Es gibt keine US-Zauberwaffe mehr für einen offensiven Sieg in der Ukraine

Ein Soldat der US-Armee klappt eine Antenne an einem M142 High Mobility Artillery Rocket Systems-Fahrzeug HIMARS aus. Bild: Nathan Clark, U.S. Air Force / Public Domain

Die Russen haben sich an alle westlichen Waffen angepasst. Das muss anerkannt werden. Ansonsten setzt man das Schicksal einer Nation aufs Spiel. Gastbeitrag.

Das eklatante Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive im Jahr 2023, die von Kiew als schneller Doppelschlag angelegt wurde und Russland aus dem Schlachtfeld jagen sollte, hat die Befürworter maximalistischer Kriegsziele in der Ukraine dazu veranlasst, ihren Zeitplan für den Sieg zu revidieren.

Die Suche nach dem "Game-Changer" in der Ukraine

Die ukrainischen Streitkräfte (AFU) sollen, so die allgemein vertretene Ansicht nun, die laufenden russischen Angriffe abwehren und ihre Kapazitäten für erneute Offensiven im Jahr 2025 mit anhaltender westlicher Unterstützung wieder stärken. Im Zentrum dieser Pläne befindet sich eine doppelte Bewertung der Angriffsfähigkeiten beider Seiten.

Mark Episkopos ist Professor für Geschichte an der Marymount University in den USA.

Nach der Auffassung kann die Ukraine, wenn sie über genügend bahnbrechende, das "Spiel verändernde" Mittel- und Langstreckenraketen verfügt, die russische Logistik und die Kommando- und Kontrollknoten (C2) erfolgreich stören und große Teile der besetzten Gebiete – einschließlich der Krim – für die russischen Streitkräfte unbrauchbar machen.

Solche Perspektiven werden ergänzt und häufig begleitet von der gleichzeitigen Annahme, dass den russischen Streitkräften die wichtigsten Munitionsvorräte ausgehen und sie daher nicht in der Lage sind, die ukrainische Infrastruktur langfristig unter Druck zu setzen.

Idee vom Sieg

Beide Ansätze, die westliche Entscheidungsträger dazu bringen sollen, die maximalistischen Kriegsziele der Ukraine mit verstärkter Intensität zu verfolgen, in der Hoffnung, dass mit genügend Mitteln und Ausdauer doch noch ein annähernd vollständiger Sieg errungen werden kann, sind grundlegend mit Fehlern behaftet.

Sie bergen die Gefahr, dass Kiew und seine westlichen Partner im kommenden Jahr in eine noch schlechtere militärische Lage geraten.

Westliche Waffen als Hoffnungsschimmer: ATACMS und ihre Rolle

Die AFU erhielt Ende 2023 von den Vereinigten Staaten rund 20 bodengestützte ballistische Raketen des Typs M39 Block I Army Tactical Missile System (ATACMS). Diese älteren Raketen mit einer Reichweite von 170 Kilometern wurden Berichten zufolge von der AFU eingesetzt, um von Russland kontrollierte Flugplätze in der Süd- und Ostukraine anzugreifen.

In einem Schreiben vom November 2023 forderte eine Gruppe von Abgeordneten im Kongress die Biden-Regierung auf, mehr ATACMS, einschließlich fortschrittlicher Varianten mit größerer Reichweite, an die Ukraine zu liefern, um den "Bedarf der AFU an Angriffsfähigkeit für weiter entfernte Ziele" zu decken.

Der ehemalige US-General Ben Hodges argumentierte, dass die Bereitstellung von ATACMS und anderen westlichen Raketen, einschließlich deutscher Taurus-Marschflugkörper, die von Russland besetzte Krim isolieren und für die russischen Streitkräfte unhaltbar machen würde.

