"Gas tötet": Greenpeace gegen Konzerne, die Ukraine-Schock missbrauchen
Protestaktion gegen neues LNG-Terminal in Le Havre. Gas-Unternehmer nutzen Ukraine-Krieg schamlos aus, sagen Umweltschützer. Wie ein fossiler Notstand fabriziert wird.
Während gegen LNG-Terminals in Deutschland, insbesondere vor der Insel Rügen, weiter protestiert wird, versuchten am Montag Aktivist:innen von Greenpeace Frankreich, ein neues Flüssiggasterminal des Öl- und Gaskonzerns TotalEnergies im Hafen von Le Havre zu blockieren.
Die Aktivist:innen fuhren mit Kajaks zwischen der Hafeneinfahrt um dem Tanker, der das Terminal transportierte, hin und her. Sie schrieben zugleich die Aufschrift "Gas kills" ("Gas tötet") mit weißer Farbe auf die Schiffswand.
Hélène Bourges, Kampagnenleiterin für die Bereiche Öl, Transport und Ozeane bei Greenpeace Frankreich, schreibt in einer Pressemitteilung:
Dieses LNG-Terminal ist ein weiteres eklatantes Beispiel für die "Schock-Doktrin", bei der die Gasbetreiber ihre öffentlichen Botschaften und ihre Lobbyarbeit von der "Energiewende" auf die "Energiesicherheit" verlagert und zynisch die Gelegenheit genutzt haben, nach den durch die russische Invasion in die Ukraine ausgelösten Energieversorgungsproblemen die Regierungen zu massiven, unnötigen Investitionen in den Ausbau von fossilen Gasimporten und Infrastrukturen zu verleiten.
Das schwimmende LNG-Terminal mit einer Länge von 280 Metern erreichte schließlich den Hafen. Es sollte eigentlich bereits am 15. September in Betrieb genommen werden, um die "Energiesicherheit Frankreichs" während des durch den russischen Einmarsch in die Ukraine ausgelösten Krieges zu gewährleisten, so die französische Regierung.
Greenpeace stellt jedoch infrage, dass der Ausbau von LNG notwendig ist, um den Energiebedarf Frankreichs und des übrigen Europas nach der russischen Invasion zu decken. Das gelte auch für den Fall eines kalten Winters, anders, als das französische Energiewende-Ministerium behauptet.
In einem Bericht, der im Juni veröffentlicht wurde, weist Greenpeace darauf hin, dass die bestehenden LNG-Terminals Frankreichs selbst im Jahr 2022 nicht ihre maximale Kapazität genutzt hätten und in der ersten Hälfte des Jahres 2023 nicht ausgelastet gewesen seien.
Wenn Frankreich im Jahr 2022 wirklich unter einer Gasversorgungskrise litt, die derart tiefgreifend war, um das neue schwimmende Terminal in Le Havre zu rechtfertigen, ist es überraschend, dass die Kapazitäten der bestehenden Terminals, insbesondere die in Dünkirchen und Fos Tonkin, nicht ausgelastet sind,
… schreiben die Autoren des Berichts. Stattdessen argumentierten sie, dass der LNG-Anstieg das Ergebnis der Lobbyarbeit der Öl- und Gasindustrie sei.
Die einzigen Nutznießer der LNG-Gasinfrastruktur in Le Havre sind TotalEnergies, der Betreiber des schwimmenden Terminals, und seine Anteilseigner, deren private Interessen und Gewinne über den Klimaschutz und die Gesundheit der Menschen gestellt werden, ermöglicht durch die komplizenhafte Unterstützung der französischen Regierung, die eine beispiellose rechtliche Ausnahmeregelung für die Einrichtung gewährt hat,
… so Bourges in einer Erklärung.
Die Kanu- und Kajak-Fahrer:innen von Greenpeace hielten auch Transparente mit der Aufschrift hoch "Total: shale dealer" ("Total: Frackinggas-Dealer"), "Macron: shale dealer" ("Macron: Frackinggas-Dealer") und "End Fossil Crimes" ("Beendet die fossilen Verbrechen").
