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Gelbwesten: Nähe und Distanz zu Positionen von Le Pen

Archivbild vom 29. Dezember 2018: Versammlung vor dem Ratshaus in Belfort. Foto: Thomas Bresson / CC BY 4.0

Können die Rechtsnationalisten von der Protestbewegung profitieren? Le Pen sieht viele Gemeinsamkeiten

Mit den Gelbwesten in Frankreich werden vor allem zwei Parteien in Zusammenhang gebracht: Mélenchons La France insoumise (LFI) vom linken Rand und Le Pens Rassemblement national vom rechten.

Vertreter der linken Partei hätten sie unermüdlich und hartnäckig verfolgt, um sie auf ihre Seite zu ziehen, berichtete [1] kürzlich Priscillia Ludosky, die zu den ersten Initiatoren der Bewegung gehört (auch wenn sie bei der Abfassung ihrer Onlinepetition gegen höhere Treibstoffpreise sicher nicht damit gerechnet hatte, dass sie damit zum Entstehen einer derartige Protestbewegung beitragen würde).

Dies entfaltete eine politische Dynamik, die niemand auf der Rechnung hatte. Am allerwenigsten der Präsident. Macron kam ins Straucheln. Für die Opposition bot das Gelegenheiten, allerdings nicht für jede Partei.

So posierte der Chef der französischen Republikaner, Laurent Wauquiez, zu Anfang der Proteste vergeblich in der gelben Weste. Das gab keine Pluspunkte in Umfragen für die traditionelle Rechte, wie die konservativen Les Républicains [2] in den französischen Leitmedien genannt werden.

Ob sich das Engagement der rechten Kleinpartei Debout la France [3] für die Gilets jaunes auszahlt, zeigt sich in Dimensionen, die nur Spezialisten interessieren.

Sind die Gelbwesten politisch o.k.?

Bei den Sprengseln der in der Krise kreisenden Sozialdemokraten ist der Einfluss, den die Gelbwesten haben, vor allem im Konflikt darüber zu sehen, ob die Protestbewegung überhaupt politisch o.k. ist. Man muss sich nur ein paar Artikel in der Libération oder Im L'Obs durchlesen, um zu sehen, wie die Nasen im Lager links von der Mitte über die "kleinbürgerlichen Gelbwesten" (Stichwort "Poujadisten") gerümpft werden.

Die Reaktionen aus der gutsituierten bürgerlichen Mitte haben auch damit zu tun, dass es Anknüpfungspunkte der Gelbwesten mit den beiden radikaleren Oppositionsparteien gibt.

Hier nun sieht die Regierung ihre Chance. Rückt man die Gelbwesten in die Ecke, wo es nach Hassausdünstungen riecht, nach Antisemitismus, nach alten Stiefeln, wo Gewalt sich an teuer verdientem oder auch vererbtem Eigentum zu schaffen machen, dann ist die Bewegung über kurz oder lang erledigt.

"Ultranationalistische Gelbwesten-Antisemiten?"

In Deutschland hat kürzlich der Schriftsteller Maxim Biller Bewertungsmaßstäbe aufgestellt. In seiner Abrechnung mit den gegenwärtigen politischen Milieus, die haltungslos mit der Neuen Rechten anbandeln - "Sind Sie auch ein Linksrechtsdeutscher" [4] - fällt ihm zu den Gelbwesten in Frankreich folgende Frage ein: "Sympathisieren sie wie jeder anständige 'Kulturzeit'-Kader mit den ultranationalistischen Gelbwesten-Antisemiten?"

Biller hat einen gut abgefederten Humor, der viele Drehungen macht und viele Theaterböden hat, da wird dann mittendrin auch mal gerne gekloppt und abrupt setzt es eine Gerade, "um auf den Zahn zu fühlen", wie hier. Ultranationalistische Gelbwesten-Antisemiten? Auch das ist eine politische Vereinnahmung.

Es gibt nachweislich die Dieudonné-Antisemiten, die schon mehrmals mit ihren dumpfen Gesängen und ihrer Obszönität aufgefallen sind, und es gab einen Islamisten unter den Demonstranten, der kürzlich den Philosophen Finkielkraut auf besonders blöd-fanatische Weise anbrüllte. Aber macht dies kenntlich, was sonst verborgen wird?

Dass es einen versteckten Antisemitismus, der die Proteste prägt, gebe könnte, wurde erst vor wenigen Wochen zum Thema und die angeschlagene Regierung in Paris nutzte die politische Gelegenheit, die sich imagemäßig daraus ergab (Antisemitismus: Gelbwesten unter Beweisdruck [5]).

In der kürzlich hier veröffentlichten Reportage über Gilets jaunes-Proteste in Paris Anfang Dezember und Anfang Februar (Was ist los mit den Gelbwesten? [6]) fallen dem Autor, der nicht für die Kulturzeit arbeitet, keine antisemitischen Äußerungen auf.

