"Es gab da Massenmorde": Was noch fehlt in der Documenta-Debatte

Suharto, 1965. Foto: Department of Information of the Republic of Indonesia/gemeinfrei

Bislang geht es um Antisemitismus, aber nicht um die westdeutsche Rolle beim "Indonesian Genocide", dessen Darstellung den Skandal auslöste.

Ein wesentlicher Inhalt des beanstandeten Kunstwerks des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi, einer meterhohen Plakatwand mit Wimmelbild, wurde in der vom Antisemitismus-Vorwurf dominierten Debatte kaum benannt: Der Indonesian Genocide, die Massaker in Indonesien 1965–1966.

Wie steht es damit? Die westdeutsche Rolle beim Indonesian Genocide 19651, ist in der Öffentlichkeit wenig bekannt. Erst 2020 kamen entsprechende BND-Akten ans Licht.

Wird Information über einen dunklen Fleck auf dem Image der westlichen Staatengemeinschaft zurückgehalten oder unterdrückt? In der Debatte über das Kunstwerk von Taring Padi wurden Mutmaßungen über einen solchen Hintergrund angestellt.

Ein Klärungsversuch.

Es geht um die bislang einer breiten Öffentlichkeit völlig unbekannte "Jakarta-Methode" (Vincent Bevins). Darunter versteht man besonders brutale "Regime Change"-Operationen, benannt nach dem Indonesian Genocide von 1965, mit dem sich moderne indonesische Kunst auseinandersetzt und an den Taring Padi mit ihrem Plakat wohl erinnern wollten.

Inzwischen ist nicht nur der Ruf der Documenta bedroht, sondern auch der Ruf der Kunstfreiheit in Deutschland. Die von der Bild-Zeitung ausgehende Skandalisierung führte sogar zu einer Gefährdung der Künstler.

"Übertriebene Anschuldigungen, dass das Kunstwerk eine Nazi-Stimmung im Goebbels-Stil widerspiegele, haben extremistische, reaktionäre Reaktionen angeheizt und eine gefährliche Atmosphäre geschaffen, in der die Sicherheit der Künstler bedroht ist." Asienhaus

Rücktritt einer Generaldirektorin

Sabine Schormann, die Generaldirektorin der documenta 15 in Kassel, trat vor einer Woche zurück. Darauf hatten sich der Aufsichtsrat der bedeutendsten deutschen Kunstausstellung, die Gesellschafter und die Generaldirektorin nach Protesten in Medien und Politik geeinigt. Schormann zog mit ihrer Amtsniederlegung die Konsequenz aus einem Antisemitismus-Eklat auf der diesjährigen Weltkunstschau.

Der Eklat wurde ausgelöst durch ein Werk der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi, in dem Militaristen als Schweine und Monster gezeigt wurden. Darunter auch zwei antisemitische Karikaturen, die zum Eklat und zu Diskussionen führten (vgl. Documenta des Scheiterns), wofür sich Schormann entschuldigte und das Kunstwerk zuerst verhüllen, dann abbauen ließ. Die Deutsche Welle etwa sah "ein Kunstwerk mit offenkundig antisemitischer Bildsprache".

Weder die Generaldirektorin der Weltkunstschau noch andere deutsche Akteure kamen darauf, dass auch die indonesischen Künstler Grund zur Kritik gehabt haben könnten: Am geringen Interesse der deutschen Kunstszene, Regierung und Öffentlichkeit an der Aufarbeitung der westdeutschen Rolle beim Indonesian Genocide 1965.

Ein weiterer Skandal könnte nun sein: Das in Deutschland zensierte Kunstwerk war im Kern eine Anklage gegen ein Menschheitsverbrechen, an dem wohl auch die damalige westdeutsche Bundesregierung beteiligt war, sowie an der finsteren "Jakarta-Methode" der US-Außenpolitik, die nach diesem von außen gesteuerten Massenmord in Indonesien benannt wurde.

Der Indonesian Genocide ist bis heute in Indonesien nicht wirklich aufgearbeitet, obwohl die Diktatur von Suharto (1921-2008) schon 1998 beendet wurde. Erst 2012 gab eine Regierung in Jakarta bezüglich dem Indonesian Genocide zu, "dass damals schwere Menschenrechtsverletzungen begangen wurden." Die Indonesier müssen sich bis 2012 vorgekommen sein, wie die Deutschen im Rutger-Hauer-Film "Vaterland", wo Hitler den Krieg gewann und der Holocaust vertuscht wurde.

