Gibt es etwas wie faschistische Musik?
- Gibt es etwas wie faschistische Musik?
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Der Klassik-Experte Kai Köhler über Einstürzende Neubauten, Queen, Nicole, Blumfeld, Richard Wagner und Carl Orff.
In seinem Buch Klassik in den Kämpfen ihrer Zeit geht der Literaturwissenschaftler Kai Köhler der Frage nach, inwiefern die klassische Musik, die heutzutage gerne als Soundtrack bürgerlicher Wohlfühlkultur begriffen wird, an den politischen Kämpfen ihrer Zeit Anteil hatten. Telepolis sprach mit dem Autor.
Herr Köhler, Ätschibätsch, jetzt haben Sie so eine profunde Arbeit über klassische Musik und ihre gesellschaftlichen Zusammenhänge abgeliefert und das Erste, worum ich sie bitten möchte, ist eine kurze Einschätzung der politischen Ausrichtung jeweils von Stücken aus den Bereichen Rock, Schlager und Pop abzugeben, wobei ich Sie einlade, folgende Kategorien mit zu berücksichtigen: "faschistisch", "konservativ", "sozialdemokratisch", "kommunistisch" und "kleinbürgerlich".
Kai Köhler: Da scheue ich wie ein Springpferd vor einem ungewohnten Hindernis: sieben Stangen hoch und dahinter ein ekliger, breiter Wassergraben. Zwei Schwierigkeiten habe ich hier nämlich. Die Erste ist, dass ich die Genres nicht gut genug kenne.
Ich weiß also nur ungefähr, was vorgegeben und was die individuelle Variante ist. Zur zweiten Schwierigkeit vielleicht nachher. Erst mal springe ich jetzt, und die Gefahr, dass ich mich gleich nass im Graben wiederfinde, ist ziemlich groß
Sie werden sehen, das wird lustig! Der erste Kandidat ist Queen mit "We are the champions".
Kai Köhler: Und schon fängt’s an. Ätschibätsch, sag jetzt ich trotzdem: Sie haben eine ideologische Hauptrichtung vergessen, und die trifft es am ehesten: liberal. Am einfachsten ist es natürlich am Text festzumachen: "No time für losers". Und diese dauernde Selbstbeschwörung, die Champions zu sein: Das klingt nach Mitarbeiter-Motivationsseminar.
Die Musik ist für ihren Zweck sicher gut gemacht. Die Begleitstimmen sind durchaus variantenreich – aber in engen Grenzen. Jeder darf mal etwas für sich dudeln, wird aber gleich wieder eingefangen. Zu irgendeiner Entwicklung führt das nicht. Das ist der aktuell vorherrschende Begriff von Freiheit.
Der nächste Interpretationshammer: Nicole mit "Ein bisschen Frieden"
Kai Köhler: Musikalisch ein deutlicher Abstieg. Das sind einfachste Versatzstücke aus tausend vorhandenen Schlagern, einigermaßen geschickt arrangiert. Jeder politische Inhalt, auch der reaktionärste, zielt in irgendeiner Weise aufs Denken. Dieses Lied zielt in jeder Hinsicht darauf, Bewusstsein auszuschalten.
Das gilt natürlich auch für den Text mit seinen abgegriffenen Vergleichen. Ich will was, aber nur ein bisschen und darum nicht wirklich – da denkt man natürlich zuerst an die Sozialdemokratie. Aber die tarnt das wenigstens. Kleinbürgerlich? Das täte den Kleinbürgern Unrecht, die sind ja auch nicht alle dumm. Ich bin ratlos.
Sogleich ein weiteres musikalisches Schmankerl: Blumfeld und Graue Wolken …
Kai Köhler: Konservativ! Allerdings nicht im Sinne einer politischen Ausrichtung, sondern als ein Lebensgefühl, das sich politisch mit ganz unterschiedlichen Positionen verbinden kann, auch mit einer sozialistischen. Am wenigsten hier, mit der faschistischen, da jede Aggressivität fehlt.
Auch geben weder Text noch Musik irgendeinen Hinweis darauf, dass hier eine Gruppe geformt und gewaltsam auf ein Ziel ausgerichtet werden soll. Bestimmend ist vielmehr eine gewisse Melancholie. Im Bläsersolo, im rhythmischen Detail ist das musikalische Schema recht frei gehandhabt. Aber all die kleinen Freiheiten führen zu nichts anderem als dazu, sich in dieser Stimmung einzurichten.
"Kommunistisches Dasein mit Lebensfreude"
Und die letzten im Bunde: They Might Be Giants "The communists have the music".
Kai Köhler: Dies ist der schwierigste Fall. Ich bemerke da eine Qualität, aber die kann ich mit den Maßstäben, die ich aus der klassischen Musik gewonnen habe, nicht fassen. Der Text: klar kommunistisch.
Übrigens, der einzige der vier Texte hier, der eine eigene literarische Qualität hat. Und bemerkenswert (und zumindest in diesem Land ungewöhnlich), dass kommunistisches Dasein mit Lebensfreude verbunden wird. Die Singstimme ist sehr einfach geführt, im Instrumentalen gibt es harmonisch und rhythmisch viele Verschiebungen.
Wenn ich in der Interpretation sehr weit gehe, könnte ich sagen: Da tragen viele unterschiedliche Linien zu einem gemeinsamen Ganzen bei – die "Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist" aus dem Manifest der Kommunistischen Partei. Aber vielleicht geht das zu weit, ohne den Text wäre ich auf diesen Gedanken bestimmt nicht gekommen.
