Eskalation am Schreibtisch

Seite 2: Erst Fakten verdrängen und dann falsche Schlüsse ziehen

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Doch selbst wenn sich in den nächsten Wochen herausstellen sollte, dass die Kaperung vor Gibraltar rechtlich zulässig und jene an der Straße von Hormus rechtswidrig war, ändert das nichts am irreführenden Charakter vieler Berichte. Denn zum einen steht eine abschließende rechtliche Bewertung zum Beispiel durch den Obersten Gerichtshof Gibraltars bis heute aus.

In ihrer Darstellung der Rechtslage beriefen sich viele Medien auf nichts anderes als Äußerungen britischer Politiker. Vor allem aber ändert die rechtliche Bewertung nichts daran, dass die iranische und britische Sicht der Dinge für eine vollständige Darstellung der Ereignisse journalistische Relevanz hat.

Indem viele Journalisten die iranische Perspektive auslassen und den Zusammenhang der Ereignisse vor Gibraltar und Hormus verschweigen, verwehren sie nicht nur ihren Lesern Fakten, die für eine eigene Bewertung nötig sind. Manche Journalisten nutzen diese verzerrte Darstellung der Realität gleich selbst, um daraus Schlussfolgerungen zu ziehen, die bei einer vollständigen Betrachtung kaum überzeugen würden.

Unter der Überschrift "Showdown im Nadelöhr" schildert ein Autor auf Spiegel online die Vorfälle an der Straße von Hormus als Ausdruck jahrzehntelanger Provokationen des Iran, das damit den Welthandel bedrohe. Dass zur iranisch-britischen "Tankerkrise" auch die Festsetzung eines iranischen Tankers gehört, lässt er unerwähnt. Die Kaperung der Grace 1 vor Gibraltar erwähnt der Autor in seinem Beitrag mit keinem Wort.

So entfällt konsequenterweise auch die zumindest zu diskutierende Möglichkeit, die Krise um die beiden Tanker durch diplomatische Verhandlungen über eben jene Tanker zu lösen. Die Forderung des Spiegel online-Autors stattdessen: "eine entschlossene Antwort auf Irans Muskelspiele".

Noch tendenziöser ist das Bild, welches ein Tagesspiegel-Autor von der britisch-iranischen Tankerkrise zeichnet. Auch in seinem Beitrag fehlen sämtliche Informationen, die der These willkürlicher und grundloser iranischer Aggressionen widersprechen. Die Erklärung des Autors stattdessen: Der Iran "verachtet friedfertige Staaten wie die in Europa".

Mit der Festsetzung der Stena Impero habe Iran "dem EU-Mitglied Großbritannien den Krieg erklärt". Als scheinbar logische Reaktion auf diesen "kriegerischen Akt" fordert der Autor Europa auf, Sanktionen zu verhängen und Kriegsschiffe zu entsenden. Ob sich damit eine weitere Eskalation am Persischen Golf verhindern lässt, ist fraglich. Ausdruck einer Eskalation in deutschen Journalistenbüros ist es allemal.

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