Was im Künstlerkollektiv Taring Padi vorging, als hier ihr Anti-Suharto-Plakat plötzlich einem Ansturm von für sie zunächst unverständlichen Protesten ausgesetzt war (vgl. dazu ihre Erklärung: "Wir entschuldigen uns für die Verletzungen", ist kaum zu ermessen. Doch zunächst zur tiefen deutschen Verstrickung in das düsterste Kapitel der Geschichte Indonesiens.

People‘s Justice und der Indonesian Genocide

Die Brutalität und Verschlagenheit des Indonesian Genocide, die Grausamkeit faschistischer Militärs, die Drahtzieherrolle ausländischer Geheimdienste und ihrer heimlichen Geldgeber - das alles ist Thema des inkriminierten Kunstwerks "People‘s Justice". Einer dieser geheimen Geldgeber der indonesischen Massenmörder scheint 1965 die westdeutsche Regierung gewesen zu sein. So belegte es eine Enthüllung, die vor zwei Jahren aber kaum Wellen in deutschen Medien schlug:

Bislang geheime Akten des Bundesnachrichtendienstes (BND) erhärten den Verdacht, dass die Bundesrepublik Deutschland die indonesischen Militärs beim Putsch 1965 unterstützte. Der Machtübernahme durch die antikommunistischen Generäle folgte ein Genozid mit Hunderttausenden Toten. Bis heute mussten sich Täter nicht vor Gericht verantworten. Nun steht eine deutsche Mitverantwortung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Debatte.

Jonas Mueller-Töwe, T-Online Nachrichten, 13.7.2020

Die Nachrichtenredaktion von T-Online gab im Juli 2020 an, umfangreiche Dokumente aus den Beständen des Bundesnachrichtendienstes ausgewertet zu haben, die eine Kooperation der Bundesrepublik mit den indonesischen Militärputschisten belegen. Die Rede ist von Regierungskontakten auf Offiziersebene, eine BND-Akte schildere Überlegungen, die Putschisten heimlich mit harten D-Mark zu finanzieren. Ein Dokument aus anderer Quelle lege nahe, dass wirklich Gelder flossen, wobei dafür verantwortlich der damalige Staatssekretär Karl Carstens (CDU), der spätere Bundespräsident, sein könnte.

Das westdeutsche Geld, eine Barzahlung in Höhe von 1,2 Millionen D-Mark, werde "hauptsächlich für Sonderaktionen gegen KP-Funktionäre und zur Durchführung von gesteuerten Demonstrationen benötigt", heiße es in der Akte. Die BND-Akten legten darüber hinaus den Verdacht einer deutschen Mitverantwortung für die Massaker nahe: Ein auf den 3. November 1965 datierter BND-interner Bericht mit dem Betreff "Föhrenwald" schildere "ein regelrechtes Abschlachten von Kommunisten", so das Nachrichtenportal T-Online.

Es sei zwar unklar, wie genau der BND und die Bundesregierung damals mit dieser Bitte aus Indonesien verfahren wären: Während das Dokument mit dem handschriftlichen Vermerk "Abgelehnt Nichteinmischung" gekennzeichnet sei, halte der BND unter anderem die zugehörige "Beschaffungsbitte" aus Gründen des nachrichtendienstlichen Methodenschutzes weiter zurück.

T-Online.de gesteht ein, das Dokument zwar nicht unabhängig verifizieren zu können, es enthalte jedoch nachweislich richtige Angaben über andere BND-Auslandsoperationen. Der spätere Bundespräsidenten Karl Carstens, sei damals in verdeckte Waffengeschäfte unter Beteiligung des BND verstrickt gewesen. Heute scheint das undenkbar, doch damals war Antifaschismus noch kein westdeutsches Regierungsprogramm.

Bonner Kommunistenjäger und Nazi-Jurist Globke

Die Bonner Republik stand im Kalten Krieg treu an der Seite der USA und ihre Vergangenheitsbewältigung der Nazi-Diktatur war noch nicht in Sicht. Später brauchte es den jüdischen Oberstaatsanwalt Fritz Bauer, um gegen erbitterten Widerstand vieler Juristen wenigstens einige NS-Massenmörder im Auschwitz-Prozess anzuklagen. Die Behörden und vor allem die Justiz der BRD war, gelinde gesagt, nicht frei von alten Nazi-Kadern.

