Gentechnik, Insekten und ein vermeintliches Patentrezept gegen Mangelernährung
Seite 2: False Miracle gegen Blindheit?
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Golden Rice sei kein Mittel gegen Blindheit, sondern eines der Blindheit, soll Vandana Shiva gesagt haben. Er sei eine "Krankheit, die durch nährstofflose Monokulturen hervorgerufen und als Heilmittel für Nährstoffmangel angeboten wird".
Noch sei gar nicht bekannt, ob das Beta-Carotin im Goldenen Reis im Körper stark unterernährter Kinder überhaupt in Vitamin A umgewandelt werden kann, gibt Glenn Stone zu Bedenken. Er und sein Kollege Dominic Glover untersuchen seit 2013 den Reisanbau und die Forschung auf den Philippinen.
Unklar sei, welche Auswirkungen die gentechnisch veränderte Reissorte auf die Gesundheit der Kinder haben wird. In einer älteren Studie, an der auch Vandana Shiva beteiligt war, wird in diesem Zusammenhang das Golden-Rice-Projekt als Experiment mit Menschen angeprangert.
Kaum erforscht ist zudem, wie gut sich das Beta-Carotin im Golden Rice hält, wenn dieser über lange Zeiträume gelagert oder nach traditionellen Methoden gekocht wird. In einer 2016 veröffentlichten Analyse untersuchte der Wissenschaftler drei unterschiedliche "Reiswelten" auf den Philippinen: den Reis der "Grünen Revolution", der in den 1960er-Jahren am IRRI entwickelt wurde, den Goldenen Reis, der am IRRI gezüchtet wird sowie ein Programm zur Förderung und zum Export traditioneller Landsorten.
In seiner Analyse verglich der Autor, inwieweit der lokale agrarökologische Kontext bei der Entwicklung der jeweiligen Kulturpflanze berücksichtigt wurde. Die "Grüne Revolution" verbreitete demnach "generisches, entbettetes High-Input-Saatgut" und ersetzte damit lokal angepasste Landsorten sowie die damit verbundenen bäuerlichen Praktiken.
Hinzu kommt ein gesundes Misstrauen in die Gratis-Strategie: Zwar soll der Gen-Reis der Bevölkerung ärmerer Regionen kostenlos und ohne Lizenzverträge zur Verfügung stehen. Allerdings wird das Projekt von Saatgut-Konzernen wie Syngenta oder Bayer CropScience gefördert. In den 1960er- und 1970er-Jahren wurde die "Grüne Revolution" in vielen Ländern Asiens mit genau diesen Maßnahmen eingeleitet: Saatgut, Spritz- und Düngemittel waren gratis.
Später mussten die Bäuerinnen und Bauern die Betriebsmittel teuer von den Konzernen erwerben, wobei sie sich massiv verschuldeten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie lange das Saatgut tatsächlich kostenlos ist. Auf lange Sicht könnten auf diesem Weg neue Abhängigkeiten von Saatgut-Konzernen entstehen.
Gen-Reis könnte sich in andere Sorten einkreuzen
Zwischen den Reisfeldern käme es nur selten zu einer direkten Genübertragung, versichern Gentechniker des IRRI. Andererseits zeigen vergleichbare Erfahrungen ein hohes Risiko für die Kontamination benachbarter konventioneller Reisfelder, gibt Christof Then von Testbiotech zu Bedenken. So wächst an den Ackerrändern häufig wilder Reis, der als Zwischenglied den Genaustausch zwischen den Feldern befördert. Auf diese Weise wurde in den USA und China mehreren Fällen konventionell gezüchteter Reis über Jahre hinweg mit Gent-Reis von Versuchsfeldern kontaminiert.
Einmal auf die Felder ausgebracht, könnte sich der Gen-Reis leicht durch Kreuzen oder Mischen der Körner für die nächste Saat mit den traditionellen Sorten hybridisieren. So könnten unerwünschte Eigenschaften übertragen werden, wie zum Beispiel eine erhöhte Anfälligkeit für Schädlinge oder Krankheiten.
