Forencheck: Infektion als Booster, Zweifel an Wahlumfragen und Langzeitwetterbeobachtung

Drei Fragen aus dem Forum. Eine Wochenkolumne
Check 1: Sollen sich Geimpfte infizieren?
Um eine langanhaltende Immunität aufzubauen, sollen sich auch Geimpfte infizieren, so die Empfehlung des Star-Virologen Christian Drosten [1]
Echt jetzt?
Dazu passt doch, dass ein nicht geimpfter Genesener besser geschützt ist. [3] Wieder ein Grund mehr für mich ohne Impfung auszukommen.
User DoktorDoolittle [4]
Wie schon in weiteren Forenkommentaren bemerkt, lohnt es sich, die gesamte Folge des Coronavirus-Updates anzuhören oder das Skript nachzulesen [5]. Da die Sendung sehr umfangreich ist, hier ein kurzer Blick auf die vorgebliche Empfehlung, sich zu infizieren:
Genesene erkranken den Studien zufolge tatsächlich seltener an Covid-19 als ein Geimpfte. Wer allerdings nicht sicher ist, bereits an Covid-19 erkrankt gewesen zu sein, geht mit dem Verzicht auf die Impfung und bewusste Ansteckung das Risiko eines schweren und mitunter tödlichen Verlaufs ein.
Ebenfalls im Coronavirus-Update wird berichtet, dass das Risiko für eine Krankenhauseinweisung mit der Delta-Variante 2,26-mal so hoch wie bei der Alpha-Variante ist und dass der Anteil Jüngerer in den Krankenhäusern zunimmt.
Aus diesem Grund empfiehlt der Virologe Christian Drosten, sich unbedingt zweimal impfen zu lassen, bevor man den Kontakt mit dem Virus nicht mehr meidet.
Da Sars-CoV-2 nicht mehr verschwinden wird, wird die Krankheit irgendwann endemisch. "Das heißt, wir sind aber dann auch in der Situation, dass unser Immun-Update, also die Booster-Immunisierung, eigentlich nicht hier passiert, sondern durch immer wiederkehrende Kontakte mit dem Virus und dass die Bevölkerungsimmunität auch immer belastbarer wird", erklärt Drosten.
Um in die endemische Situation zu kommen, empfiehlt er aber auch viel höhere Impfquoten als sie zurzeit in Deutschland bestehen: 85 Prozent und mehr bei den Zwölf- bis 59-Jährigen und 100 Prozent bei den über 60-Jährigen.
Die Booster-Immunisierung durch eine Impfung mache vor allem bei Älteren Sinn, deren Immunschutz sich schneller abbaut. Auch rät Drosten nicht unter medizinischen Gesichtspunkten von der dritten Spritze ab, sondern unter dem Aspekt der globalen Impfgerechtigkeit.
Check 2: Warum weichen Wahlergebnisse so weit von vorherigen Umfragen ab?
In mehreren Kommentaren zum Artikel Umfragen: Union trudelt auf unter 20 Prozent [6] werden Zweifel an der Aussagekraft von Wahlumfragen geäußert. Teilweise wird dabei auch unterstellt, dass mit dem Umfrageergebnis das Verhalten der Wähler:innen am Wahltag beeinflusst werden soll.
Erst einmal zur Ungenauigkeit von Wahlumfragen: Bei der letzten Bundestagswahl im September 2017 zeigte sich die größte Abweichung bei der CDU. Während die Meinungsforschungsinstitute der Partei im Mittel 35,9 Prozent gaben, erhielt sie am Ende nur 32,9 Prozent, also drei Prozent weniger als prognostiziert [7].
Repräsentative Umfragen weisen immer einen statistischen Fehlerbereich auf. Bei der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) heißt es dazu:
Liefert z.B. eine Umfrage unter 1.250 Wahlberechtigten für eine Partei ein Ergebnis von 40%, dann beträgt der Fehlerbereich +/- 3 Prozentpunkte.
2017 lag die Abweichung bei der CDU damit etwas höher als im zu erwartenden Fehlerbereich.
Noch deutlichere Abweichungen traten unlängst bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt zutage, worauf dieser Kommentar aufmerksam macht:
CDU und AfD Kopf-an-Kopf" waren die übereinstimmenden Meldungen vermeintlich seriöser Medien, die sich dabei auf vermeintlich seriöse Meinungsforschungs-Institute beriefen.
Das Ergebnis sah dann fundamental anders aus: Die CDU erreichte etwas über 37 %, die AfD knapp 21 %.
User Goerlitzer [8]
Das durchweg ein Kopf-an-Kopf-Rennen prognostiziert wurde, ist nicht richtig, wie ein Blick in die Vergleichstabelle von letzten Umfragen und Wahlergebnis zeigt [9]. Lediglich die vom Boulevardblatt Bild beauftragten Umfragen des Instituts Insa zeigten CDU und AfD praktisch gleichauf, andere gaben der CDU einen deutlicheren Vorsprung, über 30 Prozent prognostizierte aber keines der Institute.
Unwägbarkeiten zeigen sich bei Wähler:innen, die nicht fest an eine Partei gebunden sind, wie die BPB erklärt:
Nur gut 30% der Befragten im Politbarometer sagen, dass für sie nur eine einzige Partei in Frage kommt, rund zwei Drittel können sich vorstellen, auch eine andere als die momentan präferierte Partei zu wählen. Auch kurz vor dem Wahltag können aufgrund dieser "Volatilität" noch größere Schwankungen auftreten, sei es, weil im Wahlkampf neue Themen an Relevanz gewinnen oder unerwartete Ereignisse auftreten, die die politische Lage beeinflussen. Zudem können Wähler ihre Stimme auch taktisch einsetzen, um die Regierungsmehrheit für zwei Parteien zu ermöglichen oder zu verhindern.