Erinnert sei nur an die Personalie Hans Maria Globke, "der starke Mann hinter Adenauer". Als Adolf Hitlers Starjurist arbeitete Globke die furchtbaren NS-Rassegesetze aus, als Adenauers Staatssekretär war er später 14 Jahre lang einer der mächtigsten Regierungsfunktionäre der jungen Bundesrepublik. Globke wurde unter Hitler eine steile Beamtenkarriere zuteil: Bis 1945 war er Ministerialrat in Hitlers Reichsinnenministerium, verfasste einen teuflischen Kommentar zu den Nürnberger Rassengesetzen von 1935, welche der Juden-Verfolgung in Deutschland einen "rechtsstaatlichen" Anschein gaben:

Als Referent für Fragen der Staatsangehörigkeit schlägt Globke 1938 vor, alle Juden zu zwingen, die zusätzlichen Vornamen "Israel" und "Sarah" anzunehmen… Die DDR schlachtet den Fall Globke als Beispiel für die personellen Kontinuitäten zwischen der NS-Zeit und der BRD aus. In einem Schauprozess wird Globke in der DDR in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt. Im selben Jahr, im Oktober 1963, endet seine Karriere mit dem Rücktritt Adenauers.

MDR-Doku

Adenauer, Carstens und die indonesischen Militärs

Globkes Amtszeit in der BRD währte bis 1963. Dann übernahm Ludwig Erhard die Kanzlerschaft. Doch als Konrad Adenauer 1966 Ben Gurion in Tel Aviv traf, empfingen den CDU-Bundeskanzler israelische Demonstranten, die gegen seine Kumpanei mit Globke protestieren. Erhard gilt als Transatlantiker und ist im Westbündnis ein noch USA-treuerer Partner als der "Gaullist" Adenauer. 1965 planten Washington und London eine streng geheime Intervention in Jakarta.

Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass Erhards Staatssekretär Karl Carstens unter Anleitung von US-Geheimdiensten Kontakte zu rechtsextremen Militärs in Indonesien knüpfen sollte. Dass dabei die westdeutsche Staatskasse in Regime-Change-Pläne der USA eingebunden wurde, enthüllte T-Online vor zwei Jahren.

Dafür spricht auch die Nähe des BND zu federführenden US-Geheimdiensten, die den gewaltsamen "Regime Change" in Indonesien nach dem Muster der US-Operationen in Guatemala und Iran organisierten. In westdeutschen Geschichtsbüchern suchte man den Indonesian Genocide vergeblich, man fand dort nur die Propaganda-Version der Putschisten, sie hätten einen kommunistischen Umsturzversuch niedergeschlagen. Damit wurde den Opfern des Massenmordes an bis zu drei Millionen Menschen auch noch die Schuld dafür in die Schuhe geschoben.

Wobei das wahre Ausmaß des Massakers ohnehin jahrelang und bis heute herunter gespielt wurde. Lange waren es in westlichen Schul- und Geschichtsbüchern nur einige Tausend Tote (in der DDR war das anders, aber das tat man im Westen als "Propaganda" ab). Inzwischen, wo nicht mehr zu leugnen ist, dass mindesten eine halbe bis eine Million Opfer zu beklagen sind, spricht man von "Hunderttausenden" Toten.

"Es gab da Massenmorde"

Bei unseren Kulturpolitikern, -Managern und -Journalisten dürfte historisches Wissen über die oft peinlich verschwiegenen Aspekte westlicher Politik eher rar sein. Immerhin erwähnt Elke Buhr, Chefredakteurin des Kunstmagazins Monopol, im NDR-Interview die Suharto-Diktatur. Doch vom Ausmaß der Verbrechen oder gar von möglichen westdeutschen Verstrickungen scheint sie aber nicht gehört zu haben:

Taring Padi ist eine Gruppe, die sich Ende der 1990er-Jahre gegründet hat, aus der Erfahrung der Diktatur Suhartos, die da gerade zu Ende ging. Das war eine sehr harte Erfahrung für Indonesien: Das war ein Diktator, der als der korrupteste Diktator der Welt galt. Es gab da Massenmorde. Suharto wurde von den westlichen Mächten im Rahmen des Kalten Krieges unterstützt, wie das so oft war bei diesen Regimes. Diese Gruppe nutzt Agitprop-Ästhetik, Karikaturen, sehr politische Zeichnungen und Banner dazu, um Kunst in die Gesellschaft zu tragen.

