Europas Ohnmacht: Zwischen Trumps Hammer und Putins Amboss
Das Treffen zwischen Trump und Selenskyj sorgt für Empörung. Scharfe Kritik aus Europa. Doch steckt hinter dem Eklat ein größerer Plan?
Selten in der Geschichte ist ein politisches Ereignis so reflexhaft, stereotyp und gefährlich naiv beurteilt worden wie das Treffen der beiden ungleichen Präsidenten Trump und Selenskyj im Weißen Haus am vergangenen Freitag, dem 28. Februar 2025.
Von der "PR-Aktion" eines "TV-Showmans" (Thomas Jäger) war die Rede, von einer "historisch peinlichen Show" (Nico Lange), sogar der Aktion einer "schurkischen Supermacht" (Sigmar Gabriel), von der Notwendigkeit, furchtlos zu sein, Solidarität zu üben und der Ukraine jetzt erst recht zu helfen (Ursula von der Leyen, Lars Klingbeil und Franziska Brantner).
Die noch amtierende Bundesaußenministerin sieht sogar ein Zeitalter der Ruchlosigkeit heraufziehen. Die Medien überbieten sich in der Verurteilung des amerikanischen Präsidenten und dessen "Verrat" an der ukrainischen Sache. Europa sei nun auf sich allein gestellt. Von analytischer Durchdringung der unterschiedlichen Interessenlagen dieses komplexen Sachverhalts, seiner historischen Ursachen sowie seiner unmittelbaren und mittelbaren Folgen ist nicht viel zu spüren.
Von amerikanischer Seite indessen war das Treffen mit Selenskyj wohlberechnet. Nach dem Warnschuss der Münchner Sicherheitskonferenz und der Kritik an demokratischen Praktiken in Europa, zielte es darauf ab, den ukrainischen Schutzbefohlenen auf seinen Platz zu verweisen.
Selenskyj musste daran gehindert werden, die amerikanisch-russischen Verhandlungen zur Beendigung des Krieges mit eigenen Forderungen oder gar falschen militärischen Erwartungen zu belasten.
Dass der Ukrainekrieg inzwischen eine große Verlegenheit geworden ist und beendet werden muss, darauf haben amerikanische Denkfabriken schon lange hingewiesen. Auch Henry Kissinger hat in einem seiner letzten Statements geltend gemacht, mit Blick auf China, die Tür nach Russland nicht zu verschließen.
Dass die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnen kann und die eigentlichen Verlierer Deutschland und Europa heißen, ist keine neue Einsicht. Der Autor dieses Beitrages hat zu den Warnenden gehört und gleich nach Ausbruch des Krieges verlangt, die "Resettaste" zu drücken, um das "globale Dorf" nicht zu zerbrechen.
Doch gegen den bizarr und laut klingenden Chor der Unvermögenden, Zaudernden und Bellizisten haben sich die Vernünftigen nicht durchsetzen können. Bei einem "weiter so" droht nun die Gefahr, dass Europa und Deutschland isoliert dastehen und die Suppe des von den USA miteingefädelten Krieges allein auslöffeln müssen – und das mit wirklich unvorhersehbaren Risiken.
Die Handlungsebenen der Konfliktlösung ändern sich
Eine Lösung des Konfliktes kann auf verschiedenen Handlungsebenen erfolgen, mindestens drei sind erkennbar: Erstens auf der Ebene einer zwischenstaatlichen Interaktion. So hatte sich Putin die Lösung des Konfliktes vorgestellt. Ein schneller und isolierter Militärschlag gegen die Ukraine würde sowohl das Problem der schlechter gestellten russischen Minderheit in den östlichen Gebieten des ukrainischen Vielvölkerstaates lösen, als auch verhindern, dass die Ukraine der Nato beitritt und damit amerikanische Raketen auf das Herz Russlands zielen.
Dieses Szenario setzte voraus, dass sich kein anderer Staat in den Krieg einmischt. Voraussehbar musste Russland einen solchen Konflikt über kurz oder lang gewinnen, da es über die größeren wirtschaftlichen und militärischen Potenziale verfügte und mit seiner Nuklearstreitmacht die Eskalationsdominanz besaß.