Bundeszentrale für Politische Bildung
Dies ist die wahrscheinlichste Erklärung für das Ergebnis in Sachsen-Anhalt, zumal die CDU am stärksten von den Stimmen vormaliger Nichtwähler:innen profitieren konnte.
Die Autoren der Seite Wahlrecht.de sehen hingegen keinen nachweisbaren Einfluss von Vorwahlumfragen auf das Wahlergebnis:
Ein Einfluss von veröffentlichten Umfragen auf die Wahlergebnisse lässt sich empirisch nicht belegen. Der manchmal unterstellte Einfluss auf die Wahlbeteiligung sei dabei eine Mobilisierung bei einem progostizierten knappen Wahlausgang bzw. Demobilisierung bei einem klaren Ausgang (Lethargie, Defätismus oder Bequemlichkeit). (…) Ein empirischer Nachweis steht allerdings noch aus (vgl. Frank Brettschneider in "Demoskopie im Wahlkampf, Leitstern oder Irrlicht").
wahlrecht.de [10]
Check 3: Liefert die Langzeitwetterbeobachtung vergleichbare Messdaten?
In einem Kommentar zum Artikel Der Sommer war zu warm [11] werden viele Fragen zum Entstehen und Vergleichbarkeit der Messdaten gestellt:
Die Frage ist nur: sind die Stationen immer noch am gleichen Ort? Wie viele kamen neu hinzu, wie viele wurden abgebaut. Sind die Messtechniken im Laufe der Jahrzehnte genauer geworden?
In Zuge der allgemeinen Verstädterung: Sind ehemalige Messtationen auf der Wiese am Ortsrand auf einmal in Mitten komplett bebauter Gebiete?"
User CalimeromitSombrero [12]
Als Beginn der systematischen Wetteraufzeichnungen in Deutschland gilt das Jahr 1881. "Das Berechnungsverfahren, das dieser Auswertung (der Berechnung deutschlandweiten Temperaturmittelwerts) zugrunde liegt, ist so konzipiert, dass der Einfluss von Veränderungen im Messnetz minimiert wird", schreibt der Deutsche Wetterdienst (DWD). Besondere Beachtung finden dabei die verschiedenen Höhenstufen der Messstationen.
Mit der Veränderung von Messtechniken hat sich der DWD in Vergleichsreihen von elektronischen Messgeräten und Quecksilberthermometern befasst:
Der DWD betreibt über Deutschland verteilt mehrere Klimareferenzstationen. Diese dienen u.a. dazu die Vergleichbarkeit von früheren und aktuellen Messsensoren zu bewerten. Insbesondere wurden an den Klimareferenzstationen die traditionell eingesetzten Quecksilberthermometer (mit manueller Ablesung) und die aktuellen elektronischen Temperatursensoren über mehrere Jahre parallel betrieben. Vergleiche dieser Parallelmessungen zeigen, dass keine systematische Veränderung der Messungen durch den Übergang auf automatische Messungen eingetreten ist.
Da sich durch das Wachstum von Städten die Klimabedingungen an manchen Messpunkten verändert haben, wurden in der Vergangenheit auch Stationen aus Innenstädten an den Stadtrand oder ins Umland der Städte verlegt "da durch die zunehmende Bebauung die ursprünglichen Standorte nicht mehr als geeignet eingestuft wurden".
In anderen Messreihen werden Stationen, die mittlerweile innerhalb städtischer Wärmeinseln liegen, ganz aussortiert oder ihre Daten unter Zuhilfenahme ländlicher Stationen korrigiert, wie mein Telepolis-Kollege Wolfgang Pomrehn hier [13] erläutert hat.
URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6188966
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heute.at/s/star-virologe-drosten-empfiehlt-geimpften-corona-infektion-100161615
[2] https://www.rtl.de/cms/nach-doppelter-impfung-virologe-christian-drosten-wuenscht-sich-corona-infektion-4826184.html
[3] https://www.businessinsider.de/wissenschaft/natuerliche-immunitaet-schuetzt-vor-dem-coronavirus-besser-als-impfung/
[4] https://www.heise.de/forum/Telepolis/Kommentare/Covid-19-Impfung-Keine-Garantie-gegen-die-Viruslast/Geimpfte-sollen-sich-infizieren-sagt-Drosten/posting-39576125/show/
[5] https://www.ndr.de/nachrichten/info/97-Coronavirus-Update-Wir-muessen-uns-aus-der-Pandemie-rausimpfen,podcastcoronavirus334.html#Impfquote
[6] https://www.heise.de/tp/features/Umfragen-Union-trudelt-auf-unter-20-Prozent-6187131.html
[7] https://www.wahlrecht.de/umfragen/archiv/2017.htm
[8] https://www.heise.de/forum/Telepolis/Kommentare/Umfragen-Union-trudelt-auf-unter-20-Prozent/Ist-nach-dem-Sachsen-Anh-Desaster-den-Mein-forschungsinstituten-noch-zu-trauen/posting-39590694/show/
[9] https://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/sachsen-anhalt.htm
[10] https://www.wahlrecht.de/lexikon/wahlumfragen.html
[11] https://www.heise.de/tp/news/Der-Sommer-war-zu-warm-6186055.html
[12] https://www.heise.de/forum/Telepolis/Kommentare/Der-Sommer-war-zu-warm/Sind-die-Daten-ueberhaupt-vergleichbar/posting-39586244/show/
[13] https://www.heise.de/tp/news/Klima-1-1-Grad-waermer-als-zum-Beginn-des-Industriezeitalters-3946798.html
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