Exklusiv: SPD sieht "Verschiebungen im Verhältnis" zu USA, Russland und Europa

Seite 2: SPD-Positionspapier: "Russlands völkerrechtswidriger Angriffskrieg schweißt transatlantische Partnerschaft zusammen"

Telepolis dokumentiert im Folgenden den zweiten Teil des Positionspapiers "Sozialdemokratische internationale Politik in der Zeitenwende", der Grundlage von Beratungen der SPD-Bundestagsfraktion am Donnerstag und Freitag dieser Woche ist.

IV. Souveränes Europa

Die Europäische Union ist der zentrale Rahmen deutscher Politik. Dies wird durch die Zeitenwende noch verstärkt. Dennoch zeigt der Krieg in Europa auch die Bruchlinien und derzeitigen Blockaden der EU auf. Zu oft wird gemeinsamer europäischer Fortschritt noch immer durch nationale Interessen und Blockaden gehemmt.

Um die strategische Souveränität und Handlungsfähigkeit Europas voranzutreiben, bedarf es konkreter Schritte der Weiterentwicklung der EU, wie sie Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Prager Rede vorgestellt hat. Hierbei ist für uns die deutsch-französische Partnerschaft von zentraler Bedeutung. Ebenso sollte Deutschland als größter Mitgliedstaat und Brückenbauer in der EU die Perspektiven unserer mittel- und osteuropäischen Partner noch stärker mit einbeziehen.

Darüber hinaus gilt es, den europäischen Multilateralismus durch die europäische Menschenrechtsinstitution des Europarats weiter zu stärken. Eine passende Gelegenheit bietet hierfür der 4. Gipfel der Staats- und Regierungschefs, welcher im Mai 2023 in Reykjavik stattfinden wird.

In einer zunehmend multipolaren Welt, geprägt von einer sicherheits- und wirtschaftspolitischen Rivalität zwischen den USA und China streben wir für die EU eine selbstbewusste Position als souveränes Machtzentrum an.

Die US-amerikanische Sicherheitsgarantie für Deutschland und Europa wird umso nachhaltiger sein, je stärker die EU mehr Verantwortung auch in der Sicherheitspolitik übernimmt. Daher sollte die EU in der Lage sein, zur Friedenssicherung in Europa und in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft noch stärker als bisher beizutragen. Gleichzeitig sollte sich die EU für eine regelbasierte Gestaltung der Multipolarität noch stärker als bisher einsetzen.

Dass in Europa ein Krieg geführt wird, hat uns allen den Wert der Nato als Garant unserer Sicherheit und Trägerin unserer Bündnisverteidigung erneut vor Augen geführt. Auch das transatlantische Bündnis ist in der Krise stärker als zuvor. Wir wollen dieses Momentum nutzen, um den europäischen Pfeiler in der Nato zu stärken. Dies würde die EU auch resilienter machen, sollte in den USA erneut ein Präsident gewählt werden, der die Fundamente des transatlantischen Bündnisses in Frage stellt.

Über die Stärkung des europäischen Pfeilers in der Nato stärken wir auch die unmittelbare Verteidigungsfähigkeit Europas. Dies beinhaltet auch, dass Europa seine gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen deutlich intensivieren muss – mit konkreten Schritten wie etwa dem Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe und eines permanenten operativen EU-Hauptquartiers.

Mehr sicherheitspolitische Souveränität bedeutet zudem, die europäische Cybersicherheit sicherzustellen und die europäische Rüstungskooperation weiter voranzutreiben, die aktuellen Rüstungsentscheidungen in Deutschland anschlussfähig für europäische Verbündete zu gestalten und damit Komplementarität, Effizienz und Interoperabilität zu stärken.

Zentraler Baustein einer souveränen EU sollte die der Beitritt der Staaten des Westlichen Balkans sein. Wir wollen diese langfristig im demokratischen Modell Europas verankern und damit verhindern, dass sich nichtdemokratische Akteure die Konfliktlinien der Region zunutze machen. Zur Zeitenwende gehört die Einsicht, dass Erweiterungspolitik auch den strategischen Interessen der EU in der Region dient.

Wir bekennen uns zum Ziel der EU-Mitgliedschaft der sechs Westbalkanländer Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien genauso wie zur EU-Beitrittsperspektive der Ukraine und Moldaus. Gleichzeitig unterstützen wir Georgien auf seinem Weg in die Europäische Union.

Die EU hat in den Krisen der vergangenen Jahre ihre gemeinsame Handlungsfähigkeit in vielen Fällen unter Beweis gestellt. Das Corona-Wiederaufbauprogramm ist ein Meilenstein für den Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit Europas. Auch die geschlossene und entschlossene Antwort der EU auf den Angriffskrieg Russlands verdeutlicht die gemeinsame Handlungsfähigkeit der EU im Krisenfall.

Doch es bleiben auch Defizite bestehen. Das Prinzip der Einstimmigkeit befördert Blockaden und hemmt notwendigen europäischen Fortschritt.

Umso wichtiger ist es, das Momentum der Zeitenwende auch dafür zu nutzen, konkrete Fortschritte bei der Vertiefung der europäischen Integration zu erreichen – etwa durch mehr Mehrheitsentscheidungen gerade im Bereich der Außenpolitik, aber auch der Steuerpolitik, durch eine stärker strategisch ausgerichtete gemeinsame Handels-, Wirtschafts- und Industriepolitik oder durch dauerhaft gestärkte europäische Investitionskapazitäten.

Es bedarf wirtschaftspolitischer Kohärenz und gemeinsamer Instrumente der Abfederung externer Krisen, um gemeinsames europäisches Handeln nachhaltig abzusichern. Es bedarf auch einer Stärkung der europäischen Sicherheitsagenturen, um Europa besser nach innen und außen zu schützen. Auch für die Stärkung unseres Zivilschutzes bedarf es vermehrter Anstrengungen.

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