Es gibt keine US-Zauberwaffe mehr für einen offensiven Sieg in der Ukraine
Seite 2: Eskalationsrisiko: Russlands Antwort auf westliche Militärhilfe
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Die russische Führung weiß, welche westlichen Waffen noch an die Ukraine geliefert werden, und hat in diesem Stadium des Krieges Monate, wenn nicht sogar Jahre Zeit gehabt, deren Wirkung zu simulieren und präventiv Gegenmaßnahmen zu entwickeln, wodurch das technologische Überraschungsmoment, das den HIMARS-Raketen im Jahr 2022 ein kurzes, aber reales Zeitfenster für den Einsatz verschaffte, zunichtegemacht wurde.
Es ist praktisch sicher, dass das russische Militär seine Methoden der Streitkräfte-Verteilung weiter verfeinern und zusätzliche Gegenmaßnahmen entwickeln wird, um die künftigen Auswirkungen westlicher Mittel- und Langstreckenraketen auf dem Schlachtfeld abzuschwächen.
Russland könnte auf erweiterte westliche Raketenlieferungen ebenfalls mit einem breiten Spektrum an asymmetrischen Maßnahmen reagieren, die eine gefährliche Eskalation des Krieges in sich tragen.
Moskau, das sich bisher dafür entschieden hat, die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer mit Bedacht zu zermürben, kann seine beträchtliche und wachsende Kontrolle über die Eskalation ausspielen, indem es seine Angriffsfähigkeiten verstärkt auf die ukrainische Infrastruktur einsetzt und die Offensivoperationen entlang der Kontaktlinie im Osten und Süden des Landes intensiviert.
Der lange Weg zum Frieden: Herausforderungen und Perspektiven
Vom Westen bereitgestellte Raketen können eingesetzt werden, um den russischen Streitkräften durch Angriffe auf wichtige Ziele und Infrastrukturen operative Kosten aufzuerlegen. Doch diese Angriffe sind auf lange Sicht von begrenztem strategischem Wert.
Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sie in ausreichendem Umfang durchgeführt werden können, um die russischen Streitkräfte in der Ukraine entscheidend zu besiegen. Auch können sie nicht – wie Anatol Lieven vom Quincy Institute anmerkte – Russland von der Krim verdrängen, solange sie nicht von erfolgreichen großangelegten Bodenoffensiven begleitet werden, um die Russen aus dem Südosten der Ukraine zu vertreiben.
Nichts deutet darauf hin, insbesondere angesichts des kostspieligen Scheiterns der Gegenoffensive 2023, dass die AFU bald das für solche Vorstöße erforderliche Offensivpotenzial entwickeln wird.
Die ukrainischen Angriffe mit vom Westen gelieferten Raketen haben Teile der russischen Marine von der Krim vertrieben und Moskaus seit Langem aufgegebene Pläne für amphibische Landungen in Odessa und Mykolajiw weiter vereitelt.
Der Verlust und die Verlegung dieser Schiffe sind zwar ohne Zweifel ein materieller Rückschlag für Russland, aber kein entscheidender Faktor für die Fähigkeit der russischen Bodentruppen, ihre Besetzung der Südukraine aufrechtzuerhalten.
Russlands militärische Kapazitäten: Ein kritischer Blick
Ebenso falsch ist die damit einhergehende Vorstellung, dass Russland selbst einen kritischen Mangel an Raketen habe. Der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kyrylo Budanow, sagte zum Beispiel in einem Interview am 31. Dezember 2022 voraus, dass die russischen Streitkräfte über genügend Raketen für zwei großangelegte Angriffe verfügen.
Der leitende estnische Geheimdienstmitarbeiter Margo Grosberg erklärte im Januar 2023, Russland verfüge über die präzisionsgelenkte Munition, um die Ukraine "in den nächsten drei bis vier Monaten bzw. bis zum Frühjahr, pessimistischer betrachtet in sechs bis neun Monaten", anzugreifen.
Zeit und Ressourcen: Die Schlüsselfaktoren im Konflikt
Diese und ähnliche Einschätzungen ukrainischer und westlicher Beamter werden auch in der jüngsten Diskussion über die Ukraine weiter verbreitet, obwohl sie durch die Ereignisse vor Ort in den vergangenen zwei Jahren ständig widerlegt wurden.
Auch wenn es unmöglich ist, Russlands Vorräte an verschiedenen Präzisionswaffen zu einem bestimmten Zeitpunkt genau anzugeben, gibt es klare Anzeichen dafür, dass der Kreml die westlichen Exportkontrollen unterlaufen und seine verteidigungsindustrielle Basis erfolgreich konsolidiert hat, um die russischen Kapazitäten für Langstreckenschläge kurz- bis mittelfristig zumindest aufrechtzuerhalten, wenn nicht sogar weiter auszubauen.
Russlands stetige Produktion von Präzisionsmunition steht in eklatantem Gegensatz zur fortschreitenden Schwächung der ukrainischen Luftabwehr angesichts der unerbittlichen russischen Angriffe im Winter und untergräbt die Annahme, die Zeit sei auf der Seite der Ukraine.
Fehleinschätzungen und ihre Folgen für die Ukraine
Keine dieser beiden Ideen – nämlich, dass die Ukraine gewinnen kann, wenn sie mit großen Waffensystemen des Westens überschwemmt wird, und Russland kurz davor steht, seine Bestände zu erschöpfen – ist neu. In der Tat sind beide Konzepte Teil der ursprünglichen Überlegungen, die einige westliche Politiker und Beobachter im Laufe des Jahres 2022 zu dem Schluss brachten, dass die AFU Russland auf dem Schlachtfeld besiegen kann.
Doch nach zwei Jahren brutaler Kämpfe, in denen Russland allmählich die Oberhand gewonnen hat, steht mehr auf dem Spiel als je zuvor, und die Kosten fortgesetzter Fehlkalkulationen könnten katastrophal sein.
Es ist längst überfällig, dass Kiews Befürworter auf beiden Seiten des Atlantiks zu einer realistischen Vorstellung vom Sieg zurückkehren, die den katastrophalen Bedingungen in der Ukraine Rechnung trägt, anstatt sie zu verschleiern, und einen tragfähigen Rahmen für die Beendigung des Krieges zu den bestmöglichen Bedingungen für Kiew und den Westen bietet.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Magazin Responsible Statecraft und findet sich dort im englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.
Mark Episkopos ist Professor für Geschichte an der Marymount University in den USA. Er forscht über Fragen der nationalen Sicherheit und schreibt über internationalen Beziehungen.
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