Elke Buhr im NDR

Elke Buhr hatte zeitweise die documenta-Kuratoren gegen die Vorwürfe des Antisemitismus in Schutz genommen. Sie hatte für Verständnis mit Künstlern aus den Ländern des Südens und für die Freiheit der Kunst plädiert. Das großflächige Wimmelbild People‘s Justice wurde seit 20 Jahren ausgestellt, meist in Indonesien, aber auch in Australien - wo es, nebenbei bemerkt, die dortige jüdische Gemeinde offenbar nicht zu Protesten anregte.

Bundespräsident, Kunst und Politik

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier forderte in seiner kritischen Documenta-Rede, die Kunst müsse sich, wenn sie das Terrain der Politik betrete, an politischen Maßstäben messen lassen, könne sich nicht auf die Freiheit der Kunst berufen. Steinmeier setzte sich aber nicht wirklich mit dem als antisemitisch inkriminierten Kunstwerk auseinander, geschweige denn mit dessen Hintergrund: Der Indonesian Genocide von 1965/66 gilt als der nach dem Holocaust zweitschlimmste Völkermord des 20.Jahrhunderts mit mindestens einer halben bis drei Millionen Todesopfern.

Massakriert wurde von den an die Macht geputschten Militärs und ihren Todesschwadronen die Kommunistische Partei Indonesiens, die mehr als drei Millionen Mitglieder zählte. Ganze Familien wurden grausam getötet, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde danach jahrzehntelang vertuscht und die Ermordeten damit ein zweites Mal getötet. Es hätte unserem Bundespräsidenten gut angestanden, sich mit möglichen deutschen Verstrickungen in diese Massenmorde auseinanderzusetzen.

Antisemitismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Das gilt aber auch für die Finanzierung von Putsch und Völkermord und vielleicht hilft der aktuelle Documenta-Eklat, einen ganz anderen Skandal endlich bekannt zu machen: Die fortgesetzte Anwendung von Massenmord als Mittel geheimer Außenpolitik -die "Jakarta-Methode".

Die "Jakarta-Methode": Massenmord als Außenpolitik

Die deutsch-indonesischen Beziehungen gelten als gut, besonders nach dem Suharto-Putsch und dem Indonesian Genocide. 1970 war Diktator Suharto auf Staatsbesuch in Westdeutschland, noch 1996 bekam er Staatsbesuch von Bundeskanzler Helmut Kohl, man sprach von persönlicher Freundschaft Kohls mit dem Massenmörder Suharto.

Der Waffenhandel profitierte: 1992 lieferte die BRD Indonesien etwa 39 Landungsboote und Korvetten aus Altbeständen der DDR, die wurden 1999 und 2000 kurz nach dem Ende der Diktatur von Milizen bei Massakern im Osttimor eingesetzt.

1965 war es für die USA heikel, in Jakarta zu intervenieren, was eine Einbindung der westdeutschen Verbündeten nahelegte:

Ich sollte betonen, dass die materielle Unterstützung der USA für Indonesien damals recht gering war, weil es für die USA sehr riskant war, die indonesische Armee offen gegen Sukarno zu unterstützen, denn Sukarno war noch Präsident, die USA waren damals in Indonesien nicht sehr populär, und so mussten die CIA und die US-Regierung bei der Unterstützung im Allgemeinen äußerst vorsichtig sein, um sicherzustellen, dass diese Unterstützung nicht öffentlich bekannt wurde.

Bradley Simpson, 1965tribunal

Eine westdeutsche Verwicklung in den Putsch von Jakarta 1965 kann heute kaum noch geleugnet werden, auch wenn die Bundesregierungen entsprechende Akten weiterhin geheim halten. Auch eine deutsche Mitverantwortung an Genozid wurde vor zwei Jahren diskutiert, der BND förderte wohl indonesische Putschisten - die von T-Online geleakten Akten legen nahe, dass die Putschisten mit deutschen Steuergeldern versorgt wurden (siehe: hier und hier).

Im Bundestag protestierte die Linksfraktion, medial wenig beachtet, gegen die Geheimhaltung wesentlicher Akten zur deutschen Verwicklung in die Massaker in Indonesien. André Hahn, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums, wollte in einer Parlamentarische Anfrage wissen, ob der T-Online-Bericht zutreffend sei – was die Bundesregierung schriftlich dementierte.

Hahn kritisierte nach Akteneinsicht die mangelnde Transparenz der Bundesregierung: "Die darin enthaltenen konkreten Zahlen zu tatsächlich geleisteten Unterstützungen des Regimes sollen offenkundig nicht bekannt werden."

Demnach verdichten sich auch für den Abgeordneten die Hinweise, "dass der BND formell eine Mitverantwortung an den Massenmorden trägt".