Auch "ultranationalistische" Signale fielen ihm nicht auf. Außer man versteht Gallier-, Asterix und Obelix-Referenzen als solche.

Zunächst bin ich ebenfalls wieder Galliern begegnet, aber auch der Marianne als nationaler Ikone. Dazu eine Anmerkung: Der Narrativ des kleinen, von unbeugsamen Galliern bevölkerten Dorfs gegen den König von Versailles ist unmittelbar ansprechend, erweckt bei Außenstehenden durchaus Sympathien für die Gelbwesten - und ist nirgendwo in den "Konzernmedien" präsent.

Christian Schmeiser [7]

Die Reportage ist allerdings auch nur ein subjektiver Eindruck. Eine Umfrage, die von Le Monde in Auftrag gegeben und über die gestern auch in anderen Medien berichtet wurde, ging der Frage nach, inwieweit es Nähen zwischen der Rechtsaußenpartei von Marine Le Pen und Teilnehmern der Gelbwesten-Proteste sowie ihrer Unterstützer gibt.

Als Quintessenz wird von Le Monde [8] wie von France Soir [9] mit leichten Unterschieden in der Gewichtung und im Ton festgestellt, dass es einen ziemlichen Abstand in den Positionen zwischen den Gilets jaunes und des Rassemblement national gibt.

Weniger gegen Einwanderung, aber fast genauso gegen die EU

Bei Le Monde wird anders als beim kürzeren Text von France Soir stärker hervorgehoben, dass es auch Nähen und Sympathien zu Le Pen gibt. Sehr deutlich ist das daran zu sehen, dass 39 Prozent derjenigen Befragten, die an einer Gelbwesten-Demonstration teilgenommen haben, Marine Le Pen als Kandidatin für die Präsidentschaftswahl 2022 sehen würde.

Dem wird ein 30 Prozent-Anteil der Franzosen entgegengehalten, die im Durchschnitt dafür sind, die nicht über ihre Teilnahme oder Unterstützung der Gelbwesten-Proteste definiert sind. Von den Sympathisanten der Gelbwesten sind es gar 44 Prozent die für eine Kandidatur von Marine Le Pen bei der nächsten Präsidentschaftswahl sind.

30 Prozent derjenigen, die sich als Gilets jaunes bezeichnen, glauben, dass die Rechtsnationalistin eine gute Präsidenten abgeben würde. Von den Anhängern der Gelbwesten gaben dies 28 Prozent an. Der Durchschnittswert der Franzosen liegt hier bei 19 Prozent. Hier liegen die Werte der befragten Gilets jaunes und ihrer Sympathisanten also weit darüber.

An der Befragung nahmen repräsentativ ausgewählte 1.000 Personen teil, also so viel wie beim ARD-Deutschlandtrend. Die Befragung fand zwischen dem 21. und 25. Februar statt. Von Le Monde wird sie als eine Art Barometer bezeichnet. Dieses zeigt wie gesehen unter den Gelbwesten und ihrer Unterstützer einen deutlich höheren Sympathiewert für Le Pen an als bei der übrigen Bevölkerung, aber es zeigt auch deutliche Abweichungen in einigen Punkten, die rechte Positionen markieren.

Einwanderung und Islam

Zum Beispiel bei der Frage danach, ob es zu viele Einwanderer in Frankreich gibt. Die Hälfte der "aktiven Gelbwesten" und 54 Prozent ihrer Sympathisanten waren dieser Auffassung. Im Durchschnitt sind es 44 Prozent der befragten Franzosen, die dieser Meinung zustimmten. Der Abstand zu Anhängern der Partei Le Pens ist aber recht deutlich. Dort sind 89 Prozent der Meinung, dass es zu viele Immigrés in Frankreich gibt.

Der Behauptung "Man fühlt sich nicht mehr wirklich zuhause in Frankreich" stimmen 79 Prozent der Unterstützer der Le Pen-Partei Rassemblement national (RN) zu und 72 Prozent der Wähler Le Pens. Von den befragten Gelbwesten sind es 40 Prozent. Unter ihren Anhängern sind es 46 Prozent. Der Durchschnitt liegt bei 35 Prozent.

81 Prozent der Unterstützer des Rassemblement national sind der Meinung, dass dem Islam und de Muslimen in Frankreich zu viele Rechte eingeräumt werden. Bei den aktiven Gelbwesten sind es 43 Prozent und bei ihren Unterstützern 51 Prozent. Der Durchschnitt wird hier mit 45 Prozent angegeben.

Polizei und Justiz

Nach den Erfahrungen, die die Teilnehmer von Gelbwesten-Demonstrationen mit der Polizei gemacht haben, ist es wenig erstaunlich, dass dort keine große Sympathie für eine Stärkung der Polizei; auch für die Stärkung der Justiz gibt es wenig Unterstützung.