Eine Einmischung des Westens durch pro-ukrainische Unterstützungsleistungen und anti-russische Sanktionen war angesichts seiner gemischten Interessenlage zwar nicht auszuschließen, bei Abwägung der Vor- und Nachteile aber recht unwahrscheinlich. Moskau konnte nicht wissen, dass Europa die Putin‘sche Erzählung unisono zurückweisen und schließlich gegen die eigenen wirtschaftlichen Interessen handeln würde.
Dieses Kalkül der russischen Seite, mit der Ukraine "allein zu bleiben" und das "Recht des Stärkeren" durchzusetzen, ging bekanntlich nicht auf. Trump benutzt diese Option inzwischen als Drohung mit dem Ziel, die ukrainische Führung weichzuklopfen.
Der Wirtschaftskrieg des Westens gegen Russland und die vielfältigen Unterstützungsleistungen zugunsten der Ukraine signalisierten, dass der Konflikt zweitens auf der Ebene der demokratischen Staatengemeinschaft gelöst werden sollte. Allerdings ließ die Weltgemeinschaft keinen Gleichklang gegen die Verletzung des internationalen Rechts erkennen.
Von Anfang an musste der Westen den Ausfall wichtiger Player aus dem Spektrum der Brics-Staaten durch vermehrte wirtschaftlich-finanzielle Eigenleistungen und Opfer substituieren. Auf dieser Handlungsebene besaß die ukrainische Führung als gleichberechtigter Partner selbstverständliche Deutungs- und Mitspracherechte.
Diese hat sie bis zum Limit ausgenutzt, indem sie eine einseitige Bewertung der Konfliktursachen durchsetzte, Zaudernde sanktionierte und, wenn es nötig schien, sogar die Initiative an sich riss. Die bizarren Auftritte Andrij Melnyks, des ehemaligen ukrainischen Botschafters in der Bundesrepublik, und die devote Reaktion der deutschen politischen Klasse stehe hierfür beispielhaft.
Demokratische Aushandlungsprozesse kranken stets an diversen Interessenlagen. Die einen wollten einen schnellen Frieden, die anderen setzten sich für einen freilich illusorischen Sieg der Ukraine ein. Viele Köche verdarben auch hier den Brei, so dass der Krieg unnötig verlängert wurde.
Die Gewinnchancen neigten sich, je länger er dauerte, immer mehr zu russischen Gunsten. Dass diese vielstimmige Handlungsebene nicht belastbar war, zumal sich nicht einmal die europäischen Interessen bündeln ließen und das Wirrwarr auch nicht durch konträre Alleingänge europäischer Akteure (Boris Johnson, Viktor Orbán, Emmanuel Marcron) aufgelöst werden konnte, hat die aktuelle US-Regierung antizipiert und ausgenutzt.
Sie hat eine dritte Handlungsebene aufgemacht, die durch ein doppelhegemoniales Vorgehen der USA und Russlands gekennzeichnet ist. Diese Handlungsebene knüpft an das traditionell erprobte Agieren der Supermächte in der Zeit des Kalten Krieges an, etwa dem gegenseitigen Respekt vor elementaren Sicherheitsinteressen.
Sie honoriert das Durchhalten Russlands und die Gewinnung einer russischen Vorderhand-Position im Krieg gegen die Ukraine und wertet die Moskauer Führung weltpolitisch enorm auf, was auch in Peking zu Verstimmung führen dürfte. Sie bedeutet eine Abkehr der USA von üblichen Konsultationsmechanismen innerhalb der Nato und zwingt die mindermächtigen Nato-Partner in eine "Friss-oder-stirb-Rolle".
Hier knüpft Trump an die Zumutungen innerhalb des Bündnisses in seiner ersten Amtszeit an. Und schließlich reklamiert er gegenüber Schutzbefohlenen ganz selbstverständlich die natürliche Entscheiderrolle einer privilegierten Schutzmacht.
Ende des Krieges in Sicht?
Zumindest hat das Umschwenken der amerikanischen Administration auf diese Handlungsebene uns einem Ende des Krieges näher gebracht. Die Ukraine wird gezwungen, den militärischen Realitäten ins Auge zu sehen und die Unverletzlichkeit ihres Territoriums (nach dem de facto eingetretenen Verlust der Krim) endgültig aufzugeben.