Verschleierung von Völkermord

Der "Spiegel" hatte 1967 noch die Propagandaversion des Diktators Suharto ventiliert ("kommunistischer Putschversuch") und sich über den gestürzten Präsidenten Sukarno lustig gemacht, er sei "in Socken" geflohen. Eine zynische Haltung angesichts von Millionen Opfern und besonders bestialischer Massenmorde -"killing were extremely savage", schreibt John Gittings in "The Indonesian Massacres, 1965-66".

Erst im Jahr 2015 kamen bezüglich des Massakers mit "Indonesien 1965ff." erstmals Indonesier in Deutschland zu Wort. Das Lesebuch erzählt ein grausames Kapitel aus der jüngsten Vergangenheit, das hierzulande nahezu unbekannt ist.

Heute erhebt Jonas Mueller-Töwe auf T-Online die Frage: Deckte Deutschland den blutigen Putsch von 1965? Mueller-Töwe schreibt auch für die beliebte Checker-Site Correctiv, trotzdem blieb das Medienecho verhalten.

Seine Kollegen von Neuen Deutschland legten nach zur deutschen Jakarta-Connection: Dass der BND 1965 weitere Leute vor Ort hatte, sei nachweisbar, der 1992 in München verstorbene Rudolf Oebsger-Röde gehöre dazu. Oebsger-Röde war SS-Obersturmbannführer, SD-Mann und Chef von Einsatzgruppen, dann hatte er bei der Organisation Gehlen, dem späteren BND, angeheuert. Wie viele Geheimdienstler war Ex-SS-Mann Oebsger-Röde ab 1959 in Indonesien in der Maske des Journalisten unterwegs, als Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung und die Neue Zürcher Zeitung.

Im Juni 1968 bestätigte der damalige BND-Präsident Gerhard Wessel - laut Protokoll - dem Bundestags-Vertrauensgremium, der BND habe nicht nur die indonesischen Militärs bei der "Zerschlagung der KPI" mit Beratern, Ausrüstung und Geld unterstützt. Der spätere Staatschef Suharto habe, so Wessel, dem Dienst sogar einen »große(n) Anteil (…) am Erfolg« der Operation zugeschrieben.

Neues Deutschland, 19.7.2020

Mit der immer noch weitgehenden Geheimhaltung der deutsch-indonesischen Verstrickungen wie auch des Indonesian Genocide könnte es bald vorbei sein. Das laut dem US-Historiker Professor Geoffrey Robinson "most ignored event of mass killing of the 20th century", der am meisten ignorierte Massenmord des 20.Jahrhunderts, könnte demnächst ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.

Die Jakarta-Methode: Washingtons antikommunistischer Kreuzzug

"Die Jakarta-Methode: Washingtons antikommunistischer Kreuzzug und das Massenmordprogramm, das unsere Welt prägte" lautet der Titel eines Sachbuchs, das der US-amerikanische Journalist und Autor Vincent Bevins 2019 vorlegte. In drei Monaten soll endlich eine deutsche Übersetzung vorliegen.

Das Aufsehen erregende Buch "...handelt von der Unterstützung und Mitschuld der US-Regierung an den Massenmorden 1965-66, bei denen schätzungsweise eine Million Menschen getötet wurden (die Opferzahlen variieren zwischen 500.000 bis zu drei Millionen Toten), um die politische Linke und die Reformbewegungen im Lande zu vernichten." (Rainer Werning, 05.12.2021)

Doch damit nicht genug, das Buch beschreibe auch spätere Wiederholungen der Strategie des Massenmords in Lateinamerika und anderswo. Die Massentötungen in Indonesien durch die von den USA und ihren Verbündeten (auch Westdeutschland) unterstützten indonesischen Militärs waren "bei der Ausmerzung des Kommunismus so erfolgreich", dass der Begriff "Jakarta" später eigens verwendet wurde, um auf die völkermörderischen Aspekte ähnlicher, späterer Pläne der USA bzw. "des Westens" hinzuweisen, so Werning.

1965 tobte der Vietnamkrieg und Washington glaubte an Eisenhowers Dominotheorie, dass asiatische Staaten, Thailand, Malaysia, Indonesien, Südkorea, wie Dominosteine umkippen und kommunistisch werden könnten. Werning nach gab es der PKI zufolge Mitte der 1960er Jahre 18 Millionen Mitglieder und Sympathisanten von der PKI-nahen Organisationen: Die Gewerkschaft Sobsi, die Volksjugend, die Frauenbewegung Gerwani sowie die Bauernfront.