"Jeder Krieg hat seine Lieder"
Sie haben in Ihrem Buch das Album Lament der Einstürzenden Neubauten analysiert und meinen, es würde darauf "der Erste Weltkrieg hörbar gemacht." – Wie geht das?
Kai Köhler: Jedenfalls nicht durch naturalistische Nachahmung von Knall und Bumm. Das vor dem heimischen Lautsprecher zu hören, wäre kulinarisch. Es vermittelt nichts von dem Schrecken, den es an der Front bedeutet. Da kann ja die Explosion, die man hört, der Vorbote sein von dem Geschoss, das gerade in Richtung des eigenen Unterstands fliegt.
Aber jeder Krieg hat seine Lieder. Das sind die Nationalhymnen, die die Einstürzenden Neubauten verarbeiten, oder etwa Lieder der Harlem Hellfighters, eines Regiments, das aus Afroamerikanern und farbigen Puertoricanern bestand. Deren Krieg war zugleich einer um innerstaatliche Anerkennung, dem US-Rassismus entgegen. Außerdem hört man historische Tondokumente aus dem Lautarchiv der Berliner Humboldt-Universität.
Deutsche Forscher hatten im Ersten Weltkrieg den Zugriff auf Kriegsgefangene verschiedenster Herkunft dazu genutzt, eine Vielzahl von Sprachen zu dokumentieren. Ist das völkerkundliche Unterdrückung? Kulturbewahrung? Man hört die Widersprüche dieses Kriegs.
"Eine eher gezwungene Lustigkeit"
Des Weiteren stellen Sie die Werke von Hans Pfitzner und Carl Orff gegenüber. Zu welchen Resultaten kommen Sie?
Kai Köhler: Eingangs habe ich von einer zweiten Schwierigkeit gesprochen, aber dazu noch nichts geliefert. Sie besteht – idealtypisch – darin, dass man klassische Musik konzentriert hört, während man still auf einem Platz sitzt. Schlager, Rock und Pop sind viel mehr Gebrauchsmusik, die in verschiedenen Situationen verwendet wird und dann je andere Wirkungen erzielt.
Denken Sie an Queen, die den Gebrauch von "We are the Champions" durch Donald Trump verbieten mussten – was natürlich auf den Gedanken bringt, dass das Lied auch zu Trump gar so übel nicht gepasst hätte. Die besondere Schwierigkeit bei meinen Einschätzungen vorhin lag also darin, dass ich von dem abstrahieren musste, was diese Art von Musik doch auszeichnet.
Nun habe ich mich, mit guten Gründen, durch das Wörtlein "idealtypisch" abgesichert. Natürlich weiß ich, dass zum Beispiel Beethovens 9. Sinfonie für ganz unterschiedliche Zwecke benutzt wurde. Der Schiller-Text "Alle Menschen werden Brüder" sollte eindeutig genug sein.
Dennoch war das Werk im Faschismus keineswegs verboten. Vielmehr sollte es die vorgebliche Überlegenheit deutscher Kultur nachweisen. Und wer ein wenig masochistisch veranlagt ist, mag sich im Internet anhören, wie beim Weltwirtschaftsforum Davos 2008 eine Horde Manager so etwas Ähnliches wie Beethovens Melodie grölte. Darum ist im Untertitel meines Buches auch von Gebrauchsweisen der Klassik die Rede.
Aber natürlich interessiert doch die Kunst selbst, und ob sie einen feststellbaren Inhalt hat. Gibt es etwas wie faschistische Musik? Unabhängig von Texten, unabhängig von Kompositionsanlässen? Um dies festzustellen, habe ich Werke von zwei Komponisten verglichen. Der eine, der Spätromantiker Hans Pfitzner, ist heute berüchtigt für deutschnationale Ausfälle, Antisemitismus, Anwanzungen an die Nazis.
Er hasste die Moderne, nicht nur die musikalische. Dieser Trotz gegen alles Neue prägt auch seine Kompositionen. Man hört da Resignation, Rückzug auf genau notierte individuelle Empfindungen. Sogar wo es fröhlich wird, ist da eine eher gezwungene Lustigkeit. Für irgendeine faschistische Mobilisierung ist diese Musik nicht geeignet.
"Ablehnung jeder individuellen Empfindung"
Und Carl Orff?
Kai Köhler: Der dagegen war vor 1933 kein Nazi und auch danach nur ein Karrierist. Zu seinem Werk gehören olympische Festmusiken für Berlin 1936 und München 1972, aber das ist eine Äußerlichkeit.
Ich habe mich auf die Carmina Burana beschränkt, also auf das einzige Werk von ihm, das heute im Repertoire ist. Man hört: Ablehnung jeder individuellen Empfindung; im starren, vom Schlagzeug dominierten Klang eine Monumentalität wie bei Architekturentwürfen von Albert Speer. Die Feier des Gesunden, Jungen, Lebenskräftigen im Text ist musikalisch perfekt umgesetzt. Alles, was davon abweicht, hat keinen Platz.
Man kann sich leicht vorstellen, weshalb diese Musik heute so beliebt ist für Werbeuntermalung. Jedenfalls wollte ich zeigen, dass es nicht nur faschistischen Gebrauch von Musik gibt und Musik auf faschistische Texte, sondern Musik, die in ihrer Machart faschistisch ist.