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"Es kann nicht so etwas geben wie die Freiheit zu rauchen"

Der türkische Präsident Erdogan im reliösen Kampf gegen Drogen, Alkohol und Tabak, Raucher müssen Behandlung wegen Lungenkrebs nun selbst bezahlen

Der türkische Präsident Erdogan kämpft nicht nur gegen Terroristen und liegt dabei auch im Streit mit den USA, er kämpft neben den Alkoholkonsum auch unermüdlich gegen die Raucher im eigenen Land. "Ein Muslim", so sagte [1] er letztes Jahr, "darf nichts mit Drogen, Alkohol und Glücksspiel zu tun haben. Das gilt auch für das Rauchen." Rauchen verband er mit dem "Massakrieren der Menschheit".

Die Türkei war bei Rauchverboten ein Vorreiter. Schon 1997 wurde das Rauchen in öffentlichen Gebäuden, Flugzeugen und Bussen verboten. Unter Erdogan kam 2008 das Verbot für alle Räume in Gebäuden wie Restaurants oder Bars, Sportstadien oder Moscheen hinzu. Verboten wurde das Rauchen auch auf öffentlichen Bereichen vor Schulen, Kaufhäusern, Sportstätten oder Kultureinrichtungen. Die türkische Regierung plant, das Rauchverbot auch auf Gärten und Parks sowie auf die Höfe von Moscheen und Schulen. Die Regierungs strebt überdies an, das Land drogenfrei zu machen (Türkei eröffnet Krieg gegen Drogen [2]).

Erdogans Präsidentenpalast mit mehr als 1000 Zimmern und einem persönlichen nationalen Überwachungszentrum [3]. Bild [4]: Ex13/CC BY-SA 4.0 [5]

Letztes Jahr wurde erneut festgestellt [6], dass trotz der Geldstrafen in vielen Bars und Kneipen das Rauchverbot nicht eingehalten wird. Nach einem Bericht [7] des Weltwirtschaftsforums rangierte die Türkei trotz der nach der WHO vorbildlichen Verbote weltweit [8] auf dem 8. Platz der Länder, in denen am meisten geraucht wird. Angeführt wird die Liste von China, mit großem Abstand gefolgt von Russland, den USA, Indonesien, Japan, Deutschland und Indien.

Zum Nichtrauchertag in der Türkei am 9. Februar hatte er Männer in seinen Präsidentenpalast eingeladen [9], die das Rauchen aufgeben haben, und erklärt [10]: "Der Kampf gegen das Rauchen ist mein persönliches Prinzip. Es kann nicht so etwas geben wie die Freiheit zu rauchen, ebenso wie es nicht die Freiheit geben kann, Selbstmord zu begehen oder sich tödlichen Krankheiten auszusetzen."

Der Staat muss die Bürger vor Tabak ebenso wie vor Terrorismus schützen

Der Staat, so der muslimische Präsident, müsse [11] die Bürger, auch wenn sie dies nicht wollen, "vor Tabak, Alkohol und Drogen schützen, genauso wie er verpflichtet ist, sie vor Diebstahl und Terrorismus zu schützen". Letztlich würde dies bedeuten, dass nicht die Menschen über ihr eigenes Leben verfügen, sondern der Staat, der sie mitunter zwingt, nicht nur nüchtern, sondern auch am Leben zu bleiben.

Die Bürger werden so zu den Kindern des Vaterstaats, der nicht nur moralisch unter der Herrschaft von Erdogan auftritt, sondern die Öffentlichkeit gerne auch vor Informationen und unerwünschter Opposition durch die Einschränkung von Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit schützt, während mit dem Knüppel der Terrorbekämpfung wieder ein blutiger und zerstörerischer Krieg im eigenen Land gegen die vorwiegend von Kurden bewohnten Gebiete geführt wird. Menschen, die aus der lange unter Ausgangssperre gelegenen Stadt Cizre geflohen waren und gestern zurückkehrten [12], bot sich der Anblick einer großflächigen Verwüstung, die Beobachter an syrische Städte erinnert, an ein "zweites Kobane". Vor allem in dem Stadtteil Sur, wo es die größten Verwüstungen gibt, würde es nach Verwesung riechen, weil unter Trümmern noch Tote liegen. Es sollen auch viele Zivilisten gestorben sein.

