Geschlechter: Warum sollten psychische und soziale Unterschiede ein Problem sein?
Wie der Kapitalismus weibliche Präferenzen abwertet. Frauen, Männer, Perspektiven. Das politische Geschlecht (Teil 3 und Schluss)
Vor vier Jahren fragte Google seine Angestellten, was das Management tun könne, um den Frauenanteil unter den Beschäftigten zu erhöhen. Auch James Damore reichte einen Vorschlag ein, explizit zum internen Gebrauch. Nachdem dieser Text an eine breitere Öffentlichkeit lanciert worden war, brach der Shitstorm los, der Damore als mindestens schlechten Wissenschaftler, wahrscheinlicher aber auch rotnackigen Sexisten brandmarkte, und letztlich seinen Job kostete.
Teil 1: Wie steht es denn nun mit den Geschlechtern, wissenschaftlich gesehen?
Teil 2: Was die Geschlechter können, sollen und dürfen bestimmt nicht die Biologie allein
Vielleicht am übelsten verstieg sich eine Kommentatorin des ehrwürdigen Nature-Magazins, die ihn mit einem Amokläufer gleichsetzte, der im Dezember 1989 an der École Polytechnique in Montreal aus Frauenhass vierzehn Ingenieursstudentinnen erschossen hatte.
Was steht in dem anstößigen Text? Damore greift explizit die Zielvorgabe auf, den Frauenanteil in den IT-Unternehmen zu erhöhen. Um dies zu erreichen, solle man anerkennen, dass sich Frauen und Männer im Durchschnitt charakterlich unterscheiden, und daher Anreize und Unterstützungen schaffen, die explizit auf die Bedürfnisse von Frauen zugeschnitten sind.
Schaut man sich die Reaktionen an, dann hatte Damores Verbrechen darin bestanden, auszusprechen, dass Frauen anders sind als Männer. Er schien damit eine unterschiedliche Eignung der Geschlechter für IT-Berufe zu behaupten, und das durfte nicht sein.
Denn hier liegt der Hase im Pfeffer: Es geht eben nicht nur darum, ob Frauen und Männer unterschiedlich ticken. Das ist für sich genommen eine rein akademische Frage. Sondern es geht darum, dass Männer mächtiger sind und mehr Geld verdienen. Die Softwareingenieure bei Google genießen ein höheres Ansehen und höheres Einkommen als die Sekretärinnen.
Diese Herabsetzung der Frauen widerspricht dem moralischen und grundgesetzlichen Anspruch, dass die Geschlechter gleichberechtigt sein sollen. Die Gesellschaft steht vor dem Dilemma, sich seit Jahrzehnten für die Emanzipation der Frauen eingesetzt und trotzdem nur einen Teilerfolg erreicht zu haben. Sie steht vor dem Dilemma, dass Frauen anders sind, es aber nicht sein dürfen. Weil anders schlechter bedeutet.
Je gleicher, desto verschiedener
Im ersten und zweiten Teil der Serie haben wir gesehen, dass es durchaus neben den körperlichen auch psychische, charakterliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Inwieweit diese Unterschiede gesellschaftlich vorgegeben und geformt sind, lässt sich nicht abschließend klären. Man muss sie wohl als gegeben hinnehmen. Zumal alle bisherigen Bestrebungen, die Unterschiede zu verringern, nach hinten losgegangen sind.
Mehrere Untersuchungen sind in den letzten Jahren zu einem verwirrenden und für manche Menschen verstörenden Ergebnis gekommen: Je mehr in einem Staat die Gleichheit der Geschlechter gefördert wird, desto ungleicher werden sie. Und zwar in allen Belangen.
Etwa in der Persönlichkeit: Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in den bekanntesten fünf Persönlichkeitsfaktoren – Frauen sind im Durchschnitt extravertierter, verträglicher, gewissenhafter, neurotischer und offener für neue Erfahrungen – sind am geringsten in Ländern, die Frauen gesellschaftlich benachteiligen, wie etwa Malaysia und Südkorea, und am größten in "gender equal" Ländern wie Norwegen und Schweden.