Die strategische Bedeutung der Krim für Russland und die Ukraine

"ATACMS mit einer Reichweite von 300 Kilometern werden die Krim zu einem nicht mehr zu haltenden Posten machen, sobald sie auf dem Kriegsschauplatz eintreffen. Für die russische Marine, Luftwaffe und Logistik gibt es auf der Krim kein Versteck mehr", schrieb Hodges. "Was ATACMS für die Ukraine angeht, geben Sie sich nicht mit Halbem zufrieden."

Wie bei anderen Plänen, die im Kontext des Einsatzes von Wunderwaffen in der Ukraine formuliert wurden, wird auch bei den Überlegungen zu massiven ATACMS-Angriffen allzu oft von einem statischen russischen Gegner ausgegangen, der nicht in der Lage ist, sich im Laufe der Zeit an diese Waffen anzupassen.

Man denke nur an die Einführung der von den USA gelieferten HIMARS-Raketen auf dem Schlachtfeld im Jahr 2022, die eine Reihe erfolgreicher Angriffe der AFU auf wichtige russische Einrichtungen in der Ukraine ermöglichten. Die Glanzzeit der HIMARS in der Ukraine endete jedoch zusehends, als die Russen lernten, ihre Munitionsdepots effektiver zu verteilen, westliche Präzisionsraketen zu stören und ausgefeiltere Luftabwehrmethoden einzusetzen.

Eskalationsrisiko: Russlands Antwort auf westliche Militärhilfe

Die russische Führung weiß, welche westlichen Waffen noch an die Ukraine geliefert werden, und hat in diesem Stadium des Krieges Monate, wenn nicht sogar Jahre Zeit gehabt, deren Wirkung zu simulieren und präventiv Gegenmaßnahmen zu entwickeln, wodurch das technologische Überraschungsmoment, das den HIMARS-Raketen im Jahr 2022 ein kurzes, aber reales Zeitfenster für den Einsatz verschaffte, zunichtegemacht wurde.

Es ist praktisch sicher, dass das russische Militär seine Methoden der Streitkräfte-Verteilung weiter verfeinern und zusätzliche Gegenmaßnahmen entwickeln wird, um die künftigen Auswirkungen westlicher Mittel- und Langstreckenraketen auf dem Schlachtfeld abzuschwächen.

Russland könnte auf erweiterte westliche Raketenlieferungen ebenfalls mit einem breiten Spektrum an asymmetrischen Maßnahmen reagieren, die eine gefährliche Eskalation des Krieges in sich tragen.

Moskau, das sich bisher dafür entschieden hat, die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer mit Bedacht zu zermürben, kann seine beträchtliche und wachsende Kontrolle über die Eskalation ausspielen, indem es seine Angriffsfähigkeiten verstärkt auf die ukrainische Infrastruktur einsetzt und die Offensivoperationen entlang der Kontaktlinie im Osten und Süden des Landes intensiviert.

Der lange Weg zum Frieden: Herausforderungen und Perspektiven

Vom Westen bereitgestellte Raketen können eingesetzt werden, um den russischen Streitkräften durch Angriffe auf wichtige Ziele und Infrastrukturen operative Kosten aufzuerlegen. Doch diese Angriffe sind auf lange Sicht von begrenztem strategischem Wert.

Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sie in ausreichendem Umfang durchgeführt werden können, um die russischen Streitkräfte in der Ukraine entscheidend zu besiegen. Auch können sie nicht – wie Anatol Lieven vom Quincy Institute anmerkte – Russland von der Krim verdrängen, solange sie nicht von erfolgreichen großangelegten Bodenoffensiven begleitet werden, um die Russen aus dem Südosten der Ukraine zu vertreiben.

Nichts deutet darauf hin, insbesondere angesichts des kostspieligen Scheiterns der Gegenoffensive 2023, dass die AFU bald das für solche Vorstöße erforderliche Offensivpotenzial entwickeln wird.

