Gefährlicher Rekord: USA liefern Waffen im Wert von 40 Milliarden Dollar an Ukraine
Luftwaffenstützpunkt Dover: Munition, Waffen und andere Ausrüstungsgegenstände, die für die Ukraine bestimmt sind, werden auf Paletten geladen. Bild: Mauricio Campino / Public Domain
Die Ukraine ist auf dem Weg, zum größten Empfänger militärischer Hilfe der USA in diesem Jahrhundert zu werden. Die Unterstützung mit Waffen ist auf Jahre ausgerichtet. Kritiker warnen vor den Risiken.
Seit Beginn des Ukraine-Kriegs hat die US-Regierung mehr Geld und Waffen in die Unterstützung des ukrainischen Militärs gepumpt als im Jahr 2020 an Afghanistan, Israel und Ägypten zusammen, berichtet das investigative US-Medium The Intercept. Damit hat die Ukraine in wenigen Monaten mehr Militärhilfe erhalten als die Gruppe der größten Empfänger von US-Unterstützung. Es unterstreicht, welche geostrategische Bedeutung die Ukraine für die US-Administration erhalten hat.
Es ist dabei nicht leicht, den Überblick über die Geldflüsse zu behalten. Denn bei manchen Summen handelt es sich um Versprechen, bei anderen um bereits getätigte Zahlungen. Zudem ist es schwierig, zwischen militärischer und nicht-militärischer Hilfe präzise zu unterscheiden. Dazu kommt, dass sich die Hilfen aus unterschiedlichen Quellen speisen, die dann zusammengerechnet werden müssen.
So verkündete der US-Außenminister Antony Blinken letzte Woche bei einem Überraschungsbesuch in Kiew ein Waffen-Paket in Höhe von knapp 700 Millionen Dollar und 2,2 Milliarden an langfristigen Investments zur Stützung der Sicherheit der Ukraine. Ein paar Wochen zuvor gab US-Präsident Joe Biden ein drei Milliarden Paket bekannt. Und in diesem Monat legte Biden dem US-Kongress zudem einen Antrag zur Genehmigung vor, mit dem rund 14 Milliarden Dollar an Ausrüstung an die Ukraine fließen sollen.
Analysten in den USA gehen nach Angaben von The Intercept aber davon aus, dass die Gesamtsumme der US-Hilfen an die Ukraine deutlich höher liegt als die Summe, die sich aus den öffentlichen Verlautbarungen ergibt. Auf bis zu 40 Milliarden Dollar sollen sich die Verpflichtungen der Vereinigten Staaten danach belaufen. Das bedeutet auf das letzte Jahr umgerechnet täglich 110 Millionen Dollar an militärischer Hilfe. Der Umfang und die Steigerungsrate der Ukraine-Unterstützung hat damit ein historisches, bisher nicht gekanntes Niveau erreicht.
Militärexperten gehen davon aus, dass sich die Ukraine – seit 2014 an sich schon der größte Empfänger an US-Sicherheitsleistungen in Europa –, auf dem Weg befindet, der größte Empfänger an US-Militärhilfen in diesem Jahrhundert zu werden. Die USA hätten zwar immer die militärischen Fähigkeiten ihrer Verbündeten in der Vergangenheit mit großen Summen ausgebaut, von Vietnam bis Afghanistan. Allein für Afghanistan stellte die US-Administration 73 Milliarden bereit. Israel hat seit dem Zweiten Weltkrieg insgesamt 146 Milliarden an Ausrüstung und Unterstützung erhalten und ist zusammengerechnet der größte Empfängerstaat von US-Hilfen.
Doch die Geschwindigkeit, mit dem die Ukraine militärisch ausgestattet werde, sei beispiellos, so William Hartung, leitender Forscher am Quincy Institute.
Das ist bei weitem mehr als der Höchstbetrag, der bisher an Afghanistan gezahlt wurde, und ein Vielfaches der Hilfe für Israel. Und es ist auch sonst einzigartig, dass die Regierung ein Land bewaffnet, in dem sich zwei Nationalstaaten im Krieg befinden.
Keine diplomatische Perspektive, keine effektive Waffenkontrolle
Hinzu kommt, dass die Lieferungen an die Ukraine nun nicht mehr aus Beständen, sondern aus Neuproduktionen stammen. Es wurden Verträge mit Rüstungsunternehmen abgeschlossen, die über die nächsten Jahre Waffen und Ausrüstung an die Ukraine bereitstellen sollen, die Regierungsbeamten zufolge "deren dauerhafte militärische Stärke aufbauen werden, um die Freiheit und Unabhängigkeit des ukrainischen Volkes weiterhin zu gewährleisten".
Stephen Semler, Mitbegründer des Security Policy Reform Institute, einer Denkfabrik für US-Außenpolitik, warnt davor, dass die US-Regierung seine bisherige Linie verlassen habe und nun unter anderem auch Raketen mit großer Reichweite zur Verfügung stelle, die Russland erreichen können, was das Risiko einer weiteren Eskalation und nuklearen Auseinandersetzung erhöhe. Gegenüber The Intercept sagte Semler weiter:
Die USA bereiten sich auf einen langen Krieg, ... tatsächlich auf einen endlosen Krieg in der Ukraine vor. Sie sagen: "Wir verfolgen diesen langfristigen Ansatz nur, weil Putin darauf besteht". Und das könnte richtig sein – aber gleichzeitig bringen die USA nicht viel Vertrauen in ihre diplomatischen Fähigkeiten zum Ausdruck, den Konflikt zu beenden. Sie versuchen stattdessen, Putin mürbe zu machen.
Angesichts der offensichtlich auf Jahre angelegten militärischen Unterstützung wächst gleichzeitig die Kritik in den USA, dass über Alternativen und Diplomatie nicht öffentlich diskutiert werde. Es fehle, so Hartung vom Quincy Institute, die langfristige Perspektive und Strategie.
Kritisiert wird darüber hinaus, dass es keine bzw. keine ausreichende Nachverfolgung und Transparenz bei den Militärlieferungen gäbe. Kongressabgeordnete und Senatoren verlangen mehr Kontrolle. Denn in der Vergangenheit sind immer wieder US-Waffen, die an Verbündete in Kriegsgebieten geliefert wurden, später in falsche Hände geraten und haben Menschenrechtsverbrechen ermöglicht. Stephen Semler vom Security Policy Reform Institute betont:
Wenn die USA Waffen in die Ukraine senden, dann sollte das darauf ausgerichtet sein, den Konflikt so schnell wie möglich zu beenden und weiteres Blutvergießen zu verhindern. ... Das diplomatische Engagement muss mit aller Entschlossenheit verfolgt werden. Aber die Biden-Regierung signalisiert nicht, dass sie an Diplomatie interessiert ist.
Diese Einschätzung gilt nicht nur für die USA. Auch in Europa ist der Fokus weiter auf einen militärischen Sieg der Ukraine ausgerichtet, um Russland an den Verhandlungstisch zu bringen. Daran ändert auch das Telefonat von Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Dienstag nichts.