Gesetzbuch zu ... und alle Fragen offen
Teil 2: Der Index Programmatum Prohibitorum - Zum Verbot von "Umgehungstechnologie"
Das neue Urheberrecht (vgl. Teil 1: Gesetzbuch zu ... und alle Fragen offen) verbietet in § 95 a Absatz 1 nicht nur die Umgehung des Kopierschutzes, es untersagt in Absatz 3 dieses Paragrafen auch, "Umgehungstechnologie" herzustellen, einzuführen, zu verbreiten, zu verkaufen oder zu vermieten. Weiterhin erlaubt ist der Besitz. Doch von der jetzt verbotenen "Umgehungstechnologie" existiert keine feste Liste - was der Medien- und IT-Industrie reichlich Gelegenheit zur Einschüchterung des Verbrauchers gibt.
Was ist "Umgehungstechnologie"?
Von der Gefahr einer Einstufung als "Umgehungstechnologie" betroffen sind Programme, deren Hauptzweck darin besteht, einen "wirksamen" Kopierschutz auszuschalten oder zu umgehen. Robert Knapp von Movie-Jack-Anbieter S.A.D. zeichnet dazu ein Horrorszenario. Seiner Auffassung nach sind nach dem neuen Gesetz nicht nur explizite Kopierschutz-Cracker gefährdet: "Wer eine Software in den Verkehr bringt, die in der Lage ist, Kopien von wirksam geschützten Werken herzustellen", so Knapp, "macht sich strafbar. Damit wären aber fast alle Standard-Recording-Tools, Image-Verwaltungs-Tools, Backup-Tools und sogar Dateimanager illegal. Unter Umständen wird es in Deutschland bald gar keine Recording-Software mehr zu kaufen geben".
Das ist ebenso großer Unsinn wie er sonst aus den PR-Abteilungen der Musikindustrie kommt. Herstellung, Einfuhr, Verbreitung, Verkauf und Vermietung von Software bei der die Umgehung nur ein Nebeneffekt ist, sind nämlich erlaubt. § 95a Abs. 3 nennt drei Anhaltspunkte zur Trennung von Haupt- und Nebeneffekten: Wird mit der Umgehung des Kopierschutzes geworben? Ist der wirtschaftlicher Nutzen des Hauptwecks "begrenzt"? Und wurde die Software nicht für den Hauptzweck hergestellt, entworfen oder angepasst?
Die S.A.D.-Juristen bewiesen bereits in ihren Lizenzvereinbarungen viel Phantasie und verboten darin unter anderem die Weitergabe ihrer DVD-Ripper-Software zur Biowaffen-Herstellung - bei den Äußerungen zu den Auswirkungen des Verbots von "Umgehungstechnologie" stehen die phantasievollen Äußerungen jedoch in einem direkten Zusammenhang mit einem wirtschaftlichen Interesse der Firma: Zwischen den von Knapp als gefährdet eingestuften Tools und dem tatsächlich gefährdeten S.A.D.-Verkaufsschlager Movie Jack bestehen einige juristisch durchaus relevante Unterschiede: Bei der derzeit am weitesten verbreiteten Brenn-Software Nero tritt ein möglicher Nebeneffekt der zufälligen Umgehung wenig wirksamer Kopierschutzmaßnahmen gegenüber dem Hauptzweck der Software - dem Sichern und Kopieren "ungeschützter" Daten - klar in den Hintergrund.
Anders sieht es beim S.A.D.-Produkt Movie Jack aus: Die Software dient dem Rippen von Film-DVDs, die überwiegend mit dem CSS-Kopierschutz versehen sind, den die vor dem 13. September ausgelieferten Movie-Jack-Versionen auch entschlüsseln konnten. Die neue Version von Movie Jack, "Movie Jack DVD" kann das nicht mehr (vgl. Gesetzestreue DVD-Kopierer). Dadurch stufte S.A.D. im Gegensatz zu anderen Firmen ihr Produkt selbst als "Umgehungstechnologie" ein. Außerdem will das Unternehmen ein "Update" anbieten, das bei alten Movie-Jack-Versionen die CSS-Entschlüsselungsfähigkeit entfernt. Ob die neuen Versionen an den Verkaufserfolg der alten anknüpfen können, ist allerdings fraglich. Deshalb startete S.A.D. ein Unterschriftsbegehren und kündigte Klage gegen das Verbot von "Umgehungstechnologie" an (vgl. Ist das neue Urheberrecht verfassungswidrig?). Allerdings stützt sich die Argumentation der Ulmer Firma bisher auf grundlegende verfassungsrechtliche Vorbehalte gegen das Verbot und nicht auf die Frage, ob CSS noch als "wirksamer" Kopierschutz eingestuft werden kann. Für S.A.D. ist es deshalb wirtschaftlich sinnvoll, ein hochgradig dystopisches Bild der neuen Rechtslage zu malen, das nicht nur die Verbraucher aufrüttelt, sondern möglichst auch andere Firmen in den Sog des Verbotenen bringt. Der Wille, das Verbot von Umgehungstechnologie durch Übertreibung zu Fall zu bringen, mag verständlich sein - realistisch ist die von S.A.D. gezeichnete Rechtslage jedoch nicht.
Was ist "wirksam"?
