Forscherteam bestätigt: Religionen sind "Opium" für arme Menschen
Internationale Studie: Gottesglaube kann psychische Belastungen durch materielle Unzufriedenheit abmildern
Die Religion sei das Opium des Volkes, schrieb Karl Marx im Jahre 1844. Er meinte damals, Religionen würden notleidende Menschen nur betäuben und auf bessere Verhältnisse im Jenseits vertrösten. Gleichzeitig hinderten sie die Menschen, gegen die ungerechte Strukturen zu kämpfen, unter denen sie leiden.
In gewisser Weise bestätigte nun ein internationales Forschungsteam diese Aussage. Das Ergebnis ihrer Untersuchung: Ärmere Menschen sind immer in einem geringeren Maß zufrieden als ihre reicheren Mitbürger. Aber Gottglauben kann die psychischen Belastungen abfedern, die durch Armut verursacht werden. Er kann sie sogar wettmachen. Die Studie legt außerdem nahe, dass geringe Einkommen desto gravierende Effekte auf das Wohlbefinden haben können, je weiter die Säkularisierung fortgeschritten ist.
Die Studie wurde von Jochen Gebauer und Jana Berkessel von geleitet. Gebauer lehrt unter anderem an der Universität Mannheim. Sie untersuchten den Zusammenhang zwischen sozialer Klasse, psychischem Wohlbefinden und Religiosität. Damit füllten sie nach eigenen Angaben eine Forschungslücke.
Wohlstand reduziert Bedarf an religiösen Heilsversprechen
Seit Jahrzehnten geht die sozialwissenschaftliche Forschung nämlich davon aus, dass sich niedrige Einkommen negativ auf das psychische Wohlbefinden auswirken. Allerdings nahm man an, dieser Effekt werde schwächer, wenn sich Länder wirtschaftlich weiterentwickeln. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Gründe dafür waren bisher aber unklar. Für das Forscherteam war deshalb von Interesse, welchen Rolle die Religiosität dabei spielt. Denn in wirtschaftsstarken Ländern sind die Menschen im Durchschnitt weniger religiös als in ärmeren Ländern.
Deutschland ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Religiosität mit zunehmendem Wohlstand nachlässt. Am Donnerstag wurde das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov vorgestellt, die im Auftrag der Stiftung Friedensdialog der Weltreligionen und Zivilgesellschaft durchgeführt wurde. Demnach ist nur noch einem Drittel der Deutschen Religionen "wichtig" oder gar "sehr wichtig". 61 Prozent gaben an, für sie seien Religionen "nicht" oder sogar "überhaupt nicht wichtig".
Dass die Religionen armen Menschen Trost spenden und Halt geben, führen Gebauer und Berkessel auf deren Normen zurück. Zum Beispiel würden das Christentum und der Islam Reichtum kritisch sehen und würden stattdessen einem einfachen Leben eine positive Bedeutung beimessen. So verspreche der Koran, dass arme Menschen 500 Jahre vor reichen ins Paradies eingelassen werden.
Sozialstaat als "Ersatz"
Lebe eine arme Person in einem religiösen Land, so lebe sie in einem Umfeld, das ein positives Bild von Armut zeichnet. Diese Person sei besser gegen die negativen Konsequenzen der Armut geschützt als ein armer Mensch in einem Land, das kaum noch religiös ist. "Der Glaube federt die Auswirkungen von Armut ab, indem er den betroffenen Menschen Trost und Zuversicht spendet", sagt Psychologin Berkessel.
In wohlhabenden, säkularen Staaten fehle dagegen diese Wirkung durch die Religion. Deshalb brauche es anderer Institution, um ärmeren Menschen eine gewisse Lebenszufriedenheit zu sichern. Im Sozialstaat nach skandinavischem Modell erkennt Berkessel einen möglichen "Ersatz" für die abnehmende Religiosität.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.