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GefÀhrlicher Leichtsinn: Jede vierte Antibiotika-Therapie falsch

Wirkstoffe  bekÀmpfen Bakterien und weden abgeblockt

Studie: 25 Prozent der Antibiotika-Therapien in deutschen Kliniken sind unangemessen. Untersuchung von 8.500 Patienten in zehn KrankenhĂ€usern beunruhigt Experten.

Nicht nur der Antibiotikaeinsatz in der Massentierhaltung [1] gefĂ€hrdet die Wirksamkeit von Antibiotika in der Gesundheitsversorgung, sondern auch der ungezĂŒgelte und falsche Einsatz von Antibiotika beim Menschen.

Die VerfĂŒgbarkeit von Antibiotika nimmt weltweit ab. Eine internationale Analyse [2] aus dem Jahr 2018 ergab, dass der Mangel an Antibiotika nicht zuletzt darauf zurĂŒckzufĂŒhren ist, dass es einerseits einen mangelnden kommerziellen Anreiz sowie einen mangelhaften Markt fĂŒr Antibiotika gibt und andererseits nur unzureichende Systeme zur Prognose des kĂŒnftigen Bedarfs.

In Deutschland kommt dann noch der Preisdruck durch die immer auf ein Quartal abgeschlossenen RabattvertrÀge mit den Gesetzlichen Krankenkassen hinzu. Als Konsequenz daraus wurde auch die Forschung im Bereich der Antibiotika drastisch heruntergefahren.

Zudem ist der Àrztliche Umgang mit den Antibiotika-Verordnungen noch deutlich optimierbar. Eine im November 2024 erschienene Studie [3] des UniversitÀtsklinikums Freiburg [4] zeigte signifikante Defizite bei der Antibiotikaverordnung in nicht-universitÀren KrankenhÀusern in Deutschland.

In zehn Kliniken unterschiedlicher GrĂ¶ĂŸe, die zehn Prozent der Krankenhausbetten in Baden-WĂŒrttemberg ausmachen, wurden im Jahr 2021 im Rahmen der Studie ĂŒber 8.500 Patienten untersucht. Und dabei ergab sich als Fazit, dass Antibiotika oft falsch oder nicht gezielt genug [5] verschrieben werden.

Wirkt ein Breitband-Antibiotikum nicht so wie erhofft, wird gerne die Gabe von nicht passenden Antibiotika nach dem Motto "viel hilft viel" verlÀngert, anstatt auf der Basis eines Abstrichs von der infizierten Stelle gezielt mit spezifisch genau passenden Antibiotika vorzugehen. Offensichtlich spart man die dann anfallenden Laborkosten zulasten der Gesundheit des Patienten gerne ein.

Wo liegen die Probleme bei der Verordnung von Antibiotika?

In der Studie wird betont, dass die QualitĂ€t der Verschreibungen und Anwendungen von Krankenhaus zu Krankenhaus sehr unterschiedlich seien. Insgesamt wĂŒrde die aktuelle Lage in den untersuchten zehn KrankenhĂ€usern aber nicht nur eine erfolgreiche Behandlung gefĂ€hrden, sondern durch die Defizite beim Umgang mit Antibiotika könnten auch Resistenzen entstehen.

Mit einer zunehmenden Zahl von resistenten Keimen und der marktbedingt reduzierten Forschung nach neuen Antibiotika, wÀchst das Risiko, dass es gegen die zunehmende Zahl multiresistenter Keime [6] keine Hilfe mehr geben könnte.

Außerdem wurde in der Studie aufgezeigt, dass hĂ€ufig nicht rechtzeitig dokumentiert und ĂŒberprĂŒft werde, wie lange die Behandlung dauere und wie erfolgreich sie verlaufe. Was hier exemplarisch an einer Auswahl von KrankenhĂ€usern untersucht wurde, ist auch im Falle der niedergelassenen Ärzte nicht grundlegend besser.

Etwa ein Drittel der in der Studie untersuchten Patienten erhielt mindestens ein Antibiotikum, meist zur Therapie, in selteneren FĂ€llen zur PrĂ€vention. Es zeigte sich in den zehn KrankenhĂ€usern insgesamt eine große Streuung der VerordnungsqualitĂ€t. Auf alle Verordnungen bezogen wurde jedoch ein Viertel der Therapien als nicht adĂ€quat eingeschĂ€tzt, und bei ungefĂ€hr der HĂ€lfte der Patienten wĂ€re der Einsatz eines Antibiotikums mit schmalerem Wirkspektrum möglich gewesen.