Das neue Urheberrecht verbietet nicht jede "Umgehung" von Kopierschutzmaßnahmen. Geschützt sind nur so genannte "wirksame" Maßnahmen. "An die Wirksamkeit der Schutzvorkehrung sind nur geringe Anforderungen in technischer Hinsicht zu stellen", verkündete Dr. Christian Dressel vom Gesamtvorstand des Deutschen Multimedia Verbandes. Denn, so Dressel, "Wollte man hier hohe Anforderungen stellen, dann würden diejenigen Urheber und Rechteinhaber beim rechtlichen Schutz technischer Schutzvorkehrungen benachteiligt, die sich nur preiswerte Schutzverfahren leisten können, ihre Werke aber trotzdem schützen möchten". Mit seiner Ansicht, dass deshalb sogar Analogkopien geschützter Medien verboten wären, steht Dressel unter Juristen relativ allein da. Unklar ist dagegen, ob bereits seit Jahren ausgehebelte Kopierschutz-Techniken wie der DVD-Kopierschutz CSS oder der Videokopierschutz Macrovision als "wirksam" gelten.
Der unbestimmte Rechtsbegriff der "Wirksamkeit" ist im Gesetz nämlich nicht genau definiert. § 92a Absatz 2 liefert nur Anhaltspunkte wie "Verschlüsselung" und "Verzerrung." Voraussetzung für die "Wirksamkeit" eines Zugangs- oder Kopierschutzes ist, dass er "die Erreichung des Schutzziels sicherstellt". Die Einordnung von Software, die auf längst bekannte "Umgehungstechnologie" zurückgreift, ist deshalb alles andere als unproblematisch. Lediglich auf die Verhinderung von Kopien als "Geist des Gesetzes" abzustellen wäre hier eine zu schlichte Auslegung: Zum einen soll das Urheberrecht einen Ausgleich zwischen den Interessen der Öffentlichkeit (darunter die Informations- und Wissenschaftsfreiheit) und dem Investitionsschutz der Rechteinhaber bieten. Zum anderen zeigt die Aufnahme der "Wirksamkeit" als zusätzliche Voraussetzung in den Gesetzestext, dass es nicht Wille des Gesetzgebers sein konnte, automatisch jede noch so alte oder halbherzig ausgeführte Zugangsbeschränkung unter den besonderen Schutz des Umgehungsverbotes zu stellen.
Im Endeffekt ist die Frage der "Wirksamkeit" aber eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Anwälte und Richter. Sollte die Rechtsprechung entscheiden, dass CSS kein "wirksamer" Kopierschutz ist, darf man mit CSS versehene DVDs kopieren - wer vor dieser Entscheidung kopiert, geht möglicherweise ein Risiko ein. Dasselbe gilt für Soft- oder Hardware die den Macrovision-Videokopierschutz umgeht. Auch dieses System wird bei Kauf- und Leihvideos bereits seit langem eingesetzt, weshalb es seit vielen Jahren Umgehungstechnologie in Form von Kabeln und von Programmen zu kaufen gab.
Umgehung im Falle eines missbräuchlichen Einsatzes des Verbots von Umgehungstechnologie
Der Juraprofessor Thomas Dreier von der Universität Karlsruhe nennt hier als Beispiel die Scientology-Sekte, die ihre Lehren mit Kopierschutztechnologie schützten und sich damit rechtlich gegen Kritik unangreifbar machen kann. Einen rechtstheoretischen Ausweg sieht er darin, dass bei sittenwidrigen Verträgen keine vertragliche Vereinbarung bzw. Lizenzvereinbarung zustande gekommen ist und damit auch keine Verletzung eines gültigen Kopierschutzes vorliegt. Ein anderer missbräuchlicher Einsatz von Kopierschutztechnologie liegt vor, wenn eine Firma Inhalte, für die der Urheberrechtsschutz bereits abgelaufen ist, mit einem Kopierschutz versiegelt und so das Urheberrecht unrechtmäßig verlängert.
Diese Frage wird in Amerika - wo es seit 1998 eine analoge Regelung zum deutschen Verbot von Umgehungstechnologie gibt - gerade vor Gericht verhandelt (vgl. Prozess um DVD-Kopierprogramme: Richterin unentschlossen). Selbst ohne einen Rückgriff auf die Artikel 2 und 5 des Grundgesetzes legt der Wortlaut des § 95 a - in dem von "Maßnahmen zum Schutz eines nach diesem Gesetz geschützten Werks" die Rede ist - nahe, dass der Kopierschutz nur dann nicht umgangen werden darf, wenn er ein Werk betrifft, für das die Schutzfrist noch nicht abgelaufen ist. Franz Kafkas gemeinfreies Werk "Der Prozess" könnte demnach auch als eBook unter Umgehung des Kopierschutzes legal kopiert werden.
Weniger bekannt - aber trotzdem verboten
Über ein tatsächliches Verbot hört man dagegen von Seiten der Medien- und IT-Industrie kaum etwas: Eine "technische Schutzmaßnahme" darf man nach § 95a Absatz 1 nicht nur zum Kopieren, sondern auch zum bloßen Anhören, Ansehen oder Lesen nicht aushebeln. Dass diese Regelung nicht von den PR-Apparaten verbreitet wird, hat seinen Grund: Die breite Kenntnis dieser Rechtslage könnte der geplanten Einführung von Digital Rights Management (DRM) hinderlich sein. Ein weit verbreiteter Irrtum zum neuen Urheberrecht ist nämlich, dass es nur um die "Eindämmung von Raubkopien" geht. Hauptzweck ist stattdessen die schrittweise Einführung von DRM-Geschäftsmodellen, einer Art 0190-Kostenfalle für Medien - mit dem Unterschied, dass es hier noch keine Schutzregeln für Verbraucher und nach oben offene Abspielpreise gibt. Durch das Verbot der Umgehung von "Zugangskontrollen" kann der Benutzer zukünftig gezwungen werden, für jeden Abspielvorgang erneut ein Salär zu errichten.