Gefährlicher Leichtsinn: Jede vierte Antibiotika-Therapie falsch
Studie: 25 Prozent der Antibiotika-Therapien in deutschen Kliniken sind unangemessen. Untersuchung von 8.500 Patienten in zehn Krankenhäusern beunruhigt Experten.
Nicht nur der Antibiotikaeinsatz in der Massentierhaltung gefährdet die Wirksamkeit von Antibiotika in der Gesundheitsversorgung, sondern auch der ungezügelte und falsche Einsatz von Antibiotika beim Menschen.
Die Verfügbarkeit von Antibiotika nimmt weltweit ab. Eine internationale Analyse aus dem Jahr 2018 ergab, dass der Mangel an Antibiotika nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass es einerseits einen mangelnden kommerziellen Anreiz sowie einen mangelhaften Markt für Antibiotika gibt und andererseits nur unzureichende Systeme zur Prognose des künftigen Bedarfs.
In Deutschland kommt dann noch der Preisdruck durch die immer auf ein Quartal abgeschlossenen Rabattverträge mit den Gesetzlichen Krankenkassen hinzu. Als Konsequenz daraus wurde auch die Forschung im Bereich der Antibiotika drastisch heruntergefahren.
Zudem ist der ärztliche Umgang mit den Antibiotika-Verordnungen noch deutlich optimierbar. Eine im November 2024 erschienene Studie des Universitätsklinikums Freiburg zeigte signifikante Defizite bei der Antibiotikaverordnung in nicht-universitären Krankenhäusern in Deutschland.
In zehn Kliniken unterschiedlicher Größe, die zehn Prozent der Krankenhausbetten in Baden-Württemberg ausmachen, wurden im Jahr 2021 im Rahmen der Studie über 8.500 Patienten untersucht. Und dabei ergab sich als Fazit, dass Antibiotika oft falsch oder nicht gezielt genug verschrieben werden.
Wirkt ein Breitband-Antibiotikum nicht so wie erhofft, wird gerne die Gabe von nicht passenden Antibiotika nach dem Motto "viel hilft viel" verlängert, anstatt auf der Basis eines Abstrichs von der infizierten Stelle gezielt mit spezifisch genau passenden Antibiotika vorzugehen. Offensichtlich spart man die dann anfallenden Laborkosten zulasten der Gesundheit des Patienten gerne ein.
Wo liegen die Probleme bei der Verordnung von Antibiotika?
In der Studie wird betont, dass die Qualität der Verschreibungen und Anwendungen von Krankenhaus zu Krankenhaus sehr unterschiedlich seien. Insgesamt würde die aktuelle Lage in den untersuchten zehn Krankenhäusern aber nicht nur eine erfolgreiche Behandlung gefährden, sondern durch die Defizite beim Umgang mit Antibiotika könnten auch Resistenzen entstehen.
Mit einer zunehmenden Zahl von resistenten Keimen und der marktbedingt reduzierten Forschung nach neuen Antibiotika, wächst das Risiko, dass es gegen die zunehmende Zahl multiresistenter Keime keine Hilfe mehr geben könnte.
Außerdem wurde in der Studie aufgezeigt, dass häufig nicht rechtzeitig dokumentiert und überprüft werde, wie lange die Behandlung dauere und wie erfolgreich sie verlaufe. Was hier exemplarisch an einer Auswahl von Krankenhäusern untersucht wurde, ist auch im Falle der niedergelassenen Ärzte nicht grundlegend besser.
Etwa ein Drittel der in der Studie untersuchten Patienten erhielt mindestens ein Antibiotikum, meist zur Therapie, in selteneren Fällen zur Prävention. Es zeigte sich in den zehn Krankenhäusern insgesamt eine große Streuung der Verordnungsqualität. Auf alle Verordnungen bezogen wurde jedoch ein Viertel der Therapien als nicht adäquat eingeschätzt, und bei ungefähr der Hälfte der Patienten wäre der Einsatz eines Antibiotikums mit schmalerem Wirkspektrum möglich gewesen.
Weitere Qualitätsindikatoren wie die rechtzeitige Dokumentation der Behandlungsdauer oder die Überprüfung der Antibiotikatherapie nach zwei bis drei Tagen wurden nur in etwa einem Drittel der Fälle erfüllt. Auch die Umstellung von intravenösen auf orale Antibiotika fand nur bei etwa der Hälfte der Patienten statt, bei denen dies eigentlich sinnvoll gewesen wäre.
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Kritisch wird zudem gesehen, dass nur in 45 Prozent der Fälle eine Blutkulturanalyse und bei etwa 60 Prozent der Patienten ausreichende mikrobiologische Proben vor Beginn der Antibiotikatherapie entnommen wurden, obwohl diese Untersuchungen wesentliche Erkenntnisse zur Therapiesteuerung liefern.
Neben optimierungsbed��rftiger Antibiotika-Auswahl scheinen fehlende Diagnostik und mangelhafte Dokumentation die Qualität der Versorgung erheblich zu beeinträchtigen. Diese Defizite können die Wirksamkeit der Behandlung gefährden.
Welche Verbesserungen sind dringend notwendig?
Ganz offensichtlich fehlt es für den sicheren Umgang mit Antibiotika das notwendige Wissen bei vielen Ärzten und es fehlen spezialisierte Infektiologen. Dazu der Studienleiter Prof. Dr. Siegbert Rieg, Leiter der Abteilung Infektiologie der Klinik für Innere Medizin II am Universitätsklinikums Freiburg:
Unsere Ergebnisse verdeutlichen den dringenden Bedarf an nachhaltigen Antibiotikaprogrammen und Fachärzt:innen für Infektiologie, um die Versorgung der Patient:innen zu verbessern. Nur so können wir langfristig Resistenzen vorbeugen und die Behandlungsqualität steigern.
Die Studie hebt den Bedarf an strukturierten Programmen hervor, die für eine sachgemäße Verschreibung und Anwendung von Antibiotika sorgen. Solche Antimicrobial Stewardship-Programme, wie sie auch von der WHO empfohlen werden, könnten erheblich dazu beitragen, unnötige Antibiotikatherapien zu reduzieren und die Qualität der Behandlungen zu erhöhen.
Derzeit fehlen nach Erkenntnissen der Studie jedoch solche Programme und spezialisiertes Fachpersonal in den meisten nicht-universitären Krankenhäusern.