Erdogans Predigt vorher ging eine neue Regulierung, nach der die türkische Sozialversicherungsbehörde [13], die auch für die Gesundheitsversicherung zuständig ist, Patienten mit der Diagnose Lungenkrebs keine medizinische Behandlung mehr zahlen darf, wenn sie einmal während ihres Lebens Raucher waren. Die ehemaligen Raucher müssen also für die Kosten der Behandlung selbst aufkommen.

Natürlich gab es gegen dieses diskriminierende Vorgehen gegen Raucher scharfe Kritik seitens von Ärzten, Juristen und Bürgerrechtlern, schließlich werden damit in der Verfassung verankerte Rechte verletzt, nach denen jeder Anspruch auf Gesundheit und medizinische Versorgung hat.

Tatsächlich könnte man viele persönliche Präferenzen, die mit Risiken verbunden sind, beispielsweise die Ausübung von bestimmten Sportarten, eine bestimmte Ernährung oder zu langes Sitzen, entsprechend bestrafen. Der Fantasie wären hier für Krankenkassen und einen fürsorglichen Staat, der seine Bürger zu einem bestimmten Verhalten und Leben nötigen will, keine Grenzen gesetzt. Schön ist hier zu sehen, wie Religion, hier die islamische Politik der AKP, und rationale Sparzwänge mit Verhaltensoptimierung und deren Kontrolle, wie sie auch nichtreligiöse Menschen mehr und mehr aus eigenem Antrieb und mit Überwachungstechnik verfolgen, miteinander unter der Perspektive der Selbstverantwortung verschmelzen. Das Wahlversprechen des Regierungschefs scheint daher ganz auf der Linie zu liegen: Türkischer Regierungschef verspricht nach Wahlsieg Partnervermittlung.

Zwar gibt es im Koran kein Rauchverbot, zur Zeit von Mohammed war Tabak noch nicht bekannt, das Rauchen von Wasserpfeifen gehört zur islamischen Kultur, aber es gibt allgemeine Vorschriften, sich (und andere) nicht zu schädigen oder sich selbst zu töten. In letzter Zeit wurde Rauchen ebenfalls wie Alkoholkonsum und andere Sünden als haram [14] bezeichnet [15] und in Fatwas [16] verboten.


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https://www.heise.de/-3378718

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.todayszaman.com/anasayfa_erdogan-slams-so-called-scientists-over-smoking-alcohol-habits_392825.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/Tuerkei-eroeffnet-Krieg-gegen-Drogen-3367574.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Erdogan-hat-sein-persoenliches-nationales-Ueberwachungszentrum-3270444.html
[4] http://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Cumhurba%C5%9Fkanl%C4%B1%C4%9F%C4%B1_Saray%C4%B1#/media/File:Ak_Saray_Ankara_2014_002.JPG
[5] http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/
[6] http://www.todayszaman.com/anasayfa_quarter-of-businesses-in-turkey-violated-smoking-ban-in-2015_411887.html
[7] http://www.weforum.org/agenda/2015/06/top-10-smoking-cigarettes-countries/
[8] http://www.tobaccoatlas.org/topic/cigarette-use-globally/
[9] http://www.yenisafak.com/en/news/turkish-president-hosts-reception-for-people-gave-up-smoking-2407070
[10] http://www.hurriyetdailynews.com/smokers-in-turkey-to-not-receive-free-cancer-medicine.aspx?pageID=238&nID=95309&NewsCatID=373
[11] http://www.hurriyetdailynews.com/smokers-in-turkey-to-not-receive-free-cancer-medicine.aspx?pageID=238&nID=95309&NewsCatID=373
[12] http://www.todayszaman.com/national_residents-return-to-southeastern-town-of-cizre-find-it-destroyed_413799.html
[13] http://www.sgk.gov.tr/wps/portal/de
[14] https://islamqa.info/en/10922
[15] http://qss.org/articles/smoking.html
[16] https://islamhouse.com/en/books/1235/