Finale Bundesliga: Irrtümer und Plattitüden in Serie
Mediensplitter (24): Sie reden und reden. Der letzte Spieltag besiegelt, was bereits in den letzten Krisen der Dekade – Corona, Ukraine, Staatsschulden, Klimawandel, Atomenergie – erkennbar geworden ist: Das Versagen der Expertokratie.
Ich lag ja schon mal in dem einen oder anderen daneben. Ich hab' mich ja auch schon mal getäuscht.
Stefan Effenberg
Widerspruchsfreie Weltbilder brauche ich nicht. Im Zweifelsfall entscheidet die Wirklichkeit.
Hans Magnus Enzensberger
Spätestens als der bayerische Ministerpräsident Markus Söder irgendwann Mitte letzter Woche dazu ansetzte, sich bei Borussia Dortmund für seine Aussage, der BVB sei "zu doof, um deutscher Meister zu werden", zu entschuldigen, hätten am Borsigplatz alle Alarmglocken klingeln müssen.
Denn auf eines ist bei Markus Söder Verlass: Der Franke liegt falsch und landet mit seinen opportunistischen Meinungswechseln regelmäßig auf der Verliererseite. Stattdessen ließ der BV Borussia Dortmund sich einlullen vom einhelligen Urteil aller "Fußball-Experten" der Medien, nach denen die Meisterschaft entschieden sei und der Titel Borussia Dortmund sicher.
Expertokratie in der Krise
Sie reden und reden, aber sie wissen nichts: Das Finale der Fußballbundesliga besiegelte eine Saison, die zur schwersten Niederlage der Fußball-Experten seit Langem wurde, von der "besten Bayern-Mannschaft aller Zeiten" bis hin zur "sicheren" Meisterschaft der Dortmunder.
Das Fußball-Beispiel belegt, was bereits in den letzten Krisen der Dekade – Corona, Ukraine, Staatsschulden, Klimawandel, Atomenergie – erkennbar geworden ist: Die Expertokratie zu der gerade postdemokratische Mediengesellschaften immer mehr mutieren, erlebt eine massive Krise. Immer mehr Medien und soziale Netzwerke fordern immer mehr "Experten", die aber immer weniger realen Expertenstatus beanspruchen können.
Experten scheinen heute – das wird gerade in den genannten Krisen deutlich – oft funktional eingesetzt. Sie sollen Widerspruch abschmettern, Klarheit erzeugen, Eindeutigkeiten schaffen. Tatsächlich aber müssten Experten vielstimmig kommunizieren, sie sollten scheinbar klare Sachlagen verkomplizieren, irritierten, auf potentielle Schwierigkeiten hinweisen, und öffentliche Debatten ermuntern.
Das geschieht aber nicht.
Während der Corona-Krise formulierten die öffentlich gehörten Experten die Unvermeidlichkeit der Maßnahmen, ihre Alternativlosigkeit.
Nur Irrtümer und Plattitüden haben System: Marcel Reif
"Das nächste Spiel ist immer das schwerste" – wie kann es sein, Menschen, die teilweise selber jahrelang auf hohem Niveau Fußball gespielt haben, diese Ureinsicht des Fußballphilosophen Sepp Herberger in den Wind schlagen konnten und ignorieren, was psychologischer Druck mit Menschen und gerade Fußballmannschaften anrichten kann, erst recht, wenn einem das ganze Umfeld eine Woche lang einredet, ein Sieg sei nur noch Formsache.
Das war er natürlich nicht, sondern die essentielle Voraussetzung, um die Meisterschaft nach Dortmund zu holen. Und deswegen hätte sich die Mannschaft von Dortmund in eine psychologische und taktische Situation bringen müssen, um das Heimspiel gegen den FSV Mainz wie ein Finale im DFB-Pokal oder in der Champions League anzugehen. Sieg oder Niederlage – etwas anderes gab es nicht. Denn auch ein Unentschieden kam – wie am Samstag geschehen – einer Niederlage gleich.
All dies vergaßen die "Medien-Experten". Darum ist die Niederlage des BVB auch ihre Niederlage.
"Ich bin bereit, jetzt schon zu gratulieren, auch wenn ich weiß: ja, am Wochenende muss man noch mal spielen", so Marcel Reif bei "Reif ist live" in der vergangenen Woche (etwa Minute 27). Es fehle ihm "jede Phantasie, dass sie es nicht zu Ende bringen", sagte der 73-Jährige, der offenbar vergessen hat, wie während seiner aktiven Zeit der FC Bayern mehrmals in einem Herzschlagfinale noch einen Punkte-Rückstand in einen Titel ummünzte.