Vincent Bevins "Die Jakarta-Methode: Wie ein mörderisches Programm Washingtons unsere Welt bis heute prägt", erscheint im Oktober 2022 bei Papyrossa, die ihren Autor als mehrjährigen Brasilien- und Südostasien-Korrespondent der Los Angeles Times bzw. der Washington Post beschreibt.

Der preisgekrönte Publizist Vincent Bevins erinnert an ein Massenmordprogramm, das in anderen Teilen der Welt gezielt nachgeahmt wurde, so in Brasilien, Chile oder Argentinien... Große Teile des globalen Südens gingen nicht friedlich in das US-geführte Lager über.

Papyrossa-Verlagsinformation

Gebt die fehlenden BND-Akten frei!

Ob und inwieweit die Entfernung des Kunstwerks "People’s Justice" des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi etwas mit den verzweifelten Versuchen westlicher Geheimdienste zu tun hat, ihre "Jakarta-Methode" weiter zu verbergen und den Indonesian Genocide weiter herunterzuspielen, ist eine raunende Spekulation.

Aber, dass es hier einen hässlichen Hintergrund gibt, ist nicht zu leugnen. Vielleicht werden wir mehr erfahren, wenn Bundeskanzler Olaf Scholz die betreffenden BND-Akten endlich freigibt.

Das deutsche Wikipedia kennt im "BND"-Eintrag keine Verbindung des BND zu Indonesien. Aber immerhin wird die nach Staatssekretär Reinhold Mercker benannte Mercker-Kommission zum BND kurz erwähnt:

Der bis heute in Teilen als geheim eingestufte Mercker-Bericht deckte 1968 laut Presseberichten Führungsmängel, Vetternwirtschaft, Korruption sowie Missbrauch und Fehlverwendung von Haushaltsmitteln auf. Weiterhin soll der BND einen signifikanten Teil seiner Ressourcen auf das Ausspähen westdeutscher Politiker verwendet haben.

CIA Readingroom

Innenpolitisch darf der BND als Auslandsnachrichtendienst genauso wenig tätig werden wie sein großer Bruder CIA in den USA. Und er tat es doch, etwa für den Hitler-Juristen und Adenauer-Mann Hans Maria Globke beim Ausspionieren der SPD.

Der Historiker Klaus-Dietmar Henke bemerkt zu Globke, dieser "war der verschwiegene Helfer beim innenpolitischen Missbrauch des Auslandsnachrichtendienstes. Er lebte mit Gehlen in einer machtpolitischen Symbiose zu beiderseitigem Nutzen und zur Machtsicherung des Gründungskanzlers der Bundesrepublik Deutschland."

Literatur und Quellen

Klaus-Dietmar Henke: Auslandsnachrichtendienst in der Ära Adenauer. In: Aus Politik und Zeitgeschichte Nr. 18–19 (2014), S. 36. zit.n. https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesnachrichtendienst

dtv-Atlas zur Weltgeschichte: 1965 "Militärputsch zur Entmachtung Sukarnos und Zerschlagung der KP, antikommunistische Demonstrationen fordern über 87.000 Tote", dtv-Atlas zur Weltgeschichte Bd.2, 3.Aufl., München 1968, S.263

Keller, Anett: Suharto-Aufarbeitung in Indonesien: Ein monströses Verbrechen, taz 25.7.2012

Keller, Anett: Indonesien 1965ff. Die Gegenwart eines Massenmordes. Ein politisches Lesebuch. Regiospectra Verlag, Berlin 2015

Türk, Harry/Diethelm Weidemann: Indonesien '65 -Ereignisse, Tatsachen, Zusammenhänge; Militärverlag der DDR, Berlin 1975, Türk/Weidemann schreiben (Klappentext): "die Anatomie eines Militärputsches, bei dem eine halbe Million Indonesier bestialisch getötet wurden".

Cribb, Robert: Unresolved Problems in the Indonesian Killings of 1965-1966, 2002, Asian Survey vol. 42/4, pages 550-563

Roosa, John/Joseph Nevins: The Mass Killings in Indonesia, Counterpunch, November 5, 2005

Howland, Richard Cabot: The Lessons of the September 30 Affair , APPROVED FOR RELEASE 1994, CIA HISTORICAL REVIEW PROGRAM, 2 JULY 96, Perspective on Indonesia Coup and Counter Reaction: October 1965- March 1966, 142.Memo for President Johnson, Washington, October 1, 1965