"Es kam, um zu bleiben"

Noch vor wenigen Jahren war es ein Exot. Nun hat sich das West-Nil-Virus in den USA eingenistet und zeigt, wie im Zusammenspiel von Insekten, Tieren und Menschen in relativ kurzer Zeit eine Endemie entstehen kann

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Anders als die Grippe sind Infektionen mit dem West-Nil-Virus eine Sommerangelegenheit. Zumindest in den USA neigt sich die Saison gerade dem Ende zu. Von Saison kann man mittlerweile tatsächlich reden, denn das Virus, das bis 1999 in den USA (von Einzelfällen bei Reisenden einmal abgesehen) praktisch unbekannt war, wird im nächsten Jahr wieder da sein, auch im übernächsten. "Diesmal ist es gekommen, um zu bleiben", hört man in diesen Tagen immer wieder von Epidemiologen.

West-Nil-Virus aus einer Krähe. Bild: CDC

Die Pläne für eine zunächst vorgesehene Ausrottung des Virus wurden wegen zu geringer Erfolgsaussichten ad acta gelegt. Das US-amerikanische Landwirtschaftsministerium hat es mittlerweile offiziell als "endemisch" erklärt, das heißt als Teil des Ökosystems. Anders als bei SARS geschah die Ausbreitung des West-Nil-Virus (WNV) in den USA praktisch unter den Augen der medizinischen Wissenschaft, der es dennoch nicht gelang zu verhindern, dass eine neue Endemie entstand.

Jährlich rund 3.000 schwere Hirnhautentzündungen durch WNV

Das West-Nil-Virus ist kein "Killervirus", es ist auch nicht hochinfektiös. Es verursacht deswegen anders als die Grippe keine rasanten Epidemien. Eher ist zu erwarten, dass es künftig jährlich in begrenzter Häufigkeit wiederkehrt, solange es keine Therapien oder Impfstoffe gibt.

WNV-Infektion verlaufen typischerweise als grippeartiges Fieber. Schätzungen für die USA zufolge entwickelt etwa jeder fünfte, der infiziert wird, die Fiebersymptomatik. Von diesen wiederum kommt es bei jedem dreißigsten, damit etwa bei jedem hundertfünzigsten Infizierten, zu einer Entzündung der Hirnhäute und des Gehirns, einer unter Umständen tödlichen Meningoenzephalitis. Für das Jahr 2002 geben die USA geschätzte 90.000 Fälle von West-Nil-Fieber an, knapp dreitausend Meningoenzephalitis-Fälle wurden im selben Jahr registriert. In diesem Jahr wird die Zahl nach Angaben der Centers for Disease Control (CDC) wohl geringfügig höher liegen. Bis Ende August wurden 155 Todesfälle durch WNV gemeldet.

WNV wird in den USA vor allem von Culex-Moskitos übertragen

Das WNV wird vor allem durch Moskitos übertragen, wobei hier eine ganze Reihe verschiedener Arten als Überträger zu fungieren scheinen. Es kann außerdem über die Nahrung weiter gegeben werden ("fäkal-oral" in der Medizinersprache), wahrscheinlich auch über Wasser. Menschen infizieren sich zudem wahrscheinlich durch direkten, enegn Kontakt mit infizierten Vögeln. Ähnlich wie SARS infiziert WNV bevorzugt Tiere, und zwar viele verschiedene, wahrscheinliche hunderte Arten. Für die Ausbreitung in den USA scheinen vor allem Alligatoren und Truthähne von Bedeutung gewesen zu sein.

Huckepack um die Welt

Wie konnte es zu dieser Endemie kommen und warum ließ sie sich nicht verhindern? Erstmals nachgewiesen wurde das West-Nil-Virus 1937 in Uganda. Bereits in den fünfziger Jahren wurden bei Blutproben von Menschen und Tieren in Afrika und im nahen Osten in einem hohen Prozentsatz der Fälle Antikörper gefunden gegen WNV gefunden. Es scheint dort also schon eine ganze Weile zuhause zu sein.

