German Angst vs. Verteidigungsfähigkeit: Der teure Weg zur Militärmacht

Marco Bülow
Kapelle der Bundeswehr mit Trommeln

Wird hier mehr Geld getrommelt? Bild: Heide Pinkall/ Shutterstock.com

Deutschland will zu den Top-5-Militärmächten aufsteigen. Doch warum investieren wir Milliarden, wenn eine Studie zeigt, dass die Bundeswehr längst stark ist?

Die Hauptbegründung für viel mehr Geld ist - neben der Behauptung des "Kaputtsparens" (Verweis auf den ersten Teil: Rüstung um jeden Preis) - die Verteidigungsfähigkeit, oder wie es neuerdings heißt: Kriegsfähigkeit.

Das ist ein absoluter Kurswechsel und zeigt, dass es nicht nur um Verteidigung geht. Wie die Bundeswehr wirklich ausgerüstet ist und wie verteidigungsfähig wir sind, steht auf einem anderen Blatt. Eine Studie aus dem Jahr 2023 kommt zu einem gegenteiligen Ergebnis als das, was in der Öffentlichkeit suggeriert wird.

Sie kam zu dem Ergebnis, dass die Bundeswehr durchaus auf Augenhöhe mit den Armeen Großbritanniens und Frankreichs ist. Aber es gab eine Reihe von, sagen wir, Fehlausgaben. Ich spreche von Lobbydeals, bei denen es nicht in erster Linie um die Verteidigungsfähigkeit ging, sondern um den Profit einiger Unternehmen.

Wenn wir also wirklich nicht gut gerüstet sind, dann sollten wir endlich analysieren, warum das so ist und wohin das viele Geld geflossen ist. Welche Lobbydeals haben stattgefunden, welche unsinnigen und unwirksamen Waffen(systeme) wurden gekauft, welchen Preis haben wir bezahlt? Was brauchen wir wirklich und wie gehen wir mit unseren Partnern um? Analyse und kühles Kalkül sind gefragt, nicht das Schüren von Angst und Panik.

Geht es wirklich um Verteidigung?

Wenn es wirklich vor allem um die Verteidigung geht und die Angst, dass Russland hier angreifen könnte, dann muss man die Gelder und die Ausrüstung in Relation setzen. Deutschland hat jetzt schon, ohne die weiteren Hunderte von Milliarden, die im Raum stehen, etwa 65 Milliarden Euro, das sind über 70 Milliarden US-Dollar. Im internationalen Vergleich läge Deutschland dann in Europa zusammen mit Großbritannien auf Platz 1 - weltweit auf Platz 5 oder 6.

Russland liegt mit rund 110 Milliarden weit abgeschlagen hinter China und noch weiter hinter den USA mit über 900 Milliarden. Das sind die letzten gesicherten Zahlen.

Auch wenn man davon ausgehen muss, dass Russlands Militärausgaben weiter gestiegen sind, geben nur Frankreich und Deutschland zusammen mehr Geld aus. Russland operiert mit seinen Ausgaben langsam am Limit, da der Krieg auch bei ihnen einen hohen Tribut fordert und sie ihre Ausgaben bereits massiv erhöht haben. Mit der Ukraine, die zwar Hilfe erhält, aber selbst im Krieg weniger ausgeben kann als Deutschland allein, kann es kaum mithalten.

German Angst Das Schüren von Angst und Feindschaft gegenüber "den Russen" ist in unserer Kultur verankert. Diese Angst schlägt jedes rationale Denken, deshalb funktioniert der Plan so gut. Jede Form von Widerstand - egal wie differenziert und fundiert - wird als Putinismus diffamiert und damit keine demokratische Debatte zugelassen.

Andersherum würde man das als gnadenlosen Populismus bezeichnen. Differenzierungen, Positionen jenseits von Putin-Unterstützung und Kriegsrüstung darf es nicht geben. Ein Großteil der Medien und fast alle Parteien und Politiker spielen mit. Auch das ist eine Demontage der Demokratie, die wir in immer mehr Debatten erleben.

Egal, was man Putin grundsätzlich zutrauen muss oder wie sehr man diesen Aggressionskrieg verurteilt, Russland hätte keine Chance, wirklich weiterzukommen. Selbst dann nicht, wenn die USA sich wirklich heraushalten würden.

Mit Deutschland und einigen anderen Ländern könnte es Russland schon rein rechnerisch nicht aufnehmen. Wozu also Bündnisse? Der Kurs der USA sollte eher zu einer Debatte über die Nato führen. Bei der Atomkraft und anderen Fragen wird schnell vor der German Angst gewarnt, hier wird sie bewusst geschürt. Für immer mehr Rüstungsgeld, nicht für mehr Sicherheit.

Was verteidigen wir?

Deutschland will also zu den fünf großen Militärmächten der Welt aufsteigen. Dann wird sich mittelfristig nicht nur Russland bedroht fühlen. Wo ist der Plan, der über den Krieg zwischen Russland und der Ukraine hinausgeht? Und wo ist unsere Grenze? Bei 100 Milliarden, 150 Milliarden pro Jahr? In Deutschland scheint gerade mit einer ganz großen Koalition alles möglich – auch ohne wirkliche Analyse und ohne Rücksicht auf die Folgen. Aber man denke an die Abschreckung.

Ja, die mag es geben, aber eine große militärische Macht erzeugt vor allem Angst, und wie irrational Angst ist, sehen wir gerade. Auf jeden Fall wird sich die globale Rüstungsspirale weiterdrehen und die gegenseitigen Anfeindungen und Bedrohungen werden zunehmen. Ich sehe nicht mehr, sondern weniger Sicherheit und eine wachsende Kriegsgefahr.

Die Geschichte beweist leider, wer so viele Waffen hat, wird sie meist auch einsetzen. Und die Angst vor Nuklearschlägen? Sie hat zu Stellvertreterkriegen geführt. Und selbst am Atomkrieg sind wir schon mehrmals vorbeigeschrammt.

Wollen wir das wirklich alles noch einmal? Erst Abrüstung, Verträge und diplomatische Beziehungen (auch mit Unrechtsstaaten) haben viele Regionen friedlicher gemacht. Aber sie waren nie populär. Kriege und Raubzüge werden sich nicht völlig verhindern lassen, solange die Menschen so aggressiv, machthungrig und kriegslüstern bleiben. Aber man darf diese Auswüchse nicht noch schüren.

Vor allem junge Menschen lehnen den Griff zur Waffe ab, wollen keine Rückkehr zur Wehrpflicht. Trotz der Dauerbeschallung sind insgesamt viele Menschen in Deutschland noch nicht so kriegseuphorisch, wie es sich viele Politiker wünschen. Wozu gibt es eigentlich die Nato? Und war es nicht die Grundidee Europas, als Friedensmacht aufzutreten? Aber dann kommen wir zu der Frage: Was verteidigen wir eigentlich noch in Europa? Es gibt vieles, aber eines darf nicht in den Hintergrund geraten: Immer mehr europäische Länder bekommen autokratische Züge und immer mehr Rechtsextreme kommen in die Regierungen. Für wen rüsten wir eigentlich auf? Wenn wir nach wie vor nicht bereit sind, unsere Freiheit und Demokratie nach innen zu verteidigen, warum sollen wir es dann nach außen tun?

Marco Bülow ist Publizist, Politiker und Aktivist. Von 2002 bis 2021 war er direkt gewählter Abgeordneter im Bundestag. Bis 2018 für die SPD, dann faraktionslos.