Weitere QualitĂ€tsindikatoren wie die rechtzeitige Dokumentation der Behandlungsdauer oder die ÜberprĂŒfung der Antibiotikatherapie nach zwei bis drei Tagen wurden nur in etwa einem Drittel der FĂ€lle erfĂŒllt. Auch die Umstellung von intravenösen auf orale Antibiotika fand nur bei etwa der HĂ€lfte der Patienten statt, bei denen dies eigentlich sinnvoll gewesen wĂ€re.

Kritisch wird zudem gesehen, dass nur in 45 Prozent der FĂ€lle eine Blutkulturanalyse und bei etwa 60 Prozent der Patienten ausreichende mikrobiologische Proben vor Beginn der Antibiotikatherapie entnommen wurden, obwohl diese Untersuchungen wesentliche Erkenntnisse zur Therapiesteuerung liefern.

Neben optimierungsbedĂŒrftiger Antibiotika-Auswahl scheinen fehlende Diagnostik und mangelhafte Dokumentation die QualitĂ€t der Versorgung erheblich zu beeintrĂ€chtigen. Diese Defizite können die Wirksamkeit der Behandlung gefĂ€hrden.

Welche Verbesserungen sind dringend notwendig?

Ganz offensichtlich fehlt es fĂŒr den sicheren Umgang mit Antibiotika das notwendige Wissen bei vielen Ärzten und es fehlen spezialisierte Infektiologen. Dazu der Studienleiter Prof. Dr. Siegbert Rieg [7], Leiter der Abteilung Infektiologie [8] der Klinik fĂŒr Innere Medizin II [9] am UniversitĂ€tsklinikums Freiburg:

Unsere Ergebnisse verdeutlichen den dringenden Bedarf an nachhaltigen Antibiotikaprogrammen und FachĂ€rzt:innen fĂŒr Infektiologie, um die Versorgung der Patient:innen zu verbessern. Nur so können wir langfristig Resistenzen vorbeugen und die BehandlungsqualitĂ€t steigern.

Die Studie hebt den Bedarf an strukturierten Programmen hervor, die fĂŒr eine sachgemĂ€ĂŸe Verschreibung und Anwendung von Antibiotika sorgen. Solche Antimicrobial Stewardship-Programme [10], wie sie auch von der WHO [11] empfohlen [12] werden, könnten erheblich dazu beitragen, unnötige Antibiotikatherapien zu reduzieren und die QualitĂ€t der Behandlungen zu erhöhen.

Derzeit fehlen nach Erkenntnissen der Studie jedoch solche Programme und spezialisiertes Fachpersonal in den meisten nicht-universitÀren KrankenhÀusern.


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https://www.heise.de/-10101956

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.telepolis.de/features/Gnadenloses-Geschaeft-Wie-die-Fleischlobby-unsere-Gesundheit-verhoekert-9943406.html
[2] https://gh.bmj.com/content/6/11/e006961
[3] https://www.eurosurveillance.org/content/10.2807/1560-7917.ES.2024.29.46.2400156
[4] https://www.uniklinik-freiburg.de/de.html
[5] https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/suedbaden/antibiotika-defizite-studie-uniklinik-freiburg-100.html
[6] https://www.swr.de/wissen/immer-mehr-antibiotikaresistenzen-durch-unsachgemaessen-gebrauch-100.html
[7] https://www.uniklinik-freiburg.de/presse/pressemitteilungen/detailansicht/4369-studie-belegt-maengel-bei-antibiotikaverschreibungen-in-deutschen-krankenhaeusern.html
[8] https://www.uniklinik-freiburg.de/infektiologie/unser-team/aerztliche-mitarbeiterinnen-1.html
[9] https://www.uniklinik-freiburg.de/medizin2.html
[10] https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Antibiotikaresistenz/Antibiotic_Stewardship.html
[11] https://iris.who.int/bitstream/handle/10665/329404/9789241515481-eng.pdf
[12] https://www.who.int/europe/activities/promoting-antimicrobial-stewardship-to-tackle-antimicrobial-resistance