In den neunziger Jahren gab es in Europa mehrere Ausbrüche, unter anderem 1996 einen Ausbruch in Rumänien sowie 1999 in Russland. Das dürften nicht die ersten gewesen sein, denn wie man mittlerweile weiß, tragen eine ganze Reihe europäischer Vogelarten, vor allem in Großbritannien, ebenfalls Antikörper gegen WNV mit sich herum.

Auf dem amerikanischen Kontinent war WNV als endemisches Virus bis 1999 unbekannt. Im Sommer 1999 allerdings kam es erstmals auch dort zu einem größeren Ausbruch, und zwar in der Stadt New York, wo zunächst drei Menschen starben. Das Reservoir hatte man relativ schnell identifiziert. Man fand die Erreger in großer Zahl in toten Krähen. Es ist bis heute nicht ganz geklärt, wie das Virus in die USA gekommen ist, möglicherweise über importierte Vögel. Der Virusstamm war fast identisch zu einem 1998 bei Störchen in Israel nachgewiesenen Stamm, der sich wiederum nach Europa zurück verfolgen ließ.

Offensichtlich kam die WNV-Variante, die jetzt in den USA für die Endemie verantwortlich zeichnet, mit ziehenden Störchen aus Europa in den Nahen Osten und von dort in die USA. Da unter den potenziellen Opfern des WNV auch zahlreiche amerikanische Zugvögel sind, ist eine Ausbreitung des WNV nach Südamerika nach Auffassung der CDC nur eine Frage der Zeit.

Alligatorfarmen und kurze Winter sind die Freunde des WNV

Interessant ist die Ausbreitung innerhalb der USA, über die Wissenschaftler gerade mehr und mehr Informationen zusammen tragen. Nachdem WNV 1999 in New York aufgetreten war und unter Kontrolle gebracht werden konnte, trat es in den Folgejahren zunächst in Alligatorfarmen in Georgia und Florida auf. CDC-Studien konnten nachweisen, dass sich gesunde Vögel "fäkal-oral" infizieren können: Kommen sie im Rahmen der Nahrungsaufnahme mit den Exkrementen erkrankter Vögel in Kontakt, infizieren sie sich.

Zugvögel brachten das Virus also wahrscheinlich in den Süden der USA, wo es andere Vögel infizierte und schließlich von Moskitos aufgenommen wurde, den wichtigsten und schnellsten Überträgern. Einer der Ausbrüche in Georgia ließ sich auf infiziertes Pferdefleisch zurückführen, das dort an die Alligatoren verfüttert wurde. Sowohl Pferde als auch Alligatoren werden zudem wie zahlreiche Vögel und natürlich Menschen von Moskitos gestochen. Gezeigt werden konnte von der CDC auch eine Übertragung des Virus über die sehr warmen Wassertanks in den Alligatorfarmen. Ob das auch in der Wildnis oder für Menschen eine Rolle spielt, ist unklar. Vom Süden ging es dann wieder nach Norden, nach Illinois und Wisconsin, und in diesem Jahr nach Ithaca, Colorado und Kalifornien. Mittlerweile gibt es fast keinen Staat ohne WNV-Fälle.

In der Vielzahl der möglichen Übertragungswege zwischen Vögeln, Säugern, Insekten und schließlich Menschen sehen Epidemiologen den Hauptgrund dafür, dass die Eindämmungsstrategie gescheitert und sich die USA jetzt mit einer neuen Infektion herum schlagen müssen. Dass sich das WNV in nur drei Jahren über ganz Nordamerika ausbreiten konnte, kam für fast alle Wissenschaftler überraschend und zeigt, was passieren kann, wenn ein Virus, gerade wenn es in der Tierwelt relativ leicht wandert, auf eine "naive" Population trifft, die nie mit WNV in Kontakt gekommen ist. Dazu kamen in den letzten Jahren heiße Sommer und milde Winter, die die Zahl der Moskitos in den USA in die Höhe getrieben haben und dem Virus das überwintern erleichterten.