Gezielte Messerattacke: Tote und lebensgefährlich Verletzte nach Terrorakt auf Solinger Stadtfest
Entsetzen nach Anschlag mit Muster dschihadistischen Terrors. Politische Instrumentalisierung folgt prompt. Im Mittelpunkt: die ungeklärte Herkunft des Täters. Update.
Drei Besucher des Solinger Stadtfestes, zwei Männer und eine Frau, wurden am gestrigen Freitagabend gegen 21:30 Uhr von einem Unbekannten mit einem Messer getötet, acht Menschen wurden teils lebensgefährlich verletzt. Der Unbekannte konnte im Tumult entkommen, er ist auch am Samstagnachmittag noch flüchtig. Eine Großfahndung mit Spezialkräften läuft.
"Keine Amok-Lage"
Laut Ermittler geht man "nicht von einer Amok-Lage" aus, sondern einen von einem gezielten Anschlag. Der Mann habe sehr gezielt auf den Hals seiner Opfer eingestochen, wird ein Sprecher des Innenministeriums in Nordrhein-Westfalen von NZZ zitiert.
[Update: Bei einer Pressekonferenz der Generalstaatsanwaltschaft und der Polizei sagte der die Zentralstelle für Terrorismusverfolgung in NRW leitende Oberstaatsanwalt Markus Caspers (ab Minute 09:26), dass man gegen Unbekannt wegen des Verdachts des Mordes in drei Fällen und des Verdachts wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in acht Fällen ermittle.
"Eine Motivlage konnten wir bislang auch nicht erkennen. Wir gehen aber von den Gesamtumständen davon aus, dass der Anfangsverdacht einer terroristisch motivierten Tat nicht ausgeschlossen werden kann."
Die Welt am Sonntag zitiert indessen aus dem einem Bericht der Polizei Solingen, "wörtlich": "Von einem bei der Tat verletzten Zeugen wurde angegeben, dass man den unbekannten Tatverdächtigen aus Solingen kenne’ und dieser auch Besucher einer örtlichen Moschee sei. Ein Zeuge berichtete, dass der Tatverdächtige bei seinen Tathandlungen 'Allahu Akbar' gerufen habe".
Unmittelbar nach dieser Aussage wird hinzugefügt, dass die Polizei auf der Pressekonferenz mitteilte, "dass es eine Vielzahl von Zeugenaussagen gebe, die aber überprüft und zusammengeführt werden müssten".
Die Polizei teilte mit, dass man einen 15-Jährigen Mann kirgisischer Herkunft festgenommen habe. Er soll nicht der Täter sein. Der Zusammenhang mit der Tat werde erst geprüft. "Eine bislang unbekannte Person soll mit dem Jugendlichen über Aussagen gesprochen haben, die zur Tat passen könnten", wird der Oberstaatsanwalt zitiert.]
Politiker, die sich am Vormittag zu Wort meldeten, drückten Entsetzen aus. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bezeichnete die Terrormorde als einen "Akt brutalster und sinnloser Gewalt". Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zeigte sich vom "perfiden Anschlag zutiefst erschüttert". Kanzler Olaf Scholz (SPD) fordert: "Der Täter muss rasch gefasst und mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden."
Messerattacken und Herkunft: Hoch aufgeladenes politisches Terrain
Messerattacken sind in den vergangenen Wochen zu einem neuralgischen, konfrontativen Thema in der Diskussion über Einwanderung geworden. So ist der Hintergrund des Täters und die Art, wie in der Berichterstattung damit umgegangen wird, ein Gelände mit Fallen und gesellschaftlichen Sprengkörpern, das von politischen Interessen durchfurcht wird.
Dieses Minenfeld zeigt sich auch jetzt, obwohl zum Täter – außer dass es sich höchstwahrscheinlich um einen Mann handelt – zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Beitrags über Indizien und bisher nicht offiziell bestätigte Zeugenaussagen hinaus noch nichts Verlässliches bekannt ist.
