Feinstaub: Bisherige Messungen erfassen das wahre Risiko bei schlechter Luftqualität nicht

Bild: Uwe Aranas/ Shutterstock.com
Staub in Städten ist schädlicher als gedacht. Unsichtbare Giftwolke aus Feinstaub belastet Atemwege. Neue Erkenntnisse stellen bisherige Messwerte infrage.
Basler Forscher warnen davor, dass die Menge an hochreaktiven und damit gesundheitsschädlichen Bestandteilen in Feinstaub bislang offenbar drastisch unterschätzt worden ist.
Ergebnisse ihrer Studie zeigten, dass 60 bis 99 Prozent dieser sogenannten Sauerstoffradikale innerhalb von Minuten bis Stunden zerfallen und deshalb bei bisherigen Analysemethoden nicht erfasst wurden. Die feinen Partikel mit einem aerodynamischen Durchmesser von weniger als zehn Mikrometern gelten als besonders gefährlich für die menschliche Gesundheit.
Probleme bisheriger Messmethoden
Feinstaub steht schon lange im Verdacht, chronische Atemwegserkrankungen, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes und Demenz zu begünstigen. In vielen Teilen Deutschlands kommt es immer wieder zu hohen Feinstaubwerten, die über den EU-Grenzwerten liegen. Laut Umweltbundesamt entstehen die hohen Feinstaub-Konzentrationen, insbesondere durch Emissionen von Diesel-Fahrzeugen.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass jährlich über sechs Millionen Todesfälle auf eine erhöhte Feinstaubbelastung zurückzuführen sind. Bei einer hohen Feinstaubbelastung sind vorwiegend empfindliche Menschen wie Kinder und ältere Menschen gesundheitlich gefährdet.
Besonders schädlich sind dabei hochreaktive Sauerstoffradikale, auch reaktive Sauerstoffspezies genannt. Sie können Biomoleküle im Inneren und auf der Oberfläche von Zellen der Atemwege oxidieren, schädigen und Entzündungsreaktionen auslösen. Ultrafeine Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 0,1 Mikrometern bleiben besonders lange in der Luft und können tief in die Lunge eindringen.
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Bisher wurden Feinstaubpartikel für die Analyse erst auf Filtern gesammelt und dann mit einer Verzögerung von Tagen oder Wochen untersucht. "Da diese reaktiven Sauerstoffspezies so schnell mit anderen Molekülen reagieren, sollten sie aber ohne Zeitverzug gemessen werden", erklärt Atmosphärenforscher Professor Markus Kalberer von der Universität Basel die Idee hinter der neuen Studie.
Neue Methode misst reaktive Feinstaubbestandteile
Das Forscherteam hat deshalb eine neue Methode entwickelt, um Feinstaub innerhalb von Sekunden zu messen. Dabei werden die Partikel direkt aus der Luft in einer Flüssigkeit gesammelt und kommen dort mit verschiedenen Chemikalien in Kontakt. Die Sauerstoffradikale reagieren dann in dieser Lösung und erzeugen messbare Fluoreszenzsignale.
Die Messungen mit der neuen Methode zeigen, dass 60 bis 99 Prozent der Sauerstoffradikale innerhalb von Minuten bis Stunden verschwinden. Bisherige Analysen, die auf einer verzögerten Filterauswertung basieren, lieferten daher ein verfälschtes Bild. In den vergangenen Jahren wurde die Luftqualität oft besser bewertet, als sie tatsächlich war.
Da der Messfehler bei einer verspäteten Analyse jedoch nicht konstant ist, lassen sich frühere filterbasierte Analysen auch nicht einfach hochrechnen. Der tatsächliche Anteil der Schadstoffe im Feinstaub ist laut den Forschern deutlich höher als bisher angenommen. Bei Feinstaub-Alarm sollten daher auch kleine Partikel gemessen werden, um die tatsächlichen gesundheitlichen Auswirkungen besser einschätzen zu können.
Die Ergebnisse werden gestützt durch weitere Laboranalysen mit Epithelzellen aus der Lunge. Sie lieferten Hinweise darauf, dass insbesondere die kurzlebigen, hochreaktiven Feinstaubbestandteile eine andere Wirkung haben als die Partikel, die mit den bisherigen verzögerten Messungen analysiert wurden. Die kurzlebigen reaktiven Komponenten in den Partikeln lösten andere und stärkere Entzündungsreaktionen aus.
Zusammenhang zwischen Feinstaub und Demenzrisiko
Eine Meta-Analyse der American Academy of Neurology hat zudem einen Zusammenhang zwischen Feinstaubbelastung und erhöhtem Demenzrisiko aufgezeigt. Dafür hatten die Forscher 17 Studien mit insgesamt über 91 Millionen Teilnehmern über 40 Jahre aus. 5,5 Millionen, also sechs Prozent, entwickelten im Beobachtungszeitraum eine Demenz.
Die Studien berücksichtigten verschiedene Faktoren, die das Demenzrisiko beeinflussen, wie Alter, Geschlecht, Rauchen und Bildung. Beim Vergleich der Feinstaubbelastung von Menschen mit und ohne Demenz zeigte sich: Personen, die keine Demenz entwickelten, waren im Durchschnitt täglich einer geringeren Feinstaubbelastung ausgesetzt als Personen, die an Demenz erkrankten. Saubere Luft scheint demnach auch das Demenzrisiko zu senken.
Das Demenzrisiko stieg dabei um drei Prozent für jede Zunahme der durchschnittlichen Feinstaubbelastung um einen Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m³). Die Europäische Union hat Grenzwerte für die Feinstaubbelastung festgelegt, die jedoch nicht immer eingehalten werden.
Gezieltere Schutzmaßnahmen
Die neuen Forschungsergebnisse aus Basel und der Meta-Analyse machen deutlich, dass Feinstaub ein noch größeres Gesundheitsrisiko darstellt als bisher angenommen. Die Ergebnisse liefern wichtige Erkenntnisse für Maßnahmen zum Gesundheitsschutz. "Wenn wir den Anteil der hochreaktiven, schädlichen Bestandteile genauer und zuverlässiger messen können, lassen sich auch bessere Schutzmaßnahmen ergreifen", erklärt Kalberer.
Für Verbraucher und Bürger in Deutschland bedeutet dies, dass der Schutz vor Luftverschmutzung und Feinstaub noch höhere Priorität haben muss. Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit von Maßnahmen wie Umweltzonen, Tempolimits und dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs sowie dem Umstieg auf erneuerbare Energien und emissionsarme Fahrzeuge.
Not wenig ist auch, die eigene Exposition zu reduzieren. Auch regelmäßiges Lüften zu Zeiten mit geringer Feinstaubbelastung, die Nutzung von Luftreinigern in Innenräumen und das Tragen von Atemschutzmasken bei schlechter Luft können helfen.
Besonders empfindliche Personen wie Kinder, ältere Menschen und chronisch Kranke sollten an Tagen mit hoher Feinstaub-Konzentration körperliche Anstrengungen im Freien vermeiden.
Die aktuellen Forschungsergebnisse zeigen einmal mehr, wie wichtig die Luftreinhaltung für die öffentliche Gesundheit ist. Sie liefern neue Argumente für eine ambitionierte Umwelt- und Verkehrspolitik, um die Feinstaubbelastung und deren Folgekosten nachhaltig zu senken und die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen.