Gefährlicher Luxus
Die Umfrageergebnisse der Linkspartei fallen kontinuierlich. Das ist auch das Ergebnis einer veränderten medialen Aufmerksamkeit und Präsentation.
Die bisherige Geschichte der Linkspartei war eine mediale Erfolgsstory: Lag die PDS bis Mitte Juni wie gewohnt zwischen 4-6 Prozent in den Umfragewerten, begann vor sieben Wochen plötzlich ein ungeahnter Höhenflug auf bis zu 12 Prozent. Möglich wurde es durch das schnell geschlossene Bündnis von PDS und WASG und die Bereitschaft von Oskar Lafontaine, als Spitzenkandidat in den Wahlkampf zu ziehen. Auch die Medien hielten sich mit negativen Schlagzeilen zurück: Sechs Wochen lang, bis in die letzte Augustwoche hinein, trübte kaum ein Wölkchen das Sommerhoch. Jetzt geht es abwärts in den Umfragewerten.
Noch am Tag des Eintritts von Oskar Lafontaine in die WASG lagen die Umfragewerte bei 5 Prozent. Sein Entschluss signalisierte, dass der Zusammenschluss von PDS und WASG gelingen wird und er weckte Hoffnungen auf ein starkes Bündnis. Plötzlich entstand durch das Bündnis ein neuer Akteur auf der politischen Bühne, der sich zudem radikal von den Reformvorstellungen der vier großen Bundestagsparteien abhob. Das Alleinstellungsmerkmal und der Impuls des Aufbruchs erzeugten eine positive mediale Berichterstattung und eine positive Aufnahme bei vielen potenziellen Wählern. So erklärt Emnid-Geschäftsführer Klaus-Peter Schöppner gegenüber Telepolis den Anfangserfolg der Linkspartei mit der Attraktivität des reibungslosen Starts: "Die Linkspartei ist schnell hochgekommen, PDS und WASG haben sich schnell vereinigt und die Vereinigung verlief fast ohne Probleme." Das erzeuge eine positiven Kontext.
"Protest wählt man, wenn es nicht darauf ankommt"
Dabei sind auch die demoskopischen Institute selbst längst zu mächtigen Akteuren im Medienspektakel des Wahlkampf geworden. Täglich werden Trends, Prognosen und repräsentative Umfrageergebnisse veröffentlicht, analysiert und interpretiert: ein großes Rauschen im Blätterwald. Und die verschiedenen interaktiven Wahlbarometer gehören zu den beliebtesten Internet-Seiten. Sie sind, wie die übrige Umfrage-Berichterstattung, vor allem dem Sportsgeist geschuldet: wer liegt vorne, wer holt auf, wer verliert?
Es ist Teil des Polit-Entertainment und folgerichtig werden die meisten demoskopischen Umfragen nicht im Auftrag von Parteien erstellt, sondern von Fernsehsendern und Printmedien veranlasst. Längst sind auch die Institute selbst ganz selbstverständlich Teil der Medienöffentlichkeit. Ihre Geschäftsführer mutieren in Wahlzeiten zu "talking heads" in Fernsehsendungen und gefragten Interviewpartnern. Sie sollen uns die Feinheiten des Wahlkampfs, die strategischen Fehler der Parteien und die Psychologie der Wählerinnen und Wähler vermitteln.
So erklärt Emnid-Chef Schöppner auf Anfrage den derzeitigen Umschwung u.a. ganz lapidar:
Protest wählt man, wenn es nicht darauf ankommt. Kurz vor den Wahlen ändert sich das noch mal. Es gibt jetzt einen Austausch zur SPD hin, die es schafft, stärker die Funktion des sozialen Gewissens zu übernehmen.
Trotz der Schlichtheit mancher Analyse sind Demoskopen weiterhin vielbeachtete Experten. Dabei gibt es grundsätzliche Kritik an ihrem Handwerk, wie sie seit den 80er Jahren der Wuppertaler Mathematik-Professor Fritz Ulmer formuliert. Er sieht bei der Datenerhebung u.a. erhebliche formale Probleme und eine zu hohe Fehlertoleranz. Für ihn steht fest, dass demoskopische Ergebnisse keinesfalls belastbaren Aussagen sind.
Verlierer-Schlagzeilen
Vielmehr eignet sich das vielseitig deutbare Zahlenmaterial u.a. als idealer Aufhänger für Wahlkampagnen, die die Medien selbst starten. Am offensivsten ist wie so oft die Bildzeitung. Pünktlich zum Parteitag der Linkspartei am vergangenen Samstag wurde nicht nur "Luxus-Lafontaine" aus der Taufe gehoben. Es wurden auch die vereinigten demoskopischen Kräfte gebündelt: Die Spitzen der vier führenden Institute gaben in der "Bild am Sonntag" ihre Prognosen zum voraussichtlichen Abschneiden der Linkspartei bei der Wahl am 18. September ab. Übereinstimmend kamen sie zum Ergebnis, dass es unter Umständen nur zu sieben Prozent reicht. Spiegel Online und andere Medien nahmen den Ball auf und es entstanden Schlagzeilen für einen Verlierer: "Linkspartei sinkt weiter in Wählergunst" (Spiegel), "Umfragen: Linkspartei fällt zurück" (Handelsblatt). Eine kühne Behauptung, angesichts eines anderen Umfragewertes, den das Forsa-Institut auch bereit hält: fast die Hälfte der Wahlberechtigten weiß derzeit noch nicht, welche Partei die Stimme bekommt. Und auch die Forschungsgruppe Wahlen sieht noch ein Drittel der Wähler unentschlossen.
"Last-Minute-Swing"
Es ist mittlerweile eine Binsenweisheit, dass die Wähler längst nicht mehr in dem Maße einer Partei verpflichtet sind, wie bis zu Beginn der 90er Jahre. Die Bindung ist schwach und so prägen zunehmend kurze Reizreaktionen die Meinungsbildung und das Wahlverhalten. Diese schwächeren Bindungen an die bisherigen Parteien ermöglicht einerseits erst einen potenziellen Erfolg der Linkspartei. Andererseits erhöht das fragile System das Gewicht jedes Skandals und stärkt die Möglichkeiten der medialen Einflussnahme auf den Wahlkampf. So sieht auch Manfred Güllner vom Forsa-Institut den "Last-Minute-Swing" einer großen Zahl unentschlossener Wähler als zunehmend wichtigeres Wahlkampfphänomen.
Linkspartei Pressesprecher Hendrik Thalheim sieht die Fahrt auf der Achterbahn derzeit gelassen: "Wir sind Realisten. Es ist klar, dass ein neuer politischer Faktor erst mal sehr große Aufmerksamkeit auf sich zieht." Die Schwankungen in den Umfragewerten erklärt er damit, dass die Befragten vor Wochen eher vage Wahlabsichten abgegeben hätten, während es jetzt immer konkreter um das tatsächliche Wahlverhalten gehe. So hatte Wahlkampfleiter Bodo Ramelow von Anfang an die Parole "Acht Prozent plus X" ausgegeben. Und auch Thalheim beteuert: "Unser Ziel ist es, in den Bundestag zu kommen. Wenn wir mit acht Prozent ins Ziel kommen, dann ist das ein Erfolg, den es in dieser Form bislang nicht gegeben hat."
Wenn es bei acht Prozent bleibt. Denn wer wählt schon Demoskopie-Verlierer? Damit es bei seiner Partei auf den letzten Metern wenigstens nicht mehr zu PR-Desastern kommt, wurde jetzt für die Mitglieder, die öffentlich Auskunft geben, eine Beratungs-Hotline eingerichtet. Ein Maulkorb, der Querschüssen aus der eigenen Partei, wie etwa die Äußerungen von André Brie gegen "Luxus-Lafontaine", stoppen soll. Doch der Glanz des Neuen ist vorüber, die Mühen der Ebene beginnen. Und Schlagzeilen schreiben sich schnell.