Die Umweltschutzorganisation kritisiert insbesondere den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Er habe im letzten Jahr versprochen, Frankreich zum ersten großen Land zu machen, das sich von den fossilen Brennstoffen im Angesicht der Klimakrise verabschiede. Die Gasterminals widersprächen dieser Ankündigung.
Außerdem handele es sich bei dem Gas größtenteils um US-amerikanisches Frackinggas, das mit sehr schmutzigen und energieintensiven Methoden aus dem Schiefergestein freigesetzt werden muss. Aufgrund der schädlichen Auswirkungen auf das globale Klima, die Gesundheit und Umwelt der lokalen Gemeinschaften hat Frankreich Fracking im eigenen Land verboten, importiere es jetzt aber aus den USA.
Der Gas-Boom seit dem Ukraine-Krieg und wachsende Proteste
Oft wird argumentiert, dass die Nutzung von Gas lediglich eine Überbrückungsmaßnahme darstelle, um die Haushalte in der Krise warmzuhalten und die Energiewende zu ermöglichen. Doch tatsächlich geht es um profitable Expansion und langfristige Abhängigkeiten.
Das lässt sich leicht an der Dimension des Gas-Booms seit dem Ukraine-Krieg ablesen. Im Rahmen des Re-Power-EU-Plans der Europäischen Union sollen zehn Milliarden Euro in die Gasinfrastruktur investiert werden. Mit dem Bau von acht Flüssiggasterminals hat man bereits begonnen, weitere 38 sind vorgeschlagen worden.
Sollte die genehmigte neue Gasinfrastruktur in den USA realisiert werden, würde das die derzeitige Exportkapazität verdoppeln, auf jährlich 439 Milliarden Kubikmeter. Viele der Gasverträge haben eine Laufzeit von zehn bis 15 Jahren. Die meisten Projekte werden erst im Jahr 2026 in Betrieb genommen – also zu spät, um die aktuelle Bedarfslücke überhaupt zu schließen.
Für den Klimaschutz würde die erfolgreiche Umsetzung bedeuten, dass im entscheidenden Jahrzehnt und weit darüber hinaus sehr viele Treibhausgase emittiert werden und damit die Begrenzung der Erderhitzung auf maximal 1,5 bis zwei Grad Celsius kaum mehr möglich ist.
Die Aktion von Greenpeace in Le Havre folgt auf einen Sommer mit tödlichen Hitzewellen, Waldbränden und Überschwemmungen weltweit, zuletzt in Libyen. Am Wochenende sind zudem global Hunderttausende Menschen für den schnellen Ausstieg aus Kohle, Gas und Öl erneut auf die Straßen gegangen.
In Deutschland waren es allein über 220.000 Teilnehmer:innen in mehr als 300 Städten. Am Sonntag protestierten in New York City 75.000 Menschen, organisiert von 700 Graswurzel-Gruppen. Sie verlangen ein Ende der fossilen Brennstoffe und fordern US-Präsident Joe Biden sowie die Staatschefs der mächtigen Länder insbesondere in Europa auf, endlich auf die Klimakrise zu reagieren.
Zu den Redner:innen auf der Großkundgebung des Marsches gehörten der demokratische New Yorker Kongressabgeordnete Jamaal Bowman, die Umweltaktivistin Susan Lavigne, die ehemalige irische Präsidentin Mary Robinson, die Schauspielerin Susan Sarandon und der Klimaforscher Peter Kalmus.
"Jedes bisschen fossiler Brennstoff, das wir verbrennen, macht den Planeten heißer", warnte Kalmus, während Bowman und Robinson die Investitionen in fossile Brennstoffe als "Subventionierung" der "Selbstzerstörung des Planeten" verurteilten. Kalmus fügte hinzu: "Dies ist eine Aufgabe von kosmischer Bedeutung. ... Wir stehen kurz davor, absolut alles zu verlieren."
"Die extremen Wetterereignisse dieses Sommers haben die Dringlichkeit einer Abkehr von fossilen Brennstoffen deutlich gemacht", erklärt Greenpeace Frankreich. Man fordert Frankreich und die anderen europäischen Staaten auf, die Projekte für fossile Brennstoffe umgehend zu stoppen. Die Nutzung von fossilem Gas sollte bis 2035, LNG sogar noch früher eingestellt werden.