Anstelle von Eigenschaften kann man auch nach Präferenzen fragen: Wie wichtig sind einem Menschen Werte wie Altruismus, Vertrauen, Geduld, Vergeltung oder Risikofreude? Auch darin unterscheiden sich die Geschlechter (Frauen liegen bei Vertrauen, Altruismus und positiver Vergeltung vorne, Männer bei Risikofreude, negativer Vergeltung und Geduld), und wieder sind die Unterschiede umso größer, je gleichstellungsbemühter die Länder sind – und je reicher. Frauen und Männer in Tansania und Pakistan unterscheiden sich nicht in ihren Werten, in Kanada und Schweden hingegen enorm.
Diese Diskrepanzen schlagen sich naheliegenderweise in der Berufswahl nieder. Obgleich Mädchen in fast allen Ländern eher besser in den Naturwissenschaften sind als Jungen, wählen sie seltener ein entsprechendes Studium - und das wiederum umso deutlicher, je gleichberechtigter das Land, in dem sie wohnen.
Damit nähern wir uns dem Herzen der Angelegenheit. Frauen können also die prestigeträchtigen MINT- oder STEM-Fächer so gut wie Männer, und wählen sie trotzdem nicht. Warum? Falsche Vorbilder, gesellschaftliche Diskriminierung?
Eine Umfrage warf vor vier Jahren eine weitere Möglichkeit auf: Vielleicht wollen sie einfach nicht. "Welchen Beruf hätten Sie am liebsten, wenn Ausbildung, Alter oder Einkommen keine Rolle spielten?" lautete die Frage. Und siehe da: Männer wollen im Ernst gerne Softwareentwickler, Fußballprofi, Forscher werden, Frauen hingegen Ärztin, Psychologin und – Platz 1: Tierpflegerin.
Da gibt man ihnen die Möglichkeit, Chefingenieurin oder Topmanagerin zu werden, und dann wollen sie einfach nicht! Was fällt denen ein?!
Nun, vermutlich fällt ihnen ein, dass sie seit Jahrtausenden das machen mussten, was von ihnen erwartet wurde. Und dass sie jetzt einfach und verdammt noch mal das machen, was sie wollen.
Was Frauen wollen – und Männer
Denn der zentrale Irrtum in der ganzen Debatte liegt darin, sich auf Fähigkeiten zu konzentrieren. Ich erkenne oder vermute hier – wie so oft – die allgegenwärtige Maschinisierung des Menschen. So wie ein Auto durch die Fähigkeit definiert ist zu fahren, eine Kamera durch die Fähigkeit, Fotografien zu machen, und ein Staubsauger durch die Fähigkeit zu saugen, so definieren wir: "Kann den Ball 50 Meter werfen und die 100-Meter in 9,7 Sekunden laufen: Mann. Kann Kinder bekommen und säugen: Frau."
Der Mensch aber ist keine Maschine. Was ihn ausmacht, ist nicht, was er kann, sondern das, was er will. Keine Maschine will etwas: das Auto nicht fahren, die Kamera nicht knipsen, der Staubsauger nicht saugen. Maschinen können nicht wollen. Deshalb, nebenbei bemerkt, ist auch die Furcht vor der Machtübernahme der künstlichen Intelligenz nur Gefasel.
Lebewesen hingegen wollen vom Augenblick ihrer Geburt bis zum Moment ihres Todes immer. Dadurch werden sie zum autonomen, entscheidenden Subjekt ihrer Umwelt. Ohne unseren Willen wären wir Menschen kein Zoon politicon, denn jede Form sozialer Reibung, sei es eine Verhandlung, sei es ein Kampf, beruht auf dem Widerstreit von Interessen, und dem Drang zur Selbstbehauptung. Maschinen brauchen keine Demokratie.
