch etwas weggefeiert, und wenn das Volk feiert, schaut man sich gemäß der Devise "Vorsicht, Volk!" besser genau an, wovon in der Feierlaune nicht die Rede ist.

"Unteilbar"?

Bei der "historischen" #unteilbar-Demo fängt das schon mit dem Namen an. Die deutsche Gesellschaft ist in vieler Hinsicht geteilt, in Arme und Reiche, Männer, Frauen und andere Geschlechter, in Alte und Junge, in Alteingesessene und "Migranten" usw. In diesem Zustand "#unteilbar!" auszurufen, ist streng genommen eine Lüge, denn es leugnet die Tatsache der Teilung.

Man könnte den Namen der Demo höchstens als Aufruf verstehen, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit erst einmal herzustellen, bevor man sie verteidigen möchte. Im besten Fall berief man sich hier auf ein Ideal, dessen Verwirklichung nach wie vor aussteht.

Gesellschaftliche Klassen sind eine Realität in Deutschland, das Patriarchat ist auch eine; was der Rassenhass bewirkt und noch plant, ist jüngst ebenfalls überdeutlich geworden. "#unteilbar" bietet eine Menge Andockpunkte für Missverständnisse, so zum Beispiel die Idee, "Deutschland" solle unteilbar sein.

Dem wäre entgegenzuhalten, dass Deutschland nie harmlos war, aber dass die Teilung nach dem letzten deutschen Großdesaster zur zeitweiligen Zähmung und Entwaffnung Deutschlands einen zivilisatorischen Mindeststandard darstellte. (Ob eine bloße Teilung nach dem nächsten deutschen Großdesaster ausreichen würde, bezweifelte ja seinerzeit schon Bert Brecht.)

"Naive Idee der Toleranz"

Das nationale Missverständnis der Parole von der Unteilbarkeit mag keine Absicht gewesen sein, aber dafür gab’s ja noch genug andere Fettnäpfe, in die man mit Anlauf hineintrat. Schon bei den Unterzeichnern des Aufrufs waren Leute dabei, deren ganzes politisches Wirken auf eine Pervertierung des Anliegens von #unteilbar hinausläuft. Das Mitwirken der Islamisten und Nationalisten, die sich im "Zentralrat der Muslime" organisieren, bestürzte eine liberale Muslimin wie Seyran Ates:

Es ist eine sehr naive Idee von Toleranz, wenn man mit Leuten auf die Straße geht, die keine Toleranz wollen. (…) Meine Heimat Deutschland wird zurzeit von deutschen wie von türkischen Nazis bedroht.

Seyran Ates

Die Reaktion der Organisatoren von #unteilbar auf diese Kritik grenzte ans Lächerliche. Die Pressesprecherin Theresa Hartmann behauptete: "Bei uns gibt es keine Islamisten. (…) In unserem Aufruf wenden wir uns deutlich gegen Antisemitismus, Nationalismus und Hass. Wir gehen davon aus, dass unsere Unterstützer ihn gelesen haben und mittragen."

Als während der Demonstration mit den üblichen Hetzreden zur Vernichtung Israels aufgerufen wurde, war diese Strategie des Leugnens und der Verharmlosung komplett gescheitert. Solidarität wird in ihr Gegenteil verkehrt, wenn sie sich auch auf Leute erstreckt, die antisemitische Massenmorde im Sinn haben. Dass man das in Deutschland immer wieder sagen muss, ist per se schon ein Skandal.

Bei der jüngsten polizeilichen Räumung des Hambacher Forsts, die dem Wahnsinn weiterer Braunkohlverstromung dienen sollte, kam es zu vielen denkwürdigen Ereignissen. Der NRW- Innenminister Herbert Reul, "Polizeivertreter" und manche Medien logen um die Wette.

Ein Mensch starb bei einem Unfall, andere wurden schwer verletzt. Und am Ende musste die ganze Polizei-Armada wegen eines Gerichtsurteils einpacken, und die Besetzer zogen wieder in ihren Wald.