Am 20. Mai 2000 schaffte es Bayer Leverkusen in Unterhaching nicht, einen Punkt zu gewinnen. Auch damals gelang es dem FC Bayern übrigens, von Anfang an den Druck auf den Konkurrenten zu erhöhen, indem man sehr früh in Führung ging und bereits nach 16 Minuten 3:0 gegen Werder Bremen führte.
Oder nur ein Jahr später, als sich am 19. Mai 2001 der FC Schalke im Heimspiel gegen Unterhaching übrigens ähnlich schwertat, wie gestern Dortmund, und nach 27 Minuten 0:2 zurücklag, das Spiel aber noch drehte, und 5:3 gewann. Zur gleichen Zeit geriet der FC Bayern in Hamburg in der 90. Minute 1:0 in Rückstand, und war ähnlich wie gestern kurz vor Schluss für einige Minuten nur Vizemeister. Doch in der 5. Minute der Nachspielzeit glichen die Bayern noch aus.
Man könnte an anderes erinnern: Der Kuzop-Elfmeter, der Bremen 1986 die "sichere" Meisterschaft kostete. Oder der 16. Mai 1992 als Eintracht Frankfurt als Tabellenführer zum feststehenden Absteiger Hansa Rostock anreiste und dort verlor.
An all das hätte er sich erinnern können, stattdessen reiht er in seinen wöchentlichen stundenlangen Schwatzpodcasts Irrtümer und Plattitüden in Serie aneinander. So sagte Reif vor drei Tagen für die gestrige Abstiegsentscheidung auch voraus, dass Stuttgart sein Heimspiel gewinnt, Schalke und Bochum jeweils einen Punkt holen.
Alles daran ist falsch gewesen: Schalke hat verloren, Bochum hat gewonnen, Stuttgart nur einen Punkt geholt und ist darum auf dem Relegationsplatz gelandet. Niemand hat auch vorab davon geredet, wie gefährdet der FC Augsburg war: Nur ein einziges Tor hätte der VfB Stuttgart gebraucht, dann wäre Augsburg auf einmal Drittletzter gewesen.
Zu viele Kopfbälle: Thon und Kohler
Auch die eigene Erfahrung als Fußballer schützt vor krassen Fehleinschätzungen nicht. Der frühere Fußball-Nationalspieler Jürgen Kohler ist sich in der Münchner Abendzeitung "sicher", dass Dortmund Meister wird: "Ich bin überzeugt, dass die Dortmunder den Deckel drauf machen werden", sagte Kohler.
Überdies war der frühere BVB-Verteidiger vorgestern überzeugt, es werde beim FC Bayern keine Konsequenzen für Vorstandsboss Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic geben. Heute sind die beiden entlassen.
Auch der Ex-Schalker Olaf Thon glaubte in der Vorwoche fest an einen BVB-Titel: "Mainz in Dortmund? Keine Chance! Ganz Dortmund wird vibrieren, das lassen die sich nicht mehr nehmen. Ich glaube übrigens auch nicht, dass die Bayern in Köln gewinnen", sagte Thon, der ebenso an die Rettung seines früheren Clubs FC Schalke 04 glaubte. Glaube versetzt vielleicht Berge, schießt aber keine Fußball-Tore.
Große Klappe, nichts dahinter: Stefan Effenberg
Der ehemalige Nationalspieler Stefan Effenberg gehört ebenfalls in die Reihe jener "Experten", die Borussia Dortmund letzte Woche hochjazzten: Die Dortmunder müssten zwar "noch ihre Hausaufgaben machen, aber das werden sie sich nicht mehr nehmen lassen ... Dementsprechend kann ich mich festlegen. Die holen das Ding".
Das ist schon deshalb besonders kurios, weil Effenberg noch Ende Januar erklärt hatte, Borussia Dortmund sei nicht länger Bayern-Herausforderer Nummer 1. Der BVB müsse viele Dinge besser machen, es reiche nicht, dass Sebastien Haller zurück sei. "Im Kampf um die Meisterschaft sehe ich eher RB Leipzig", urteilte Effenberg damals.
Das nächste Spiel ist immer das schwerste. Aber der nächste Satz ist immer der leichteste. Oder der dümmste.