Die ukrainischen Angriffe mit vom Westen gelieferten Raketen haben Teile der russischen Marine von der Krim vertrieben und Moskaus seit Langem aufgegebene Pläne für amphibische Landungen in Odessa und Mykolajiw weiter vereitelt.

Der Verlust und die Verlegung dieser Schiffe sind zwar ohne Zweifel ein materieller Rückschlag für Russland, aber kein entscheidender Faktor für die Fähigkeit der russischen Bodentruppen, ihre Besetzung der Südukraine aufrechtzuerhalten.

Russlands militärische Kapazitäten: Ein kritischer Blick

Ebenso falsch ist die damit einhergehende Vorstellung, dass Russland selbst einen kritischen Mangel an Raketen habe. Der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kyrylo Budanow, sagte zum Beispiel in einem Interview am 31. Dezember 2022 voraus, dass die russischen Streitkräfte über genügend Raketen für zwei großangelegte Angriffe verfügen.

Der leitende estnische Geheimdienstmitarbeiter Margo Grosberg erklärte im Januar 2023, Russland verfüge über die präzisionsgelenkte Munition, um die Ukraine "in den nächsten drei bis vier Monaten bzw. bis zum Frühjahr, pessimistischer betrachtet in sechs bis neun Monaten", anzugreifen.

Zeit und Ressourcen: Die Schlüsselfaktoren im Konflikt

Diese und ähnliche Einschätzungen ukrainischer und westlicher Beamter werden auch in der jüngsten Diskussion über die Ukraine weiter verbreitet, obwohl sie durch die Ereignisse vor Ort in den vergangenen zwei Jahren ständig widerlegt wurden.

Auch wenn es unmöglich ist, Russlands Vorräte an verschiedenen Präzisionswaffen zu einem bestimmten Zeitpunkt genau anzugeben, gibt es klare Anzeichen dafür, dass der Kreml die westlichen Exportkontrollen unterlaufen und seine verteidigungsindustrielle Basis erfolgreich konsolidiert hat, um die russischen Kapazitäten für Langstreckenschläge kurz- bis mittelfristig zumindest aufrechtzuerhalten, wenn nicht sogar weiter auszubauen.

Russlands stetige Produktion von Präzisionsmunition steht in eklatantem Gegensatz zur fortschreitenden Schwächung der ukrainischen Luftabwehr angesichts der unerbittlichen russischen Angriffe im Winter und untergräbt die Annahme, die Zeit sei auf der Seite der Ukraine.

Fehleinschätzungen und ihre Folgen für die Ukraine

Keine dieser beiden Ideen – nämlich, dass die Ukraine gewinnen kann, wenn sie mit großen Waffensystemen des Westens überschwemmt wird, und Russland kurz davor steht, seine Bestände zu erschöpfen – ist neu. In der Tat sind beide Konzepte Teil der ursprünglichen Überlegungen, die einige westliche Politiker und Beobachter im Laufe des Jahres 2022 zu dem Schluss brachten, dass die AFU Russland auf dem Schlachtfeld besiegen kann.

Doch nach zwei Jahren brutaler Kämpfe, in denen Russland allmählich die Oberhand gewonnen hat, steht mehr auf dem Spiel als je zuvor, und die Kosten fortgesetzter Fehlkalkulationen könnten katastrophal sein.

Es ist längst überfällig, dass Kiews Befürworter auf beiden Seiten des Atlantiks zu einer realistischen Vorstellung vom Sieg zurückkehren, die den katastrophalen Bedingungen in der Ukraine Rechnung trägt, anstatt sie zu verschleiern, und einen tragfähigen Rahmen für die Beendigung des Krieges zu den bestmöglichen Bedingungen für Kiew und den Westen bietet.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Magazin Responsible Statecraft und findet sich dort im englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.

Mark Episkopos ist Professor für Geschichte an der Marymount University in den USA. Er forscht über Fragen der nationalen Sicherheit und schreibt über internationalen Beziehungen.

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