Faul und fragil? Die deutsche Arbeitsmentalität im Blick aus der Schweiz

Arbeit mit Bauhelm vor deutscher Flagge

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NZZ kritisiert deutsche Arbeitsmoral und macht Wahlkampf mit Deutschlands Krisen-Absturz: Vom Wirtschaftswunder zum Krankenstand-Champion.

Warum sind die Deutschen so fragil geworden, fragt die NZZ. Das Bild zum Artikel zeigt Berliner, die behaglich neben ihren Fahrrädern im Park des ehemaligen Flughafens Tempelhof sitzen. Fragil sieht das nicht aus, sondern eher entspannt.

Unglaublich entspannt sogar, wenn man annimmt, dass das Foto aus der Gegenwart stammt, aus schwierigen Zeiten.

Ein Mythos am Zerbrechen

Aufklärung vermittelt die Bildunterschrift: "Lieber ausruhen und sich gemütlich austauschen, als länger zu arbeiten." Hier ist, darauf läuft es hinaus, ein Mythos am Zerbrechen: das deutsche Arbeitsethos, die fleißigen Deutschen. Die Lust und Freude an der Arbeit sei überall gesunken, besonders aber in Deutschland, so lautet die These des Artikels.

Im Nachbarland, so die Schweizer Zeitung, seien zu viele zu oft krank, man habe zu viel Urlaub und zu viel unproduktive Ansprüche. Der Wandel hin zur Freizeit- und Anspruchsgesellschaft sei in Deutschland besonders ausgeprägt. Kein Wunder, dass die Wirtschaft wieder als kranker Mann Europas gelte.

Merz muss es richten

Als Rezept zur Heilung der Malaise stellt die Zeitung die Wahl einer neuen Regierung aus, mit Kanzler Merz an der Spitze, damit Deutschland wieder zu einer Leistungsgesellschaft zurückfindet. Arbeit müsse sich wieder lohnen. Dann komme auch die Freude daran zurück.

Doch bevor die NZZ-Rezeptur näher vorgestellt wird, soll kurz der Befund knapp geschildert werden. Er stellt ein nämlich paar Fragen.

Sagenhafter Krankenstand

Denn nach Angaben der Zeitung, die sich dabei auf die Weltgesundheitsorganisation beruft, sollen deutsche Erwerbstätige im Jahr 2022 durchschnittlich "kaum fassbare" 25 Tage im Jahr von seiner, bzw. ihrem Arbeitsplatz absent gewesen sein. Dazu summiert werden im Artikel "im Durchschnitt effektiv 31 Ferientage" für Erwerbstätige in Deutschland.

Das ergäbe dann nach dieser Rechnung im Durchschnitt 56 Tage, die man/frau jährlich von ihrem Arbeitsplatz fernbleiben. Tatsächlich ein spektakulärer Wert – mit dem man dann auch spektakuläre Positionen untermauern kann?

Das Statistische Bundesamt Destatis kommt zwar auf eine ähnliche Tendenz – dass der Krankenstand seit dem Tiefstand von 2007 (8,1 Fehltage im Durchschnitt) kontinuierlich gestiegen sei, mit einem Höhepunkt zu Zeiten der Coronapandemie 2022 (14,8) –, aber mit einer deutlich geringeren Summe an Krankheitstagen. Für das Jahr 2023 berechnen die Statistiker 15,1 Fehltage. Also zehn weniger, als es der NZZ-Artikel reklamiert.

Auch die Krankenkassen meldeten im vergangenen Jahr Rekordergebnisse beim Krankenstand, aber in bemerkenswert geringerem Ausmaß als die NZZ. So berichtet die Techniker Krankenkasse Ende Oktober, dass in den ersten neun Monaten des Jahres 2024 "jede bzw. jeder Erwerbstätige in diesem Zeitraum durchschnittlich 14,13 Tage krankgeschrieben" war.

Im Vergleichszeitraum im letzten Jahr seien es durchschnittlich 13,82 Tage gewesen und vor der Coronapandemie seien die Fehlzeiten deutlich niedriger gewesen. So waren es 2019 in den ersten neun Monaten 11,40 Tage. Also wird auch hier ein Trend zu mehr krankheitsbedingten Fehltagen festgestellt, der aber nicht so sagenhaft ausfällt wie beim Artikel über die fragilen Deutschen.

Psychische Erkrankungen

Allerdings weist die Techniker Krankenkasse darauf hin, dass psychische Erkrankungen wie zum Beispiel Depressionen oder Angststörungen das "zweitgrößte Volumen bei Arbeitsunfähigkeitstagen bilden".

Hier beobachten wir seit Jahren einen kontinuierlichen Anstieg. Die Fehlzeiten bei den Erwerbstätigen mit einer psychischen Diagnose im ersten Dreivierteljahr 2024 beliefen sich auf durchschnittlich 2,80 Fehltage (Vergleichszeitraum 2019: 2,13).

Techniker Krankenkasse

Nun könnte man daraus eine gewisse Zerbrechlichkeit ablesen, die man allerdings, wenn es um ein Gesamtbild geht, damit vervollständigen müsste, dass sich jeden Winter regelmäßig die Ermahnungen häufen, dass sich die Angestellten und Arbeiter bitte nicht mit ansteckenden Grippe- oder Erkältungskrankheiten am Arbeitsplatz einfinden sollen.

Wie sich das zahlenmäßig auswirkt, ist unklar, aber dass die Sache mit der "Flucht vor der Arbeit" nicht ganz so einfach und eindeutig aussieht, wie von der konservativen Schweizer Zeitung grobkörnig skizziert, ist nicht zu übersehen.

Die Zeitung bietet dazu auch eine einfache Lösung an: Mehr Geld in der Tasche, dann gehen auch wieder mehr lieber in die Arbeit.

Psychische Probleme am Arbeitsplatz, Probleme mit der Motivation und dem Arbeitsklima, Erschöpfungssymptome, die auch in der Gesellschaft zu finden sind und Ähnliches mehr, kümmern die Verfasserin des NZZ-Beitrags nicht.

Ihr Terrain ist das des Wahlkampfes. Arbeiten müsse sich wieder lohnen, lautet die Lösung und weniger Steuern zahlen die Formel dafür.

Steuerreformen als Lösung

Die Zeitung warnt davor, dass die sinkende Arbeitsmotivation zu höheren Kosten pro Arbeitsstunde und zu einer geringeren Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft führt. Besonders bedenklich sei dies für Deutschland, wo die Wachstumsschwäche auch auf die reduzierte Arbeitszeit zurückgeführt wird.

Mit einer alternden Bevölkerung und einem Rückgang der Arbeitskräfte im erwerbsfähigen Alter prognostiziert die EU-Kommission, dass Deutschland jährlich über 250.000 Arbeitskräfte verlieren könnte.

Um dieser Herausforderung zu begegnen, schlägt die NZZ mehrere Reformen vor, darunter eine Glättung der Steuerprogression, eine automatische Korrektur der kalten Progression, verbesserte Arbeitsanreize für Sozialhilfeempfänger und Flüchtlinge, eine negative Einkommenssteuer statt eines bedingungslosen Grundeinkommens, eine Liberalisierung des Arbeitsrechts und eine Überprüfung der Prioritäten im öffentlichen Sektor.

Die Debatte über diese Reformen ist in Deutschland bereits im Gange, angetrieben durch Vorschläge von Finanzminister Christian Lindner und dem CDU-Chef Friedrich Merz. Eine mögliche Wende in der Regierung könnte laut NZZ eine Gelegenheit bieten, um von einer Anspruchs- zurück zu einer Leistungsgesellschaft zu finden.