Lediglich 31 Prozent der aktiven Gelbwesten unterstützen die Ansicht, dass die Polizei mehr Befugnisse haben sollte. Bei den Sympathisanten, die Tränengas nicht selbst erlebt haben, sind es 49 Prozent, das entspricht ungefähr dem Durchschnitt (45 Prozent), hat aber einen großen Abstand zu den Wählern von Le Pen, die mit 63 Prozent dafür sind, dass die Polizei "mehr Macht hat".

Ähnliche Abstände gibt es auch bei Fragen nach einer strengeren Justiz (60 Prozent der Gilets jaunes wären dafür, 64 Prozent im Durchschnitt und 86 Prozent der Unterstützer des RN).

EU und Euro

Eine größere Nähe zwischen Le Pen-Wählern und der Gelbwesten-Anhänger gibt es in Sachen Europäische Gemeinschaft:

Die Gelbwesten sind anscheinend noch deutlicher gegen die EU eingestellt als gegen die Einwanderung. 50 Prozent derjenigen, die an der Bewegung teilgenommen haben, stimmen der Aussage zu, dass der Aufbau Europas eine Bedrohung der Identität Frankreichs ist. Das sind 20 Prozentpunkte mehr als der Durchschnitt der befragten (31 Prozent). Bei den Unterstützern des RN waren es 70 Prozent. 40 Prozent, mehr als 17 Prozentpunkte über dem Durchschnittswert (23%), sprachen sich gegen den Euro aus und für die Rückkehr des Francs. Bei den Sympathisanten des RN waren es 56 Prozent.

Le Monde [10]

Die kritische Haltung gegenüber dem Euro, die nicht mit rechtsnationalistisch gleichzusetzen ist [11], könnte man auf die wirtschaftliche Situation derjenigen zurückführen, die sich zu den Gelbwesten-Proteste an den Kreiselverkehren gestellt haben und später dann in den großen Städten auf die Straße gingen. "Das Geld reicht nicht bis zum Monatsende", hieß es am Anfang.

Man stellte die eigene Verlierersituation den Gewinnern der Wirtschaftspolitik der letzten Jahre gegenüber, die von Macron repräsentiert werden, von einer Elite, die von der EU-Politik, gekennzeichnet durch Lobby- und Konzerninteressen, in der bisherigen Form profitieren. Es geht aus dieser Perspektive mehr um Verteilungskämpfe als um Identitätspolitik, wo Ultranationalismus und Antisemitismus hübsche Plätzchen zum Gedeihen finden.

Pro Marine Le Pen?

Indessen ist Marine Le Pen ganz deutlich bemüht, ihre Nähe zu den Gelbwesten zu betonen. Von ihren 144 Vorschlägen, die sie zur letzten Präsidentschaftswahl vorgelegt habe, würden viele mit denen übereinstimmen, die als Forderungen von den Gilets jaunes erhoben werden, sagte sie in einem Interview [12].

Im Fazit von Le Monde heißt es dagegen, dass die "Pro-Marine Le Pen" nicht die Mehrheit bei den Gelbwesten stellen. Lediglich 36 Prozent der aktiven Gilets jaunes und 37 Prozent ihrer Sympathisanten würden die Ideen des RN gut finden.

Das sind 10 Prozent mehr als der Durchschnitt.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4334954

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.huffingtonpost.fr/2019/02/26/priscillia-ludosky-se-dit-fatiguee-par-les-approches-de-la-france-insoumise_a_23678263/
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Les_R%C3%A9publicains
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Debout_la_France
[4] https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article188904661/Maxim-Biller-Sind-Sie-auch-ein-Linksrechtsdeutscher.html
[5] https://www.heise.de/tp/features/Antisemitismus-Gelbwesten-unter-Beweisdruck-4313451.html
[6] https://www.heise.de/tp/features/Was-ist-los-mit-den-Gelbwesten-4330155.html
[7] https://www.heise.de/tp/features/Was-ist-los-mit-den-Gelbwesten-4330155.html
[8] https://www.lemonde.fr/politique/article/2019/03/12/marine-le-pen-ne-realise-pas-l-opa-esperee-sur-le-mouvement-des-gilets-jaunes_5434643_823448.html
[9] http://www.francesoir.fr/politique-france/le-rn-et-marine-le-pen-pas-si-representatifs-des-gilets-jaunes-sondage
[10] https://www.lemonde.fr/politique/article/2019/03/12/marine-le-pen-ne-realise-pas-l-opa-esperee-sur-le-mouvement-des-gilets-jaunes_5434643_823448.html
[11] https://makroskop.eu/2019/03/wie-haltet-ihr-es-denn-mit-dem-euro-die-gruenen/
[12] https://twitter.com/MLP_officiel/status/1105396553538330625