Der Verlust der derzeit von Russland besetzten Gebiete wird die Folge sein. Der demokratischen Weltöffentlichkeit wird signalisiert, dass sie noch immer nicht in der Lage ist, dreiste Völkerrechtsverletzungen wirksam zu sanktionieren und eine friedliche Welt zu erzwingen.
Gleichzeitig wird das Hickhack der demokratischen Akteure in Europa ad absurdum geführt, es sei denn, sie wollen sich wirtschaftlich-finanziell weiter ruinieren und womöglich auch noch militärisch ausbluten. Europa wird klein beigeben müssen und vorerst in eine randständige Position verwiesen.
Es bleibt abzuwarten, ob auch die Nato nunmehr ganz im amerikanischen Interesse bilanziert wird. Sicher ist schon jetzt, dass die USA nicht bereit sein werden, Sicherheitsgarantien für die Ukraine oder wen auch immer in Europa zu übernehmen, wenn dies nicht mit den amerikanischen Interessen konform geht.
Was ist zu tun?
Das schnelle Ende des Ukrainekrieges ist alternativlos und es wäre ein unverzeihlicher Fehler, den Krieg mit illusionären Aussichten für die Ukraine verlängern zu wollen, so wie es derzeit unverantwortlich in den öffentlichen Raum tönt. Westliche Lieferungen von bisher zurückgehaltenen weitreichenden Waffen würden das Ruder nicht herumreißen, allerdings die Gefahr einer Ausweitung und Eskalation des Krieges vermehren.
Gegenüber den USA muss Europa jetzt möglichst einheitlich und ohne Zeitverzug auf eine gesichtswahrende Lösung des Konfliktes drängen. Damit würde es testen, inwieweit amerikanische Sichtweisen der Vergangenheit überhaupt noch gelten.
Gleichzeitig muss es seine wirtschaftliche Position verbessern, indem es die sinnlose Sanktionspolitik gegenüber Russland beendet und wieder freie Hand bei Energie- und Rohstofflieferungen erhält. Das wird Washington nicht gefallen, aber es liegt eben auch in der Logik des amerikanischen Vorgehens.
Ob Europa Sicherheitsgarantien für die Ukraine geben kann, hängt von einer substanziellen Beteiligung der USA ab, die nicht sehr wahrscheinlich ist. Anderenfalls kann es keine Sicherheitsversprechen geben, da diese militärisch nicht durchsetzbar wären.
Dann bleibt zumindest abzuwarten, ob Putin den gerade errungenen internationalen Vertrauensbonus durch aggressives Verhalten verspielen wird oder nicht. Beides ist möglich. Europa muss zu einer Definition seiner eigenen sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Interessen gelangen. Es muss seine Verteidigungsbereitschaft und seine militärischen Instrumente durch Reformen stärken bzw. effizient machen, gleichzeitig seine Verteidigungsanstrengungen koordinieren sowie Rüstungen deutlich verbilligen.
Ein Wettrüsten mit Russland und China wird Europa wahrscheinlich nicht eingehen müssen, denn es gibt auf allen Seiten den Wunsch, die bestehenden Sozialordnungen nicht sinnlos zu ruinieren. Deshalb sollte Europa langfristig zu einer kooperativen Sicherheitspolitik mit Russland zurückkehren und sich auch weiter an einer friedlichen Lösung globaler Konflikte beteiligen.
Dr. Jürgen Angelow, ist außerplanmäßiger Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam. Er hat vorrangig zur Militär- und Sicherheitspolitik des 19. und 20. Jahrhunderts sowie militärischen Konflikten (u.a. "Kalkül und Prestige", "Der Weg in die Urkatastrophe", "Wandel, Umbruch, Absturz", "Der Erste Weltkrieg auf dem Balkan") publiziert und in den letzten Jahren als Politikberater gearbeitet.
Der Artikel erscheint im Rahmen der Medienkooperation mit WeltTrends – Zeitschrift für Internationale Politik.
Die neueste Ausgabe WeltTrends Nr. 203: Welt 21 im Umbruch spannt den Bogen von einer Bilanz des Versagens aktueller deutscher Außenpolitik, den Krieg im Nahen Osten bis zum Übergang von der transatlantischen zur eurasisch-pazifischen Zentralität.