Fall Amri: Verfassungsgericht unterwirft sich dem Verfassungsschutz
Seite 2: Anachronistisches Urteil
- Fall Amri: Verfassungsgericht unterwirft sich dem Verfassungsschutz
- Anachronistisches Urteil
- Auf einer Seite lesen
Das Urteil des Zweiten BVerfG-Senats ist obendrein anachronistisch, weil es hinter das zurückfällt, was sich in mehreren parlamentarischen Untersuchungsausschüssen zum NSU-Skandal als Praxis durchgesetzt hat: Die Zeugenvernehmung von ehemaligen V-Leuten aus der rechtsextremen Szene.
So zum Beispiel in den Landtagen von Thüringen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen oder Brandenburg, wo unter anderem die Ex-Spitzel Tino B., Carsten S., Stephan L., Toni St. oder Benjamin G. persönlich auftreten mussten. Keinem ist etwas passiert.
Und dann gibt es noch einen bemerkenswerten Sachverhalt, der fast untergegangen wäre: Denn mit der BfV-Quelle im Terrorfall Breitscheidplatz von 2016 ist auch das Attentat vom Münchner Oktoberfest von 1980 ins Spiel gekommen. Und zwar durch das Bundesinnenministerium selbst. In seinem Widerspruch von Juni 2018 gegenüber dem U-Ausschuss, den V-Mann-Führer zu benennen, bezieht es sich auf den "Oktoberfestbeschluss" des Bundesverfassungsgerichtes vom 13. Juni 2017.
Hintergrund war ein Antrag von Bundestagsfraktionen der Opposition, die von der Bundesregierung wissen wollten, ob eine bestimmte Person, die den Sprengstoff der Münchner Bombe geliefert haben soll, eine V-Person einer Sicherheitsbehörde gewesen sei. In seinem Beschluss wies das oberste Gericht unter anderem auch auf eine "berechtigte Geheimhaltungsbedürftigkeit bei Quellenoperationen der Nachrichtendienste" hin.
Und nun argumentierte das Bundesinnenministerium wie folgt: Wenn sich diese Entscheidung des Verfassungsgerichtes auf eine lange abgeschlossene Quellenoperation bezog und die betreffende V-Person bereits 1981 verstorben ist, dann müsse Geheimhaltung erst recht für eine aktuelle Quellenoperation wie in der Berliner Fussilet-Moschee im Amri-Komplex gelten.
Treffer. Zwar nicht für 2016, aber für 1980. Unfreiwillig hat die Bundesregierung zugegeben, dass jene Person, von der möglicherweise der Sprengstoff für die Oktoberfestbombe kam, doch im Dienst einer Sicherheitsbehörde stand. Nur Ironie der Geschichte oder Merkmal des Terrorismusgeschehens in der Bundesrepublik?
Im Fall Breitscheidplatz und Fussilet-Moschee steht die Sache umgekehrt: Hier wissen wir bereits, dass es einen V-Mann im Täterumfeld gab. Was wir noch nicht wissen, ist, welche Rolle er im Zusammenhang mit dem Anschlag spielte.