Entsprechend zurückhaltend waren erste Berichte vom öffentlich-rechtlichen Sendern. So hieß es in den 9-Uhr-Nachrichten im Bayerischen Rundfunk:
"Die Fahndung nach dem Täter erweist sich derweil als schwierig. Eine Polizeisprecherin sagte, man habe noch nicht viele Angaben zum Täter. Zu Medienberichten, der Angreifer habe Arabisch gesprochen, wollte sie sich nicht äußern."
Medienöffentlichkeit: Vorsicht und Zunder
Ganz anders bei Nius um 8:55 Uhr. Dort geht die Redaktion von einer Tatsache aus:
Ein arabisch aussehender Mann hat in Solingen am Freitagabend wahllos auf den Hals von Festival-Besuchern eingestochen. Drei Menschen erlagen ihren Verletzungen noch in der Tatnacht, acht weitere sind schwer verletzt, ringen zum Teil um ihr Leben.
Nius
Die Welt geht mit dem Ressortleiter Tim Röhn als Autor korrekter mit Informationen um:
Dass es sich – wie Medien unter Berufung auf Augenzeugen berichten – um einen arabisch aussehenden Täter handeln soll, bestätigte der Sprecher der Polizei der Welt vorerst nicht: "Dazu liegen keine gesicherten Informationen vor."
Die Welt
Die NZZ zitiert den nordrhein-westfälischen Innenminister Herbert Reul mit einer ebenfalls vorsichtigen Äußerung zum Täter:
Der Christlichdemokrat warnte vor Spekulationen. Zur Person des Täters oder zu seinem Motiv könne man noch nichts sagen. Es gebe dafür bisher einfach keine belastbaren Fakten.
"Zum Aussehen des Flüchtigen gebe es keine gesicherten Informationen", berichtet der Spiegel-Liveticker um acht Uhr morgens:
"Ich glaube, das ist unser Riesenproblem. Wir haben noch nicht so viele Angaben zum Täter", erklärte Alexander Kresta, Sprecher der Polizei Wuppertal. Zeugen, die in unmittelbarer Nähe zum Geschehen waren, stünden unter Schock. "Die werden von uns im Augenblick professionell betreut und wir vernehmen diese natürlich, um da jetzt genauere Angaben zu bekommen."
Spiegel
Andere Spielregeln auf X, Wahlkampf und deutsche Angst
Auf der Plattform X gehört Sachlichkeit und Trennung von Meinungen und Tatsachen nicht zum Politik-Game, solche Spielregeln sind hier außer Kraft gesetzt.
Dort nehmen Protagonisten aus dem neurechten Lager das Thema des Stadtfestes "Vielfalt" zur Vorlage, um mit den Ermordeten das Empörungspotential zum Thema Migration kreischend zu beleben. "Eure Vielfalt schieben wir ab!", untertitelt etwa Remigration-Sellner ein Foto mit einer bedeckten Leiche.
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Deutsche, Thüringer, wollt ihr Euch wirklich an diese Zustände gewöhnen? Befreit Euch, beendet endlich den Irrweg der erzwungenen Multikulturalisierung! Schützt Eure Kinder! Schickt die verantwortlichen Kartellparteien in die Wüste! Am 1.9. die Wende wählen.
Björn Höcke, Posting auf X
Bitter für das Solinger Fest, das wegen eines Mörders, der mit Mitteln des Dschihadisten-Terrors vorging, zu einer Horrorveranstaltung geworden ist, klingt nun die Werbung für die Sommerparty:
"Das Jahr 2024 ist ein historisches Jahr für die Klingenstadt Solingen … Ein einzigartiges Jubiläum, welches Solingen über die Stadtgrenzen hinaus die Chance bietet, die Vielfalt von Menschen, die Vielfalt der Stadtteile und die Vielfalt der Sehenswürdigkeiten der Stadt sichtbar zu machen und zu feiern."