Erdoğan hat sein persönliches nationales Überwachungszentrum

Im gigantischen Präsidentenpalast soll er nun nach Medienberichten landesweit auf alle Überwachungskameras und Kommunikationsdaten zugreifen können

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist machtbesessen und wittert gerne einmal Verschwörungen, wenn Kritik im Land gegen seine Politik oder die Korruption in Regierungskreisen laut wird. Besonders die von der jungen liberalen Mittelschichte getragenen Gezi-Proteste, die sich auch gegen seine Großbauprojekte richteten und schließlich landesweit gegen die AKP-Politik, hatten Erdoğan, damals noch Regierungschef, in Angst versetzt. Seitdem wurde Zensur, Überwachung, Knebelung der Justiz und Einschränkungen der Bürgerfreiheiten immer weiter angezogen (Türkei: Bürgerrechte ade). Der Zugang zu fast 68.000 Websites wurde gesperrt, darunter auch der zur Website der Satirezeitschrift Charlie Hebdo und einer Atheistenorganisation. Da versteht man keinen Spaß.

Man könnte Parallelen zum russischen Präsidenten Putin ziehen, der ebenfalls erschreckt von den vielen bunten Revolutionen und schließlich von einer kurzzeitig stärker werdenden Opposition im eigenen Land verstärkt den Weg in ein autoritäres System einschlug. Der Ausgang des Arabischen Frühlings und das Erstarken der Islamisten dürften ihn bestärkt haben, den Spielraum der Medien und oppositioneller Kräfte, zumal wenn sie vom Ausland unterstützt werden, möglichst klein zu halten, während gleichzeitig das autoritäre Regime in Iran und das Assad-Regime in Syrien unterstützt wurden. Die Maidan-Proteste und der Sturz der ukrainischen Regierung haben wohl vorerst jede Öffnung für Russland in eine freiere Demokratie verhindert und den inszenierten Personenkult von Putin verstärkt.

Erdoğans Präsidentenpalast. Bild: Ex13/CC BY-SA 4.0

Auch Erdoğan neigt zum Personenkult und zur symbolischen Überhöhung der Macht durch große Inszenierungen und große Bauwerke. Hatte Putin in Sotschi ein nationales Spektakel für die Welt aufführen lassen, hat Erdoğan sich einen gewaltigen, eine halbe Milliarde Euro teuren Palast gebaut, um dort wie einst ein Sultan zu residieren. Allerdings ist man auch gerne narzisstisch gekränkt und lässt Menschen wegen geringfügiger Beleidigungen verfolgen, die als systemdestabilisierend ausgelegt werden (Der türkische Präsident sieht sich immer öfter beleidigt). Auch als Medien berichteten, sein Palast habe 1000 Zimmer, fühlte er sich wohl gekränkt und erklärte vor Geschäftsleuten, dass es 1150 seien: "Man spart nicht, wenn es ums Prestige einer Nation geht", allerdings eher um das seine. Er sieht sich als Galionsfigur einer "neuen Türkei".

Wie es sich für einen autoritären Herrscher gehört, steht neben der Machtbesessenheit die Paranoia, die Putin schon als ehemaliger Geheimdienstagent verinnert haben dürfte. Wie jetzt bekannt wurde, hat sich Erdoğan in seinem Palast ein hochgerüstetes Überwachungszentrum einbauen lassen, um unabhängig von Polizei und Geheimdienst auch direkt sein Volk überwachen zu können. Das hatte letzte Woche zuerst die Zeitung Taraf berichtet.

Es klingt schon verwegen, was der türkische Präsident, sollte die Geschichte stimmen, damit zu intendieren scheint: die möglichst umfassende Echtzeitüberwachung des öffentlichen Raums landesweit. In das Überwachungszentrum, genannt "Live Broadcast Center, werden die Bilder eingespielt, die von stationären und mobilen Überwachungskameras des seit 2007 in den 81 Provinzen aufgebauten MOBESE-Systems stammen. Dabei werden Kameras in Fahrzeugen, auf Hubschraubern und Drohnen verwendet, dazu kommen Systeme etwa zur Erkennung von KFZ-Nummern. Zu den Bildern kommen die Daten aus dem Polizei-Informationssystem, des Geheimdienstes (MIT) und der Behörde für Notfälle und Katastrophen, die direkt dem Regierungschef untersteht. Angeblich soll über Server der Regulierungsbehörde für Technik und Kommunikation möglich sein, auf "private Informationen" zuzugreifen. Vermutlich ist von Kommunikationsdaten die Rede, es wird erwähnt, dass die Mitarbeiter des Zentrums von der Polizei die Passwörter für die MOBESE-Systeme und die 3G-Handy-Netze erhalten haben.

Auf den 143 Bildschirmen des Überwachungszentrums sollen Erdogan und seine Mitarbeiter in Echtzeit wohl nicht Verletzungen der Verkehrsregeln, sondern Polizei- und Militäreinsätze, Proteste und Kundgebungen überwachen können. Erdogan könnte also direkt und Umgehung der jeweiligen Vorgesetzten kontrollieren, was vor sich geht, und so auch die eigenen Sicherheitsbehörden besser im Griff haben. Hingewiesen wird auch darauf, dass er als oberster Kommandeur dann auch vom Zentrum Militäreinsätze befehligen könne. Erdogan will in den nächsten Tagen das geheim errichtete Beobachtungszentrum vorstellen, zu dem nur seine Mitarbeiter Zutritt haben sollen. Es gibt allerdings auch separate Räume für den Geheimdienst, die Polizei und die Gendarmerie, falls Koordinierungsbedarf mit diesen Behörden besteht. Die Testphase soll abgeschlossen sein, Big Brother Erdogan könnte schon in seinen Traum von der transparenten Gesellschaft eingetreten sein und den Verschwörungen gegen ihn nachgehen.