In Asien gibt es mehr als Hunderttausend traditionelle Reissorten, die über Jahrtausende in kleinbäuerlicher Landwirtschaft herangezüchtet wurden und noch heute angebaut werden. Viele davon sind vitaminreich und widerstandsfähig im Anbau. Regional angepasste Sorten und deren spezifische Eigenschaften könnten verloren gehen.
Niemand kann genau abschätzen, wie sich die Inhaltsstoffe der Pflanzen verändern. Der Gen-Reis werde traditionelle Reissorten und wilden Reis verunreinigen, befürchtet auch Greenpeace. Zudem verleitet der Anbau einer Monokultur zu einer einseitigen Ernährungsweise.
Nach Angaben von goldenrice.org sollen Kinder unter sieben Jahren rund 300 Gramm Goldenen Reis essen, um ihren Tagesbedarf an Vitamin A zu decken. Bei indigenen Völkern enthalte der Speiseplan eines Kindes normalerweise weniger als 150 Gramm Reis neben einer Reihe anderer nahrhafter Lebensmittel, erklärt Shiva.
Demnach sei Golden Rice in Bezug auf die Versorgung mit Vitamin A deutlich weniger effizient als einheimische Gemüse und Früchte. So ist Vitamin A auch in Spinat oder Cholai-Blättern oder Radieschenblättern, Senf- oder Bathua-Blättern, Koriander-Chutney, Minz-Chutney, Karotten und Mangos enthalten. Diese preiswerten einheimischen Alternativen liefern nicht nebenbei auch andere wichtige Nährstoffe.
Auf Philippinen ist bereits gelungen, Vitamin A durch gentechnikfreie Methoden zu liefern. Auch Vitaminpräparate können eine Übergangslösung sein. Grundsätzlich sorgt nur eine Vielzahl verschiedener Lebensmittel für ausreichend Mikronährstoffe und eine gesunde, ausgewogene Ernährung. Um das Problem von Mangel- und Unterernährung ernsthaft zu lösen, seien politischer Wille und finanzielle Mittel nötig.
Schmeckt Golden Rice auch den Insekten?
Die Gen-Pflanze könne die traditionelle Landwirtschaft und lokale Reissorten verdrängen, befürchten Kleinbauern und GVO-Gegner. Dieser Verlust wäre spätestens dann relevant, wenn neue Krankheiten oder Schädlinge den Reis befallen und es infolgedessen zu Ernteausfällen käme. So könnten von dem erhöhten Gehalt an Carotin auch Fraßinsekten profitieren, die sich von den Pflanzen ernähren, erklärt Gentechnik-Experte Christof Then.
Carotine sind bei Insekten an vielen Stoffwechselvorgängen beteiligt. In mehreren aktuellen Studien wurde die Überlebensfähigkeit von Fraßinsekten getestet, wenn diese Carotine (bzw. Vitamin A) verabreicht bekamen und gleichzeitig einem Insektengift (Bt = Bazillus thuringiensis) ausgesetzt waren. Je nach Art, Alter und Futter zeigten die Insekten eine erhöhte Widerstandskraft gegen das Bt-Toxin.
Wie eine Studie von 2018 zeigt, waren Versuche mit gentechnisch verändertem Bt-Mais gegen Maiszünsler-Raupen deutlich weniger wirksam, wenn diese zusätzlich Carotine aufnahmen. Die Effekte hängen vor allem vom Alter der Raupe ab. Es bestehe die Gefahr, dass der Anbau von mit Carotinen angereicherten Gen-Pflanzen die Ausbreitung von Schadinsekten fördern könnte, heißt es.
In einer weiteren Studie wirkte sich die Verabreichung von Vitamin A und Vitamin C positiv auf die Vitalität anderer Fraßinsekten wie Eulenfalter und Baumwollkapselwurm aus, die unter bestimmten Bedingungen von der Aufnahme der Carotine profitierten. Dem zufolge könnten die Insekten von einer antioxidativen Wirkung der Carotine profitieren und so ihre Stressresistenz und Vitalität erhöhen.
Die Carotine scheinen auch die Bildung der Wachstumshormone bei Insekten zu beeinflussen. Die beobachteten Effekte müssen noch genauer untersucht werden, erklären Wissenschaftler.