Frauen wollen sich (mehrheitlich) lieber um Menschen und Tiere kümmern als um Apparate und Geld. Sie suchen eher Ausgleich als Macht. Der oft missverstandene Gender Pay Gap hat hier seine Ursache. Denn als Erzieherin, Lehrerin, Krankenschwester, Tierpflegerin, und sehr oft auch als Ärztin und Psychotherapeutin verdienen Frauen kaum genug zum Unterhalt einer Familie, während der Softwareingenieur, der Investmentbanker oder der leitende Angestellte sechsstellig einsteigen.
Wir Alternativlosen
Offensichtlich ist also die politische und wirtschaftliche Organisationsform der Gesellschaft (das "System") außerstande, die Wünsche eines großen Teils der Menschen angemessen zu berücksichtigen. Frauen im Kapitalismus dürfen alles, aber nicht das, was sie wollen. Die naheliegende Folgerung wäre, diese Organisationsform infrage zu stellen. Man müsste Fragen aufwerfen nach der gerechten Bemessung von Leistung, nach der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Diese Fragen aber will kaum jemand stellen, geschweige denn beantworten. Denn der Kapitalismus gilt als alternativlos.
Stattdessen werden die Unterschiede der Geschlechter ignoriert und verleugnet. Da das System nicht infrage gestellt werden darf, muss der Fehler bei den Menschen liegen. Da man den Mut nicht aufbringt, das System an die Wünsche der Menschen anzupassen, passt man die Menschen an die Wünsche des Systems an.
Und wenn es nun einmal die Fähigkeiten und Vorlieben der Männer sind, die in diesem System zum Erfolg verhelfen, dann müssen Frauen gefälligst so werden und wollen wie Männer. Dann und nur dann sind sie respektabel, dann und nur dann dürfen sie mitreden. Wie es diese Haltung schafft, sich selbst für nicht-sexistisch zu halten, bleibt rätselhaft.
Es gehört zu den definierenden Merkmalen linker Politik, dass sie gesellschaftliche Organisationsformen als real anerkennt und problematisiert. Während Liberal-Konservative "There’s no such thing as society" beten, hat die Linke seit jeher genau diese Gesellschaft ändern wollen. Doch mit dem Glauben daran, dass das möglich sei, ist auch die Linke verschwunden.
Der heutige Kampf für die Gleichstellung der Frau steckt den Einsatz für gesellschaftliche Veränderung auf. Die Sachzwänge des Kapitalismus erscheinen naturgegeben, eine alternative Utopie ist nicht in Sicht. Also wird Resignation als moralische Überlegenheit getarnt und die Ungerechtigkeit mit schöner Sprache geschminkt. "Links" ist das selbstverständlich nicht.
Einflussreiche Feministinnen sehen das ähnlich. Martha Nussbaum hat der bekannten Gender-Theoretikerin Judith Butler in einer akademischen Erledigung Quietismus vorgeworfen: eine lebensferne Theorie, die jede Hoffnung auf gesellschaftlichen Wandel verneint und zur spöttischen Akzeptanz des Bestehenden aufruft. Auch aus marxistischer Perspektive hat Georg Schuster in einem Telepolis-Artikel kritisiert, dass postfeministische Theorien die wirtschaftlichen Bedingungen für die fortwährende Ungleichheit der formal gleichberechtigten Geschlechter ignorieren.
Es ist schön, wenn eine Gesellschaft sehr tolerant und gleichberechtigt ist. In solchen Gesellschaften sind nämlich beide Geschlechter umgänglicher und offener für neue Erfahrungen - ein Persönlichkeitsfaktor, der mit Intelligenz und Kreativität zusammenhängt. Es ist auch schön, wenn jede und jeder Astronautin oder Grundschullehrer, Psychotherapeutin oder MPI-Direktor werden kann, wie sie wollen, und unabhängig von ihrem Geschlecht.
Aber das genügt nicht. Sie müssen damit auch alle dasselbe Maß an materieller Sicherheit und sozialer Anerkennung erreichen können. Erst wenn diese Utopie erreicht wäre, könnten wir akzeptieren, dass James Damore (überwiegend) recht hatte.
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